| # taz.de -- Geruchssinn von Tieren: Drogen, Bomben, Leichen | |
| > Weil unser Geruchssinn verkümmert ist, trainieren wir Leichenspürhunde. | |
| > Aber auch Bienen und Schimpansen haben eine feine Nase. | |
| Bild: Die Nase eines Hundes kann man auf alles trainieren | |
| Nietzsche war sich noch sicher: „Ich erst habe die Wahrheit erkannt – indem | |
| ich sie roch. Mein Genie liegt in meinen Nüstern.“ Inzwischen ist es jedoch | |
| mit unserem Geruchssinn nicht mehr weit her, deswegen nimmt man dafür gerne | |
| Hunde. Mit ihrer feinen Nase müssen sie immer mehr erschnüffeln: Trüffel, | |
| Drogen, Bomben, Vermisste, Leichen … Eigentlich kann man ihre Nase auf | |
| alles trainieren. | |
| Der englische Soldat Hugh Lofting verfasste 1917 – umgeben von toten Tieren | |
| und Menschen auf dem Schlachtfeld – ein Kinderbuch, das berühmt wurde: „Dr. | |
| Dolittle und seine Tiere“. Kurt Tucholsky schrieb: „Es kommt darin Jip, der | |
| Hund von Dr. Dolittle, vor, der sehr gut riechen kann. Einmal lag er auf | |
| dem Deck eines Schiffes und witterte, wo der verlorene Onkel wohl sein | |
| könnte (es war da ein Onkel verloren gegangen). Er stellte sich hin, zog | |
| die Luft ein und analysierte. Dabei murmelte er: ,Teer, spanische Zwiebeln, | |
| Petroleum, nasse Regenmäntel, zerquetschte Lorbeerblätter, brennender | |
| Gummi, Spitzengardinen, die gewaschen werden – nein, ich irre mich, | |
| Spitzengardinen, die zum Trocknen aufgehängt worden sind, und Füchse – zu | |
| Hunderten – junge Füchse – und – Ziegelsteine', flüsterte er ganz leise, | |
| ,alte gelbe Ziegel, die vor Alter in einer Gartenmauer zerbröckeln; der | |
| süße Geruch von jungen Kühen, die in einem Gebirgsbach stehen; das Bleidach | |
| eines Taubenschlags – oder vielleicht eines Kornbodens – mit | |
| daraufliegender Mittagssonne, schwarze Glacéhandschuhe in einer | |
| Schreibtischschublade aus Walnußholz; eine staubige Straße mit Trögen unter | |
| Platanen zum Pferdetränken; kleine Pilze, die durch verfaultes Laub | |
| hindurchbrechen‘, und – und – und. Das ist nicht gemacht – das ist | |
| gefühlt“, freute sich Tucholsky. | |
| Um 1900 begann in den USA die systematische Ausbildung von | |
| Leichensuchhunden. Damals – zu Zeiten der Prohibition und der Mafia – gab | |
| es immer mehr Verschwundene und Ermordete. Gleichzeitig wurden die ersten | |
| Detektive und Sensationsjournalisten bekannt – Schnüffler genannt –, denn | |
| nicht selten ging es auch ihnen um den „Odor mortis“. | |
| Eine Gruppe in Deutschland phänomenologisch ausgebildeter Chefreporter um | |
| Robert Ezra Park gründete 1920 die Chicago School of Sociology, in ihr | |
| gehört bis heute das „Nosing Around“ zum Unterrichtsprinzip. „Die Geburt | |
| der Soziologie aus dem Geist der Reportage“, nennt der Soziologe Rolf | |
| Lindner das in seiner Dissertation. | |
| Das „Nosing Around“ gilt auch für die heutigen Leichensuchhunde, denn sie | |
| „arbeiten sich im Einsatzgebiet ihre Fährten selbständig aus“ – ohne Le… | |
| und Befehle, aber mit einem möglichst „schönen Suchmuster“, wie die | |
| amerikanische Medientheoretikerin und Leichensuchhundebesitzerin Cat Warren | |
| in ihrem Buch „Der Geruch des Todes“ schreibt. „Das Leben und die Karriere | |
| solcher Hundemenschen [wie die Autorin] sind so eng mit ihren Tieren | |
| verwoben, dass es schwierig sein kann, zu erkennen, wo der Mensch endet und | |
| wo der Hund beginnt“, heißt es einleitend. | |
| Beide lieben ihre Selbstständigkeit, ihr Schäferhund Solo darf auch mal | |
| beißen, im Einsatz sollte er einen „intelligenten Ungehorsam“ zeigen und | |
| das „Suchgebiet wie ein ‚Vermessungstechniker auf Methamphetamin‘ | |
| ablaufen“. Cat Warren riecht im Wald bloß die Erde, „Solo riecht die | |
| Verstorbenen.“ Dann „glitzern seine braunen Augen glücklich und | |
| ungeduldig“. Er war ein „Einzelwelpe, seine junge Mutter Vita eine | |
| triebstarke Importhündin aus Westdeutschland“. | |
| ## Forschungslage ist nicht besonders üppig | |
| 2012 wurden in den USA 48.000 Personen „vermisst“. Wenn es sich um die | |
| Suche nach einer Wasserleiche handelt, muss der Hund im Schlauchboot den | |
| paddelnden Menschen dirigieren. Und er sollte auf klare Weise, „anzeigen“, | |
| wenn er meint, die Geruchsquelle gefunden zu haben. Für das Buch über ihre | |
| Arbeit mit Solo setzte sich Cat Warren „intensiv mit der Hundenase | |
| auseinander“. Die Forschungslage dazu ist nicht besonders üppig. | |
| Den Menschen sind die Augen wichtiger. Der Kassler Philosoph Ulrich | |
