# taz.de -- Obdachloser über einen Kampfbegriff: „Heimat ist teilbar!“ | |
> Für 92 Prozent der Deutschen ist das Wort Heimat positiv besetzt. Was | |
> bedeutet Heimat für Menschen, die kein Zuhause haben? | |
Bild: Heimat ist kein Ort, Heimat ist da, wo es warm ist | |
Anselm von Eulenstein ist obdachlos. Seit 2012 lebt er auf den Straßen | |
Berlins. An diesem Freitag reiht er sich wie viele andere vermeintlich | |
Heimatlose in die Schlange der Stadtmission ein. Nur wenige Kilometer | |
entfernt diskutiert die Hauptstadtpolitik von AfD [1][bis Grüne] und | |
Linkspartei über den Heimatbegriff. | |
taz: Herr von Eulenstein, was bedeutet Heimat für Sie? | |
Anselm von Eulenstein: Heimat ist für die meisten der Gedanke an den Ort, | |
wo man geboren wurde, wo man aufgewachsen ist. Ich fühle mich eigentlich | |
überall zu Hause. Heimat ist für mich, wo ich mich geborgen fühle, deswegen | |
sind es nicht Orte, sondern Menschen, die für mich Heimat bedeuten. Das | |
sind zum Beispiel Menschen wie Schwester Inge von der Berliner | |
Stadtmission. Ehrenamtlich nehmen sie sich Zeit für Menschen, die keine | |
Heimat haben. | |
Haben Sie Ihre Heimat verloren? | |
Ja, ich habe bis heute ein starkes Heimweh nach Österreich, denn meine | |
Kindheit habe ich in Wien und in den Tiroler Bergen verbracht. Deswegen | |
suche ich auch in Berlin die Natur und schlafe im Park, nicht auf der | |
Straße. Auch Berlin ist eine wunderschöne Stadt. Wenn ich könnte, würde ich | |
zwischen Wien und Berlin pendeln. | |
Ist Berlin für Sie zu einem Zuhause geworden? | |
Ich habe als Kind bereits kurze Zeit in Berlin gelebt, sowohl im Osten als | |
auch im Westen. Damals war Berlin für mich aber nie Heimat, ich habe die | |
Spaltung der Stadt so stark erlebt. Viele Jahre später wollte ich dann die | |
Orte meiner Kindheit besuchen und bin geblieben. Heute lebe ich in keinem | |
permanenten Camp, das lässt das Ordnungsamt nicht zu. Ich habe mit jemandem | |
eine Schlafgemeinschaft gebildet, denn alleine hätte ich derzeit Ängste. | |
Wovor? | |
Die Gewalt ist hier allgegenwärtig; Überfälle, Morde, es ist gefährlicher | |
geworden, das sieht man leider auch hier. Nicht umsonst arbeiten Schwester | |
Inge und ich gerade an einem Denkmal für die verstorbenen Obdachlosen | |
unserer Stadt. Ständig aufpassen zu müssen, ist belastend. Deshalb hätte | |
ich natürlich gerne eine Wohnung. Das geht ja nicht allen Obdachlosen so, | |
aber ich würde mein Leben auf der Straße gerne eintauschen. Das Hindernis | |
ist, dass so wenig bezahlbarer Wohnraum zur Verfügung steht. Uns | |
Bedürftigen wird es extrem schwierig gemacht, ein Dach über dem Kopf zu | |
finden. | |
Wie verbringen Sie einen Tag wie heute? | |
Jeder Tag ist anders, heute habe ich schon viel gelesen, gerade sitze ich | |
an einem Psychologiefachbuch. Manchmal gehe ich auch in die | |
Universitätsbibliothek, denn ich interessiere mich sehr für Kultur. Ich | |
gehe häufiger in die Philharmonie und die Oper, wenn man mich lässt. | |
Natürlich muss ich dafür schwarzfahren, ich finde das nicht kriminell. | |
Schließlich klaue ich nicht, ich stehle nicht. Ich will ja niemandem | |
schaden. | |
Können Sie die [2][Diskussion um den Heimatbegriff] verstehen? Ist Heimat | |
für Sie etwas Ausgrenzendes? | |
Heimat kann man teilen, das ist doch auch etwas Wunderschönes! | |
Denken Sie, die Deutschen sollten stolz auf Ihre Heimat sein? | |
Das ist eine schwierige Frage. Da muss ich ja fast wie ein Politiker | |
antworten! Ich finde es ganz schrecklich zu sagen, „ich bin stolz ein | |
Deutscher zu sein“. Letztens habe ich aber gelesen, dass es in Bayern ein | |
Heimatministerium gibt, das wäre doch auch etwas für Berlin! Das Problem | |
ist, wie die AfD mit dem Heimatbegriff jongliert. Ich finde das | |
schrecklich, aber leider war ihr Erfolg abzusehen. Gleichzeitig spielt die | |
Politik gerade auf dem Wohnungsmarkt Flüchtlinge gegen uns Obdachlose aus. | |
Damit meine ich nicht, dass die Flüchtlinge hier nicht hingehören. Ich | |
selbst habe Migrationshintergrund, meine Mutter war Griechin, meine | |
Großmutter Armenierin, ich komme aus Österreich. Meiner Meinung nach ist | |
Heimat etwas Verbindendes, vor allem fühle ich mich mit dem Herzen als | |
Europäer. Wir leben hier als Europäer mit so vielen Sprachen zusammen in | |
Frieden, das ist grandios. | |
14 Oct 2017 | |
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## AUTOREN | |
Lisa Dittmer | |
David Gutensohn | |
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