Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Monteverdi-Oper in Hamburg: Ihr da oben, wir hier unten
> Claudio Monteverdis Opern fangen auf archaische Weise existenzielle
> Grundfragen ein. Das zeigt auch die Neuproduktion der „Heimkehr des
> Odysseus“ in Hamburg
Bild: Wenn sich die Götter langweilen, spielen sie mit den Menschen
HAMBURG taz | Am Ende ist der Mensch nur eine Marionette: An schwarzen
dicken Bändern hängt er da, nackt und ausgeliefert, während sich der
Liebesgott Amor als Puppenspieler gefällt. Das Schicksal in Gestalt einer
rastlos umherhüpfenden Frau hat den Menschen zuvor schon gepiesackt. Ebenso
die Zeit: Komponist Claudio Monteverdi lässt einen Sänger mit tiefer Stimme
genüsslich sich ausmalen, wie schnell das Leben verfliegt, wie die Zeit an
allem nagt, alles vergehen lässt. Und der Mensch weiß, dass er sterblich
ist: Immer wieder singt er voll Schmerz davon.
Schon der Prolog zur eigentlichen Handlung spannt hier also den ganz großen
Bezugsrahmen auf. In der Hamburger Inszenierung von Willy Decker schnurrt
dieser Prolog durchchoreografiert bis ins letzte Detail ab. Da wirft die
Zeit mit weißen Federchen, die kraftlos zu Boden sinken; da zieht und zerrt
der Chor am Menschen, reißt ihm die Kleider vom Leib, bis er eben als
Marionette Amors endet. Womit wir beim Kernthema wären: die Liebe.
Monteverdi erzählte 1640 in seiner Oper „Die Heimkehr des Odysseus“, wie
dieser Odysseus, der König von Ithaka, nach 20 Jahren aus dem Trojanischen
Krieg zurückkehrt und wie seine Ehefrau erst wieder emotional auftauen
muss; zu lang hat Penelope auf ihren Ehemann warten müssen. Bei ihrem
ersten Auftritt bricht ihr ganzer Kummer aus ihr heraus.
Penelope sieht nun in Hamburg aus wie eine dieser trauernden Promi-Witwen:
Ganz in Schwarz gekleidet, das glänzende schwarze Haar zu einer kunstvollen
Hochfrisur drapiert, im blassen Gesicht eine riesige Sonnenbrille – so
sitzt sie auf einem Stuhl im quasi leeren Raum, klagend, aber die Haltung:
tadellos. Ausstatter Wolfgang Gussmann hat eine riesige kreisrunde Scheibe
auf die Bühne der Staatsoper montiert. Darauf liegt Odysseus mit nacktem
Oberkörper, ausgespuckt vom Meer, und singt seine ersten Worte: „Schlafe
ich noch oder wach’ ich?“ Den Strand seiner Heimat erkennt er nicht wieder.
Die Göttin Minerva bietet ihm Hilfe an, verändert sein Aussehen: In der
Gestalt eines alten Bettlers kann er erkunden, was seine Frau macht – und
ob sie ihm treu ist.
Überhaupt die Götter: Sie greifen zum Zeitvertreib ins menschliche Leben
ein. Immer wieder fährt hinten ein Podium hoch, darauf eine lange Festtafel
mit einer Menge Champagnerflaschen, darüber schwebt ein opulenter
Kronleuchter. Die Götter tragen festliche Anzüge, die Göttinnen
Abendkleider in noblem Seidenblau. Wenn Göttervater Giove, Jupiter, mit
einer Art Zauberstab herumfuchtelt, blitzt und donnert es bei den Menschen
und der Lauf des Geschehens ändert sich. Auf diese Weise verhindert Giove,
dass die drei Freier Penelopes deren Sohn ermorden. Auch sorgt er dafür,
dass dieses aufdringliche Trio die Bogenprobe nicht besteht: Allesamt
scheitern sie daran, Odysseus’ Bogen zu spannen. In der Hamburger
Neuproduktion ist das nun amüsant inszeniert: bei dem einen ist der Bogen
plötzlich so schwer, dass er ihn nicht mehr anheben kann; der andere sieht
den ganzen Bogen nicht mehr; der dritte schließlich steht stocksteif da wie
gelähmt.
Regisseur Decker vertraut ganz auf die Kraft von Monteverdis später Oper.