| Sonnemann spricht gar von einer „Okulartyrannis“, die unsere anderen Sinne | |
| verkümmern ließ und damit auch das Interesse daran. Cat Warren erwähnt | |
| unter anderem eine tschechische Studie aus dem Jahr 2011, bei der gut | |
| trainierte Spürhunde „problemlos und korrekt zwischen den Geruchsprofilen | |
| eineiiger Zwillinge unterscheiden“ konnten. | |
| Zum Trainieren der Leichensuche ihres Hundes sammelte sie faules Fleisch | |
| und Knochen in Weckgläser. Ähnlich wie die Stasi Geruchsproben von | |
| „Zielpersonen“ anlegte. Ein anderer Gebrauchshundetrainer begann mit den | |
| „stinkenden Chemikalien Cadaverin und Putrescin, die entstehen, wenn | |
| tierisches Gewebe zersetzt wird. Aber auch manche Käsesorten und Mundgeruch | |
| enthalten dieses Gemisch.“ Wieder ein anderer kombinierte „eine Reihe von | |
| Chemikalien mit verschwitzten Soldatenuniformen und Affenfleisch“. | |
| Man sollte meinen, tote Menschen würden so ähnlich wie tote Schweine | |
| riechen, der Geruch ähnelt jedoch eher toten Hühnern: „Bio-Hühnchen“, | |
| präzisiert die Autorin, die es wissen muss. | |
| ## Katzen kooperieren nicht | |
| In der Vergangenheit hat man versucht, auch andere Tiere mit guten Nasen zu | |
| trainieren – Katzen zum Beispiel. Das wurde jedoch schnell wieder | |
| aufgegeben, „weil sie sich demonstrativ weigerten, verlässlich mit den | |
| Männern zu kooperieren“. Katzen können dafür viel schneller sehen als Hunde | |
| – beim „Hütchenspiel“ etwa sind sie unschlagbar, während Cat Warrens | |
| deutscher Schäferhund Solo dabei „abwechselnd aus Frustration und | |
| Entzückung heulte“. | |
| Bienen haben ebenfalls einen ausgezeichneten Geruchssinn, lassen sich aber | |
| eigentlich nur auf „angenehme Gerüche“ trainieren. Der Zoologe Karl von | |
| Frisch entschlüsselte 1920 die „Tanzsprache“ von Suchbienen, mit denen sie | |
| auf einer vertikalen Wabenfläche den anderen Bienen im dunklen Stock | |
| Richtung und Entfernung eines ergiebigen Blumenfeldes anzeigen, wobei sie | |
| mit den Flügeln einen begeisternden Schwirrton erzeugen, der zugleich den | |
| Duft der Blüten übermittelt. | |
| Neben dieser Entdeckung, für die Karl von Frisch 1973 den Nobelpreis bekam, | |
| experimentierte er mit der „Duftorientierung“ der Bienen, indem er sie | |
| „dressierte, auf einen bestimmten Geruch anzusprechen“, bevor er sie | |
| freiließ, damit sie die entsprechenden Blumen aufsuchten. | |
| Seine „Methode der Bienendressur verbreitete sich ab 1927 schnell in der | |
| Sowjetunion“, schreibt der Biologe Jossif Chalifman in seinem „Kleinen | |
| Bienenbuch“ (1955), in dem es heißt: „Auf der Krim beobachteten Imker, wie | |
| die dressierten Bienen in Massen mit Höschen aus Blütenstaub vom Wein zu | |
| den Stöcken zurückkehrten. Niemals hatten Bienen den Wein besucht, und hier | |
| besuchten die mit Sirup aus den Blüten der [georgischen] Rebe ‚Tschausch‘ | |
| gefütterten Bienen nur diese Sorte. Unfehlbar fanden sie diese unter | |
| Dutzenden anderer Sorten heraus. Die Bienen erwiesen sich als fähig, die | |
| Weinsorten zu unterscheiden.“ | |
| Schimpansen können zwar nicht so gut riechen wie Hunde und Insekten, dafür | |
| können sie sich jedoch in unserer Sprache darüber verständigen – und zwar | |
| in der Gebärdensprache. Ein berühmtes Beispiel ist die Schimpansin Washoe | |
| (1965–2007), die bereits als Fünfjährige 132 Zeichen „verläßlich benutz… | |
| und in der Lage war, hunderte weiterer zu verstehen“, zudem setzte sie ihre | |
| Wörter „zu neuen Kombinationen zusammen“. Zum Beispiel wollte sie einen Zug | |
| aus der Zigarette, die ihr Sprachtrainer gerade rauchte: „Gib mir Rauch, | |
| Rauch Washoe, schnell gib Rauch“, sagte sie. „Frag höflich“, erwiderte e… | |
| „Bitte gib mir diesen heißen Rauch“, antwortete sie. | |
| Ihr Trainer war der US-Psychologe Roger Fouts, der über sie und einige | |
| andere Schimpansen ein Buch schrieb: „Unsere nächsten Verwandten. Von | |
| Schimpansen lernen, was es heißt, ein Mensch zu sein“ (1997). Washoe hatte | |
| unter anderem das Wort „Blume“ gelernt, benutzte es aber auch für | |
| Pfeifentabak und Küchendunst: „Sie mag also mehr an Gerüche gedacht haben, | |
| wenn sie es gebrauchte, als an die optischen Eigenheiten bunter Blumen.“ | |
| Man kann daraus schließen, dass sie ihrer Nase mehr Wahrheit zugestand als | |
| ihren Augen. | |
| 4 Nov 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Helmut Höge | |
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