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# taz.de -- Aktion zum Reformationstag: Bei Luther! Jugend hat Reformbedarf
> Autoritär und humorlos: Die Landeskirchenjugend schlägt zu 500 Jahren
> Reformation ein kritisches Thesenpapier an 300 Kirchentüren.
Bild: Das Original: Die Thesentür an der Schlosskirche zu Wittenberg
Die evangelische Jugend geht zum Luther-Jubiläum hart ins Gericht mit ihrer
Kirche: „Die evangelische Kirche ist ohne Visionen. Sie ist in ihren
Strukturen gefangen, ohne sich mit den wirklich wichtigen Fragen zu
beschäftigen“, heißt es in einem [1][Thesenpapier], das die
Jugendorganisation EJBO der Landeskirche Berlin-Brandenburg-schlesische
Oberlausitz in der Nacht zum Reformationstag an 300 Berliner Kirchentüren
nagelte.
Man erinnert sich: Vor 500 Jahren tat Martin Luther in Wittenberg das
Gleiche – mit dem Ergebnis, dass dank seiner 95 Thesen zur Reformation
einer dekadenten mittelalterlichen Papstkirche der Katholizismus im Ostteil
der heutigen Republik bald (beinahe) Geschichte war.
Eine neue Kirche will die christliche Jugend nun zwar nicht gleich gründen,
und es sind auch nur 15 Thesen, die nach Auskunft von Landesjugendpfarrerin
Sarah Oltmanns etwa 100 Jugendliche in der Nacht zu Dienstag an die
Kirchentüren pinnten. Aber natürlich wollten sie schon „einen Mangel
verdeutlichen“.
Viele Gemeinden täten sich etwa sowohl mit Humor als auch mit Zweifeln am
Glauben oft sehr schwer, sagt Oltmanns. „Für Lachen oder Applaudieren im
Gottesdienst, selbst wenn man ein schönes Konzert gehört hat, erntet man
häufig noch schiefe Blicke. Da ist oft eine Atmosphäre, die wenig erlösend
ist.“ Diese doch eigentlich zentrale Botschaft des Christentums werde
gerade für junge Leute so aber „sehr wenig spürbar“.
Kritik übt die EJBO, die laut Oltmanns zwei Jahre lang mit der Aktion
beschäftigt war, auch an hierarchischen Strukturen: Man fühle sich „häufig
unerwünscht“ mit eigenen Ideen, schreiben die Jugendlichen. Zum Beispiel
müssten Jugendgruppen oft um Räume in den Gemeindehäusern kämpfen.
## 12.000 Kirchenaustritte pro Jahr
Mit dem Thesenanschlag wollen sie nun eine Diskussion in den Gemeinden
anstoßen. Tatsächlich wird die Kirche angesichts ihres Mitgliederschwunds
den Unmut der Jungen wohl ernst nehmen müssen: Seit Jahren treten laut
Kirchenstatistik rund 12.000 Menschen pro Jahr aus der Berliner
Landeskirche aus – und auf 100 Austritte kommen nur sieben Neumitglieder.
Gerade in Berlin sei es für christliche Jugendliche zudem nicht leicht:
„Sie machen oft Mobbingerfahrungen, insbesondere in den östlichen
Stadtbezirken wie Lichtenberg oder Marzahn-Hellersdorf“, sagt Oltmanns.
Dort, genau wie in den vielen ausgedünnten Kirchengemeinden in Brandenburg,
wirkt noch nach, dass das SED-Regime in der DDR die Kirche ganz bestimmt
nicht stärkte. Ganz im Gegenteil.
Aber auch in Teilen von Neukölln würden bekennende ChristInnen von
MitschülerInnen angegangen, sagt die Pfarrerin. Ob das nun muslimische
Jugendliche seien, spiele aus ihrer Sicht aber keine Rolle. Tatsächlich
hatte im Sommer allerdings auch eine stichprobenhafte Befragung des
American Jewish Committee an 20 Schulen ergeben, dass Diskriminierung von
Andersgläubigen durch muslimische SchülerInnen von Lehrkräften als ein
zunehmendes Problem wahrgenommen werde.
Landesbischof Markus Dröge sagte beim zentralen Festgottesdienst in der
Spandauer Nikolaikirche am Dienstag, ChristInnen seien „zu
vornehm-zurückhaltend, wenn es darum gehe, zu zeigen, wozu sie stehen“.
Dröges Predigttext las sich in der Hinsicht allerdings vor allem als
Abrechnung mit einem Rechtspopulismus à la AfD: Wer Angst um „unsere
Kultur“ habe, möge sich doch in der Kirche engagieren, statt Hass und Wut
zu verbreiten.
Am Mittwoch wollen die Jugendlichen Bischof Dröge ihre Thesen überreichen –
mitsamt einer Holztür der Charlottenburger Trinitatiskirche, an der das
Papier ebenfalls hängt. Eine recht massive Form des Protests: Einfach zu
den Akten legen kann der Landesbischof das kritische Papier so jedenfalls
tatsächlich nicht.
31 Oct 2017
## LINKS
[1] http://ejbo.de/projekte/rejbomation/
## AUTOREN
Anna Klöpper
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