# taz.de -- Drogenberatung für Geflüchtete: Über Sucht reden | |
> Viele Geflüchtete laufen Risiko, drogenabhängig zu werden. Speziell | |
> geschultes Personal soll ihnen jetzt beratend zur Seite stehen. | |
Bild: Über die Sucht sprechen ist der erste Schritt, sie zu überwinden | |
An seine ersten Suchtberatungstermine für geflüchtete Menschen kann | |
Mohammad Ahmad (Name geändert) sich noch gut erinnern. Er sollte eigentlich | |
die Antworten eines Klienten aus dem Arabischen übersetzten. „Aber anstatt | |
die Fragen der Beraterin zu beantworten, hat der Klient mich gefragt, was | |
er antworten soll und ob es sein Asylverfahren beeinflusst“, erzählt Ahmad. | |
„Er hatte Angst, dass wir die Polizei benachrichtigen.“ Daher habe er in | |
solchen Beratungen oft die Klienten beruhigt und ihnen das Hilfesystem in | |
Deutschland erklärt. „Wenn sie verstehen, dass sie niemand zu etwas zwingt, | |
dass wir Vorschläge machen und sie selbst entscheiden können, was sie | |
umsetzen, nehmen viele gern Hilfe an.“ | |
Für die Beratungsstellen ist es nicht leicht, bis zu diesem Punkt zu | |
kommen. Denn für die Beratung geflüchteter Menschen braucht es mehr als das | |
interne Fachwissen. Daher haben die Suchthilfekoordinator*innen von | |
Tempelhof-Schöneberg, Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln kurz nach der | |
Eröffnung der Notunterkunft in den Tempelhofer Hangars ein | |
bezirksübergreifendes Projekt geplant, mit Vermittlern aus der Community, | |
die nun die Arbeit aufnehmen: Ahmad, der selbst aus Syrien nach Berlin | |
geflohen ist, ist einer von 18 extra geschulten Peers (von Peer Counseling: | |
Beratung Betroffener durch Betroffene; Anm. d. Red.). | |
Die Peers werden zunächst Sprechstunden in Unterkünften in den drei | |
Bezirken anbieten. Sie versuchen, Vertrauen aufzubauen und die Strukturen | |
aufzuzeigen. Über die gemeinsame Sprache und kulturelle Kenntnisse kommen | |
sie besser an die Geflüchteten heran. Dabei hilft ihnen ein | |
interkulturelles Verständnis von Sucht. „In Syrien ist es eine Schande, | |
wenn man sagt, dass man Drogen konsumiert“, sagt Ahmad. Darüber zu sprechen | |
ist mit Scham verbunden. „Viele denken, dass man dann gleich ein Dealer | |
ist.“ | |
Bisher gibt es wenig Erfahrung mit der Suchtberatung für diese Gruppe. Und | |
das, obwohl sich die Leiter*innen der beteiligten Beratungsstellen einig | |
sind, dass Geflüchtete einem besonderen Risiko ausgesetzt sind, abhängig zu | |
werden. In den Unterkünften werden die Menschen lange Zeit „geparkt“, die | |
Vergangenheit sei belastend, die Zukunft hänge in der Schwebe: All das | |
fördere den Griff zu Alkohol oder Drogen, sagt Stefan Wiedemann, Leiter der | |
Drogenberatungsstelle Misfit in Kreuzberg. | |
Andrea Piest, Einrichtungsleitung vom Drogennotdienst in | |
Tempelhof-Schöneberg, spricht von „Entlastungstrinken“. „Die Menschen | |
machen die Erfahrung, dass sie ihre negativen Gedanken und Erfahrungen | |
durch Alkohol- oder Drogenkonsum kurzfristig wegdrücken können“, sagt sie. | |
„Das sind Formen von Missbrauch, die leicht in Abhängigkeit führen können.… | |
## Den Umgang mit Drogen nicht gelernt | |
Hinzu kommt, dass viele Geflüchtete in den Herkunftsländern den Umgang mit | |
Alkohol und Drogen, die hier nun überall verfügbar sind und öffentlich | |
konsumiert werden, nicht gelernt haben. „Vielen ist nicht bewusst, dass | |
Alkohol und Haschisch abhängig machen können“, sagt Piest. „Und wir musst… | |
lernen, dass sie oft Symptome, die wir als Zeichen von Abhängigkeit | |
einordnen würden, ganz anders einordnen, als Krankheit oder als | |
Besessenheit.“ | |
Stefan Wiedemann plant schon weiter. „Wir wollen auch etwas von den Peers | |
lernen“, sagt er. „Davon versprechen wir uns mehr Wissen über den | |
Zusammenhang von Flucht und Drogenkonsum und darüber, wo sich die | |
Zielgruppe bewegt.“ | |
Bisher sind die meisten Peers arabischsprachig. Dabei sieht Wiedemann auch | |
in der Gruppe der aus Afghanistan Geflüchteten, deren Muttersprache Dari | |
und Farsi ist, großen Bedarf. „Eine besondere Herausforderung wird außerdem | |
sein, geflüchtete Frauen zu erreichen“, sagt er. „An die kommen wir bisher | |
kaum heran.“ | |
16 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Uta Schleiermacher | |
## TAGS | |
Drogensucht | |
Geflüchtete | |
Alkohol | |
Rausch | |
Freiburg | |
Willkommensklasse | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Prozess nach Drogen-Experiment: Der Rausch von Handeloh | |
Ein Drogenexperiment während eines Seminars in Niedersachsen ging schief. | |
27 Menschen landeten im Krankenhaus. Nun ist der Psychotherapeut angeklagt | |
Vergewaltigungsprozess in Freiburg: Isolation, Drogen, Flucht, Mord | |
Der Prozess gegen Hussein K., den Flüchtling, der eine Studentin | |
vergewaltigt und ermordet haben soll, beginnt. Es bleibt teilweise bei | |
Vermutungen. | |
Teske-Schule in Schöneberg: Eine „Sonderschule“ für Geflüchtete | |
Die Bildungsverwaltung will ab kommendem Schuljahr jugendliche Flüchtlinge | |
separat in „Profilklassen“ beschulen. Grüne und Initiativen kritisieren | |
das. |