# taz.de -- Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat: Last Exit Biobauer | |
> Als Glyphosat auf den Markt kam, jubelten die argentinischen | |
> Farmergeschwister Calderón. Nun sind sie froh, dass sie den Absprung | |
> geschafft haben. | |
Bild: Gensoja übersteht den Angriff mit dem Breitbandherbizid Glyphosat | |
LOS TOLDOS taz | Der Name passt. El Paraíso, Paradies, heißt die kleine | |
Farm in der argentinischen Provinz Buenos Aires in der Nähe der kleinen | |
Stadt Los Toldos. Hühner scharren nach Würmern und verlorenen Körnern, ein | |
Hahn kräht. Aus den Baumkronen schimpfen kleine grüne Papageien. Hier leben | |
die Geschwister Calderón. Dass sie heute Biobauern sind, hätten sie sich | |
nicht vorstellen können, als sie den Hof von ihrem Vater übernahmen. Dann | |
kam Glyphosat auf den Markt. Aber von vorn. | |
Etwas erhöht und im Schutz der Bäume steht ihr Haus. Dahinter, geduckt, das | |
Haus des einzigen Angestellten, die flache Scheune und die große überdachte | |
Lagerhalle, in der der Wind den Staub zirkulieren lässt und daneben das Rad | |
der Mühle antreibt, die frisches Wasser in das große runde Vorratsbecken | |
aus Beton pumpt. | |
Die 220 Hektar sind ein winziger Teil der Pampa Húmeda. Die feuchte Pampa | |
ist einer der fruchtbarsten Regionen der Welt. Von Uruguay erstreckt sie | |
sich über den Süden Brasiliens bis über weite Teile der argentinischen | |
Provinzen Santa Fe, Córdoba, La Pampa und eben Buenos Aires. | |
Anfang des 20. Jahrhunderts spannte Großvater Caldéron, erst Ochsen, dann | |
Pferde vor den Pflug, um die Ackerkrume umzubrechen. In den 1940er Jahren | |
fuhr der Vater schon mit dem neuen Traktor. Was vorher einen ganzen Tag | |
gebraucht hatte, dauerte nur noch eine Stunde. 100 Hektar Land gehörten der | |
Familie damals. Darauf bauten sie abwechselnd Weizen, Sonnenblumen und Mais | |
und Luzerne an oder ließen Rinder weiden. Später kauften die umliegenden | |
Hektar hinzu. | |
1978 übernahmen die Kinder die Farm, Marco und Marcela. Zuerst bauten sie | |
Soja an, rissen das Unkraut mit den Händen aus. Zu zehnt arbeiteten sie | |
damals. „Herbizide waren zu teuer“, erinnert sich Marco Calderón. „Die | |
Mischungen der Unkrautvernichtungsmittel waren so kompliziert, dass man | |
immer einen Agronomen brauchte“, sagt Marcela. Und diese mutierten immer | |
mehr zu Chemieverkäufern. „Cocktails“ nannten sie ihre Mixturen: Man | |
wusste, wogegen jedes einzelne Herbizid wirkte, aber niemand wusste, wie | |
gefährlich sie als Gemisch waren. | |
## Alles wurde einfacher | |
Dann kam ein billiges und wirkungsvolles Unkrautvernichtungs-mittel auf den | |
Markt. „Glyphosat war eine Befreiung“, sagt Marco. | |
Der Vater hatte damals die Idee: Sie spannten ein mit Glyphosat getränktes | |
Band vor den Traktor. Damit fuhren sie über die niedrig wachsenden | |
Sojapflanzen hinweg und streiften das hochwachsende Unkraut. „Glyphosat | |
wirkt durch den bloßen Kontakt. Pflanzen, die damit in Berührung kommen, | |
sterben ab“, erklärt Marco. | |
Glyphosat riecht kaum und tropft wie frisch gepresstes Olivenöl. Nach gut | |
20 Tagen verliert es seine giftige Wirkung auf die Pflanzen. | |
Mit dem Allroundvernichter hielt auch die Direktaussaat ihren Einzug. Und | |
damit wurde alles einfacher: Die Ackerkrume wurde jetzt nicht mehr | |
umgebrochen, sondern das Saatgut unmittelbar in den Boden eingesät. Dann | |
wurde Glyphosat mit Wasser vermischt und vor der Aussaat auf die Äcker | |
versprüht. | |
Es sei so verlockend einfach gewesen. Sprühen. Warten. einsäen. „Alle | |
wollten Glyphosat“, sagt der 53-jährige Farmer. | |
## Der Siegeszug des Glyphosat | |
Die Vertreter von Banken, Saatgut-, Chemie- und Maschinenfirmen gaben sich | |
