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# taz.de -- Langes Wochenende dank Reformation: Ab in die Pilze!
> Jetzt auch endlich mal in Berlin. Denn der Reformationstag ist
> deutschlandweit Feiertag. Aber nur einmalig zum 500. Jubiläum der
> Reformation.
Bild: Augen auf beim Pilzesammeln. Das hier ist ein Brauner Milchling – er gi…
Diesmal sind sie alle mit dabei: Im Jahr seines fünfhundertjährigen
Jubiläums wird der Reformationstag einmalig zum bundesweiten Feiertag.
Sonst geben ja nur die neuen Bundesländer schul- und arbeitsfrei. Was
verwundern mag, denn sind nicht die meisten dort Atheisten? Die glauben
doch normalerweise an gar nichts, nicht an Gott und nicht an die
Demokratie. Dennoch faken sie pro forma Frömmigkeit, um den Tag gemütlich
im Tropical Island verbringen zu können oder, das beliebteste Ziel der
allermeisten, die Berliner zu nerven.
So stellte bislang jeder 31. Oktober eine Demütigung für die Hauptstadt
dar, die den Einfall Hunderttausender gut ausgeschlafener Dorftrottel zum
„Einkaufen“, wie jene das Blockieren der Wege und Glotzen im öffentlichen
Raum nennen, ohnmächtig über sich ergehen lassen muss. Es ist der blanke
Hohn. Während die Berliner arbeiten, schiebt sich eine breiige Masse
Brandenburger selbst durch Rudow und Spandau. Rund um den Ku’damm meldet
sich in Scharen das Verkaufspersonal krank, um dem zermürbenden
Kundenkontakt mit Neuruppinern aus dem Weg zu gehen.
Doch natürlich hat der freche Husarenstreich der Ostmenschen auch etwas
zutiefst Sympathisches. Denn während selbst überwiegend evangelische
Westbundesländer das kalte protestantische Arbeitsethos über die Option
eines kirchlichen Feiertags stellen, machen sich die Schlingel in Thüringen
und Co einen faulen Lenz ganz nach katholischem Vorbild. Weiß dieses doch
für fast jede Woche im Jahr einen eigenen Feiertag an den Haaren
herbeizuziehen: Sobald nur irgendjemand gesehen haben will, dass die
zweitausend Jahre alte Vorhaut des heiligen Pimpf in Sankt Pompf zu bluten,
zu weinen oder zu lachen anfing, rufen die Katholiken sofort eine
dreitägige Bettruhe bei Vanillekipferl und Schweinebraten aus.
An diesem barocken Savoir-vivre, wie es nur der Katholik vor allem
südlicher Prägung beherrscht, nehmen sich die neuen Bundesländer gern ein
Beispiel. Das kann Mentalität und Kultur nur guttun, man vergleiche bloß
die Konfessionsküchen – Kaiserschmarrn oder Coque au Vin hier und Labskaus
oder Gammelrochen dort. Und was nur wenige wissen: Auch sämtliche
Sextechniken landeten erst über den Umweg Altötting im indischen Kamasutra.
## Jetzt schlagen die Berliner zurück
Doch diesmal ist alles anders. Alle sind dabei, selbst diejenigen, die von
Martin Luther noch nie gehört haben. Oder auch solche, die sagen, es wäre
ihm recht geschehen, als ihn 1968 ausgerechnet ein Rassist erschoss, da er
doch selbst Antisemitismus predigte.
Sogar Bayern, wo bis vor Kurzem ein Dorffest nur als gelungen galt, bei dem
wenigstens ein Dutzend Protestanten verbrannt wurden, surft unverfroren auf
dem Reformationsticket mit. Denn wo immer ein weiterer Feiertag winkt, und
sei er auch schlechter beleumdet als Führers Geburtstag, ist der
verschlagene Faulpelz vorne mit dabei. „Saupreiß’ Höllenfahrt“, wie er …
Reformationsfest augenzwinkernd nennt, ist als Gelegenheit, die Füße an
einem x-beliebigen Dienstag im Herbst ganztägig hochzulegen, allemal
willkommen.
Endlich können auch wir Berliner zurückschlagen und uns für den jährlich
erlittenen Befall rächen. Denn nun haben wir selber frei. Und wir werden
durch einen Ausfall aus der belagerten Stadt kontern. Wenn am Dienstag die
Brandenburger aus alter Gewohnheit hereinströmen, werden sie sich wundern,
dass keiner da ist. In einer Finte wie im Dreißigjährigen Krieg ist Berlin
nämlich schon im Morgengrauen kampflos geräumt worden. Die Bevölkerung hat
sich in die Sümpfe zurückgezogen, also genau dorthin, woher die
Eindringlinge stammen. Die werden sich auch wundern, dass es nichts zu
kaufen gibt. Hat ja alles zu. Womöglich wird es daraufhin zu Plünderungen
kommen.
Aber das ist nicht weiter schlimm, wir Berliner halten uns schließlich
schadlos. Zu Millionen nehmen wir den Brandenburgern die Pilze weg.
Einkaufen wollen wir eh nicht, verschont uns um Gottes willen mit euren
Gurken und eurer Sanddornmarmelade. Wir werden eure Kraniche beobachten,
bis sie einen Schreikrampf kriegen. Wir werden – happ, happ, happ! – eure
Hirsche essen, und dem Wisent werden wir, statt ihn wie ihr einfach
abzuknallen, ganz sanft das gekräuselte Fell zwischen den Hörnern
streicheln.
28 Oct 2017
## AUTOREN
Uli Hannemann
## TAGS
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Evangelische Kirche
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