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# taz.de -- Hotel Orania und die Aufwertung: „Ich liebe den Widerspruch“
> Gegen das Hotel Orania in Kreuzberg gibt es Proteste. Ein Gespräch mit
> dem Betreiber Dietmar Mueller-Elmau über Gentrifizierung – und die
> Freiheit der anderen.
Bild: „Mehr Kreuzberg geht gar nicht“: Dietmar Mueller-Elmau am Eckfenster …
taz: Herr Mueller-Elmau, Sie haben im August das Hotel Orania Berlin am
Oranienplatz eröffnet. Sie sagen, Sie passen bestens nach Kreuzberg.
Dietmar Mueller-Elmau: Mehr Kreuzberg geht gar nicht!
Das müssen Sie erklären.
Ich liebe den Widerspruch. Wenn ich irgendwo hinkomme, wo es keinen
Widerspruch gibt, fühle ich mich nicht wohl. Wenn alle nur toll finden, was
ich mache, ist mir das unheimlich.
Also haben Sie sich über die Proteste zur Eröffnung des Hotels gefreut?
Ich finde Widerspruch total gut, weil er eine Auseinandersetzung bringt.
Aber es muss immer friedlich bleiben. Niemand darf bedroht werden in seiner
Existenz. Die Freiheit des anderen ist die Grenze der eigenen Freiheit. Das
ist die Grundlage unserer zivilisierten Gesellschaft. Wer das nicht
akzeptiert, hat in dieser Gesellschaft keinen Platz.
Protestierende sagen, das Hotel führe zu Gentrifizierung und zerstöre
Kreuzberg. Es gab eine Kundgebung, Plakate und Farbanschläge auf das Hotel,
Scheiben wurden beschädigt.
Alles, was nicht Gewalt ausübt, finde ich okay. Die Frage, ob etwas am
richtigen Ort ist, soll man debattieren bis zum geht nicht mehr. Wenn Leute
aber uns, unsere Arbeit und unser Eigentum physisch bedrohen, wenn sie uns
nicht das Recht zugestehen, anders zu sein als sie selbst, dann finde ich
das nicht in Ordnung.
Wurden Sie persönlich bedroht?
Ja, es gab Plakate mit meinem Bild, auch mit einem Bild von meiner Frau.
Dazu der Spruch: „Was nicht passt, wird passend gemacht.“ Das geht zu weit.
Die, die das sagen, sind doch eigentlich auch gegen so eine aggressive
Gleichmacherei. Indem sie uns die Existenzberechtigung absprechen, werden
sie selbst zu Faschisten, das merken sie aber vielleicht gar nicht.
Die Plakate, die kaputten Scheiben, macht das etwas mit Ihnen?
Das ist ungewohnt, so etwas kannte ich bisher nicht.
Ihr Großvater hat das Hotel Schloss Elmau am Rand der bayrischen Alpen
gebaut, als Rückzugsort der Bildungselite. Sie übernahmen es, 2015 fand
dort der G7-Gipfel statt. Was haben Schloss Elmau und das Hotel am
Oranienplatz gemeinsam?
Das kulturelle Engagement. In Elmau gibt es fast täglich Konzerte, Lesungen
oder politische Debatten. Viele der Künstler, die dort auftreten, leben in
Kreuzberg. Mit dem Hotel Orania Berlin bieten wir ihnen ein öffentliches
Wohnzimmer, wo sie sich an den Flügel setzen und einfach spielen können,
vor kleinem Publikum. Viele verschiedene Menschen treffen sich hier. Ich
liebe die Vielfalt, die kosmopolitische Vielfalt. Alles ist immer
Differenz. Das sehen Sie auch an der Einrichtung dieses Raumes: Wir haben
sehr viele naturbelassene Materialien, viele verschiedene Sorten Holz aus
aller Welt verwendet. Oder die Möbel: Der moderne italienische
Designerstuhl passt eigentlich gar nicht zum indonesischen Sessel. Aber
hier geht es. Vielfalt und Unangepasstheit ist unsere Trademark.
Der Stilbruch ist Ihr Stil?
Ja. Brüche schaffen Freiheit. Jeder soll so sein können, wie er ist, soll
sich nicht anpassen müssen.
Warum ist Ihnen das so wichtig?