nicht nur bei den Calderóns fast täglich die Klinke in die Hand. In der | |
Pampa Húmeda begann der Siegeszug des Glyphosat. „Wenn ich nur die Wahl | |
hätte zwischen Glyphosat und den Chemiecocktails, würde ich immer Glyphosat | |
wählen“, sagt Marco auch heute noch. | |
1994 kauften die Calderóns die großen Saat- und Erntemaschinen, pachteten | |
noch 2.500 Hektar hinzu und bauten großflächig Soja an. Täglich besprühten | |
sie Felder, brachten Düngemittel, Saatgut und Pflanzenschutzmittel aus, | |
holten die Ernte ein, zahlten vom Erlös die immensen Steuern, die Pacht, | |
tilgten die Kredite für Maschinen und Saatgut, nahmen neue auf für den | |
nächsten Anbauzyklus. Marcela, mit erfolgreichem Abschluss in | |
Landwirtschaftsverwaltung, kam vor Papier- und Computerkram kaum noch aus | |
dem Büro. | |
„In der Werbung zeigen sie den Produzenten, wie er auf seiner großen | |
Erntemaschine auf das Display seines Bordcomputers tippt, während ihn der | |
Autopilot über das Feld steuert“, sagt die Farmerin. „Anschließend fährt… | |
mit seinem Toyota Hilux nach Hause, wo ihn die Familie freudig empfängt.“ | |
Tatsächlich werde man getrieben „vom Finanzamt, von kreditgebenden Banken | |
und Inputs vorstreckenden Agrarchemie- und Saatgutfirmen. Aus der feuchten | |
Pampa ist eine riesige Mine geworden, aus der statt Gold und Silber Wasser | |
und Mineralien in Form von Soja abgebaut werde. Marco rauft sich die Haare, | |
während er erzählt. 2012 seien sie ausgestiegen. | |
## Ausstieg war schwer | |
„Es war ein Leben in einer Kreditblase“, sagt Marcela. Was sie brauchten, | |
hätten sie zu 80 Prozent selbst kaufen müssen, nur 20 Prozent seien selbst | |
produziert gewesen. „Heute ist das andersrum.“ | |
Doch der Ausstieg war schwer. Sie hatten Kreditschulden und Angestellte, | |
die entlassen und entschädigt werden mussten. Sie verkauften die Maschinen | |
und den Hilux, gaben die gepachteten Felder ab. Die Beamten vom Finanzamt | |
standen als erstes auf der Matte. Wo denn die Steuern blieben? „Die konnten | |
sich gar nicht vorstellen, dass jemand da aussteigt,“ schmunzelt Marco. | |
Heute machen die Handels- und Bankenvertreter einen Bogen um das Paradies, | |
bleiben die gesponserten Einladungen zu den Verkaufsmessen in aller Welt | |
aus. | |
30 Hektar um das Haus herum sind schon im vierten Jahr ohne Düngemittel und | |
Pestizide. Die anderen 190 Hektar haben sie verpachtet. Die Erlöse dienen | |
noch immer der Schuldentilgung. Irgendwann wollen sie überall ökologisch | |
anbauen. Bei der Direktaussaat sind sie geblieben. Die Erde wird nicht | |
umgebrochen. Doch statt mit Glyphosat das Unkraut zu vernichten, weiden | |
jetzt Schafe die Felder vor der Aussaat ab. „Die fressen auch die | |
hartnäckigsten Unkräuter ab.“ Kot und Urin düngen zugleich den Boden. | |
Marco Calderón stößt den Spaten in den Boden, hebt ihn an und dreht die | |
lockere Erde nach oben. Dicke Regenwürmer winden sich darin. „Ein toller | |
Anblick, nicht wahr?“ | |
Der Markt für Bioprodukte ist erst im Entstehen. Darauf setzen die | |
Caldérons ihre Hoffnung. Und sie werden immer weniger belächelt. Von der | |
nahen Landwirtschaftsschule seien sie gekommen, um Proben von den Böden in | |
der Umstellung und den Böden nach 30 Jahren Direktsaat zu nehmen. Gemessen | |
werde sollte der Gehalt der Biomasse und der Aufnahmebereitschaft für | |
Wasser und Luft. Schon mit bloßem Auge konnte man die Fülle der | |
Mikroorganismen und Würmer erkennen und dass die Erde der Direktsaat | |
praktisch tot war. „Wenn in der Erde Leben ist, ist sie gesund,“ sagen sie | |
in El Paraíso. | |
25 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Vogt | |
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