In klaren, gekonnt durchinszenierten Bildern erzählt er diese alte,
bekannte Geschichte; das Textbuch zur Oper beruht auf dem zweiten Teil von
Homers „Odyssee“. In Erinnerung bleiben verspielte Momente: Wenn die Götter
Papierflieger in Richtung Menschenwelt abschicken. Oder das wieder vereinte
Ehepaar am Ende ganz eng beieinander auf dem Boden hockt – so als wollten
sie nie wieder auch nur einen Zentimeter Abstand zwischen sich zulassen.
Seine stärksten Momente hat die Hamburger Produktion – zu großen Teilen
eine Übernahme vom Opernhaus Zürich –, wenn es den Sängerinnen und Sängern
gelingt, Monteverdis Gesangsstil in urmenschlichen Ausdruck zu verwandeln.
Denn das ist das Besondere, durch Monteverdi zu Beginn der Operngeschichte
verfeinert: dieses ins Singen gesteigerte Sprechen, Klagen und Jubeln.
Dafür braucht es fähige Sänger-Darsteller, die es verstehen, die Gefühle
ihrer vom Leben gebeutelten und manchmal auch beglückten Figuren hörbar
werden zu lassen.
Kurt Streit als Odysseus verkörpert glaubhaft den geprüften Helden, der
sich auf das Spiel mit den Göttern einlässt. Sein schon etwas
wettergegerbter Tenor passt hervorragend zu diesem Charakter, der wild
entschlossen ist, sein Liebesglück zurückzuerobern. Die italienische
Altistin Sara Mingardo verleiht ihrer Penelope dunkle, abgründige Töne; sie
hat eine im Grunde undankbare Partie: fast nur Verzweiflung, und die bis
zum Schluss.
So tritt die Aufführung nach der Pause zunehmend auf der Stelle. Das
zurückgewonnene, in schönsten Arabesken besungene Liebesglück entschädigt
am Ende dann zwar etwas für die Längen, aber ganz vergeht der Eindruck von
Länglichkeit eben nicht. Das liegt auch an Monteverdis spröder
Musiksprache. Das erwähnte, ins Singen gesteigerte Sprechen, das typische
Monteverdi-Parlando: Es kann den Charme von akustischem Knäckebrot haben
–und das hatte es in der besuchten Aufführung auch immer mal wieder.
Hamburgs Staatsoper hat für diesen Monteverdi das Originalklang-Ensemble
„Collegium 1704“ aus Prag engagiert. Unter Leitung von Václav Luks
entfaltet die Musik des Italieners ihre archaische Kraft. Seinen 450.
Geburtstag – zu begehen eigentlich schon im Mai – begeht in diesem Jahr die
gesamte Musikwelt, Hamburg gehört aber zu den wenigen norddeutschen
Städten, die vor diesem Hintergrund auch eine komplette Monteverdi-Oper
aufführen. Gut so.
Nächste Aufführungen: 4., 7., 9. + 11. November, Hamburgische Staatsoper
3 Nov 2017
## AUTOREN
Dagmar Penzlin
## TAGS
Oper
Inszenierung
Oper
Elbphilharmonie
Bremen
Staatsoper Hamburg
Elbphilharmonie
## ARTIKEL ZUM THEMA
Victoria and Albert Museum in London: Die Oper ist Diskurs
Die Ausstellung „Opera: Passion, Power and Politics“ zeigt Europas
Kulturgeschichte des Singspiels. Das könnte sogar Schüler*innen
faszinieren.
Ein halbes Jahr Elbphilharmonie: Musik überholt Politik
Hamburgs Elbphilharmonie hat in den ersten sechs Monaten alles hinter sich
gebracht: Klassik, Einstürzende Neubauten, Syrien-Festival,
Dirigentenwechsel, G20. Und hat sich als Haus gesellschaftspolitischer
Debatten bewährt.
Kultur wird elitär gemacht: Eintritt frei!
Warum bei uns so wenige Kulturinstitutionen eine demokratische
Eintrittspolitik hinbekommen – und Menschen durch Preise abschrecken.
Saisonstart an Hamburger Staatsoper: Mit Kraftausdrücken, ohne Rückenlehne​
Mit „Weine nicht, singe“ vom Schweizer Komponisten und Schlagzeuger Michael
Wertmüller wird die Hamburgische Staatsoper ihrem Anspruch auf Innovation
gerecht​
Neuer Musikfest-Anlauf: Orte für die Ohren
Hamburg hat wieder ein Musikfest. Respekt verdient der Initiator,
Elbphilharmonie-Intendant Christoph Lieben-Seutter, schon dafür, dass er
die teils zerstrittene Szene mit ins Boot bekommen hat. Programmatisch
herausgekommen ist dabei ein hochklassiger, aber unverbindlicher Mix.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.