Ich war schon als Kind ein Widerspruchsgeist. Schloss Elmau, das war eine
Gemeinschaft von Gleichgesinnten. Sie verherrlichten die Natur und die
Kultur, vor allem die Kammermusik. Das höchste Ideal war der Urlaub vom
Ich. Man kam nach Elmau und erholte sich von der Welt und von sich selbst,
man kam zur Stille. Stille ist ein schönes Ziel. Nur habe ich keine Lust,
dass sie mir vorgeschrieben wird. Diese Zwanghaftigkeit, die störte mich.
Für mich war Elmau ein Gefängnis, Feindesland. Ich habe Elmau als Kind
sabotiert.
Wie denn?
Ich habe zum Beispiel bei einem Konzert des Amadeus-Quartetts, des
berühmtesten Streichquartetts des letzten Jahrhunderts, den Strom
abgestellt. Das war während der Kammermusikwoche, also das Sanctum
Sanctorum in Elmau. Plötzlich wurde es dunkel im Saal. Ich hab die
Sicherung mitgenommen und bin verschwunden. Das gab einen Aufruhr!
Wie haben Ihre Eltern reagiert?
Ich bekam Schlossverbot. Trotzdem habe ich es im Jahr drauf wieder gemacht.
Damals war ich zwischen acht und zehn Jahren alt. Es gab immer
Auseinandersetzungen. Das hatte auch mit meiner Mutter zu tun. Sie kam aus
Curaçao und war ein Fremdkörper in dieser sehr deutschen Umgebung. Sie war
eigensinnig, was die Leute denken, war ihr egal. Ich habe mich mit meiner
Mutter solidarisiert und deswegen gegen alle anderen rebelliert.
Sobald Sie konnten, haben Sie Bayern verlassen?
Nach der Schulzeit habe ich ein Jahr in Indien gelebt, dort ist auch mein
ältester Sohn geboren. Indien ist mein Zuhause. Es gibt drei Länder, denen
ich mich sehr verbunden fühle, die sehr vielfältig sind. Neben Indien
gehört Israel dazu und Amerika. Ich habe in München studiert,
Betriebswirtschaft, Theologie, Philosophie, später dann Informatik in den
USA.
Warum sind Sie nach Elmau zurückgekehrt?
Ich habe 1987 in München ein Softwareunternehmen gegründet, wir haben
Verwaltungsprogramme für Hotels entwickelt. Nach dem Verkauf meiner
Softwarefirma wollte ich eigentlich mit meiner Familie nach Amerika
auswandern. Meinen Eltern zuliebe habe ich dann aber Elmau gepachtet und
renoviert, ich wollte es als ihr Zuhause erhalten. Nach der Sanierung ist
das Schloss 2005 abgebrannt, zum Glück passierte niemandem etwas. Als Kind
hatte ich mir immer gewünscht, Elmau abzureißen. Nun musste ich es wieder
aufbauen und habe die Mehrheit der Anteile übernommen. Ich wollte etwas
schaffen, das einen anderen Genius Loci hat: Mein politisches Ideal ist
nicht die Freiheit vom Ich, sondern die Freiheit des Ich.
Schloss Elmau ist ein Luxushotel. Wie frei ist man da? Gibt es keinen
Dresscode?
Wenn, dann ist der Dresscode Chaos. Beim Konzert, beim Essen, es gibt keine
Homogenität. Wenn die Leute etwas gemeinsam haben, dann vielleicht einen
Sinn für Ästhetik. Sie kommen aus der ganzen Welt. Das Publikum in Elmau
ist sogar heterogener als hier in Kreuzberg. Ein Drittel unserer Gäste sind
Kinder. Die durchbrechen jede Art von Hierarchie, jede Art von Gruppe. Das
liebe ich, so ein Hotel wollte ich immer.
Eine gewisse soziale Homogenität muss es schon geben. Laut Homepage kostet
eine Übernachtung für zwei Personen 600 bis 1.000 Euro.
Das günstigste Zimmer kostet 200 Euro, mit Essen, Konzerten, Spa und allem
drum und dran.
Viele können auch so einen Preis nicht bezahlen.
Ja. Ich beschäftige aber auch 350 Leute und muss jeden Monat eine Million
Euro für die Gehälter bezahlen. Die Frage setzt falsch an. Es kann sich
auch nicht jeder die Zugfahrt nach Berlin leisten. Daran trägt Berlin aber
keine Schuld.
Ich mache Ihnen keinen Vorwurf. Ich will nur das Bild der Vielfalt, das Sie
zeichnen, relativieren.
Ja, es gibt eine beschränkte Vielfalt, wie an jedem anderen Platz auf der
Welt. Wir sind keine Sozialeinrichtung, wo jeder umsonst hinkann. Trotzdem
ist die Vielfalt in Elmau größer als in Kreuzberg.
Inwiefern?
In Kreuzberg gibt es einen Druck zur Konformität. Ein grüner Politiker darf
nicht in unser Restaurant kommen, wenn er sich das nicht vorher hat
genehmigen lassen von bestimmten Leuten. Auch von Geschäften in der
Oranienstraße höre ich, dass ihnen gedroht wurde, wenn sie etwas mit uns
zusammen machen wollen. Diesen Druck zur Gleichmacherei, den haben wir in
Elmau nicht.
Macht es Sie bitter, dass Sie in Berlin nicht mit offenen Armen empfangen
wurden?
Das stimmt ja nicht, wir haben eine überwältigende Zustimmung erfahren! Die
meisten Leute sagen uns, dass es toll ist, was wir hier machen. Das
Restaurant ist fast jeden Abend ausgebucht. Aber es gibt eine kleine
Gruppe, die sehr militant ist und nicht davor zurückschreckt, zu Gewalt
aufzurufen. Das ist Terror. Sie versuchen einzuschüchtern. Ich will da
nicht kuschen.
Es gab nicht nur die militanten Proteste. Auch der grüne Baustadtrat von
Friedrichshain-Kreuzberg, Florian Schmidt, hat kritisiert, das Hotel sei
ein „Baustein der Gentrifizierungsdynamik“.
Ich finde unglaublich, wie Florian Schmidt sich verhält. Dieses ganze
Projekt ist nur auf Drängen seines Vorgängers, ebenfalls ein Grüner,
entstanden. Nun kommt Florian Schmidt kurz vor der Eröffnung rein und
erklärt mir, wie toll er das Hotel findet, dass er es auch genehmigt hätte.
Dann geht er zur Tür raus und sagt den Leuten das, was Sie gerade zitiert
haben. Das finde ich unaufrichtig.
Mal abgesehen vom Stil: Verstehen Sie sein Argument?
Uns in einen Topf mit Immobilieninvestoren zu werfen, finde ich nicht fair.
Wir haben niemanden vertrieben, das Gebäude stand leer. Wir haben nur das
wieder aufgemacht, was hier vor hundert Jahren schon war: ein Café und eine
Konzertbühne. Was wäre denn die Alternative gewesen, Leerstand wie in den
letzten zehn Jahren? Will Schmidt lieber Büros? Ein Kaufhaus? Oder ein
Billighotel? Das gibt es schon ein Stück weiter, die haben 200 Zimmer und
20 Angestellte. Wir haben 40 Zimmer und 60 Angestellte. Wir zahlen hohe
Gehälter. Das Geld dafür müssen wir verdienen. Also müssen wir eine
bestimmte Qualität bieten und einen angemessenen Preis verlangen.
Es gibt Leute, die sagen, sie hätten statt eines Hotels lieber etwas
Gemeinnütziges gehabt.
Jetzt ist es ein sozialer Treffpunkt für Künstler geworden. Kommen Sie
abends her und schauen, was hier los ist! Unser kulturelles Engagement ist
gemeinnützig. Auf der Bühne, wo der Flügel steht, hätten wir Tische
aufbauen können, um den Umsatz des Restaurants zu steigern. Wir betreiben
das Hotel wegen der Kultur. Wir betreiben nicht die Kultur, um das Hotel zu
füllen. Wir nehmen auch keine hohen Preise. Sie können hier superpreiswert
gut essen.
Die Hauptgerichte kosten laut Speisekarte zwischen 20 und 30 Euro, das ist
für Berlin nicht gerade günstig . . .
Sie können hier schon für 7 Euro essen. Wir müssen ja auch schauen, dass
wir die Gehälter bezahlen können. Auf lange Sicht wird sich das Hotel für
den Gebäudebesitzer hoffentlich rentieren. Aber wir gehen nicht davon aus,
dass wir hier in den ersten Jahren Gewinne erwirtschaften, wir haben
schließlich nicht shabby-chic gebaut. Das Hotel ist dafür auch viel zu
klein. Achtsamkeit ist der einzige Luxus, den wir unseren Gästen bieten.
Wollen Sie sagen, Sie machen das Ganze nur aus Spaß an der Freude?
Nein. Wir wollen überleben und unsere Schulden zurückzahlen. Vor allem geht
es mir persönlich dabei aber um die Kultur. In Elmau habe ich seit 1998
jedes Jahr vier oder fünf akademische Symposien organisiert, 1998 war ein
Thema „Globalisierung ohne Migration?“, 1999 „Wagner im Dritten Reich“.
Elmau war meine Privatuni. Kultur ist für mich intellektueller Gewinn.
Aber Sie und Ihre Familie leben auch gut von den Hotels.
Wir sind nicht abgesichert. Wenn Elmau nicht überleben sollte, verlieren
wir alles. Wir können davon leben, aber wir leben bescheiden.
Was heißt bescheiden für Sie?
Ich bin kein Materialist. Luxus ist für mich nicht, auf einem Segelboot im
Mittelmeer herumzuschippern, sondern ein Leben zu führen mit guter Musik,
mit guter Literatur, mit politischem Engagement.
Sie schätzen ja gerade die Vielfalt in der Kultur. Warum sagen Sie dann,
dass im Hotel nur Berliner Künstler auftreten?
Stimmt, das passt eigentlich nicht. Der Grund ist: Wir wollten uns
unterscheiden. In Berlin gibt es mehr Kultur als in jeder anderen Stadt,
aber keine Bühne, wo nur Berliner Künstler auftreten. Wir wollen machen,
was es so bisher nirgendwo gab, auch aus einer Wertschätzung heraus für die
Künstler, die hier wohnen.
Sie wollen sich damit auch ein bisschen beliebt machen bei den Berlinern?
Nein. Als wir das entschieden haben, wusste ich gar nicht, was hier los
ist. Ich lebe in der Welt dieser Musiker und bin mit vielen befreundet.
War Ihnen nicht bewusst, wie politisch aufgeladen der Oranienplatz ist? Bis
2014 wurde er noch von Flüchtlingen besetzt.
Das war, als die Bauarbeiten für das Hotel starteten. Ich war damals dafür,
dass die Leute aus dem Flüchtlingscamp sofort eine Arbeitsgenehmigung
bekommen. Wir beschäftigen auch Flüchtlinge im Zimmerservice. Das ist nicht
einfach, schon wegen der Sprache. Aber wir wollen das. Ich fand auch
absolut richtig, wie sich Merkel im Sommer 2015 verhalten hat, dass sie den
Menschen in der Not geholfen hat. Das hat das Image von Deutschland
weltweit dramatisch verbessert. Erst jetzt sind wir attraktiv geworden auch
für die besten Fachkräfte. Aber zurück zum Oranienplatz: Kreuzberg war für
mich immer vor allem ein kreatives Zentrum. Kreuzberg ist widersprüchlich,
komplex, offen, kosmopolitisch, tolerant.
Freiheit bedeutet Ihnen viel. Darum geht es auch den Kreuzbergern, die
gegen Gentrifizierung protestieren. Sie werden eingeschränkt in ihrer
Freiheit, wenn sie nicht mehr selbst entscheiden können, ob sie hier weiter
wohnen.
Das verstehe ich schon. Andererseits ist es ein komisches Argument. Ich
kann ja auch nicht fordern: Ich will jetzt in Mitte leben, obwohl ich mir
das nicht leisten kann. Wenn ich nicht Eigentümer bin, habe ich nicht das
Anrecht zu sagen, ich will an diesem einen Platz für immer leben. Der
Besitzer muss auch die Freiheit haben, sein Eigentum zu verwerten.
Gewerbliche Mieter sind übrigens viel weniger geschützt als die Mieter
einer Wohnung, da sollte etwas getan werden. Zwischen diesen beiden
Freiheiten, der Freiheit des Mieters und der des Eigentümers, muss die
Politik einen Kompromiss finden.
23 Nov 2017
## AUTOREN
Antje Lang-Lendorff
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Farbbeuteln.
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