# taz.de -- Libanesischer Baladi-Tänzer: Sie lieben seine Beine | |
> Alexandre Paulikevitch dekonstruiert den traditionell weiblichen Baladi. | |
> Auch das westliche Publikum ist begeistert – und fetischisiert ihn. | |
Bild: Aus der Performance „Mouhawala Oula“ | |
Beirut taz | Ich tanze nicht für dich, nur damit du darüber schreiben | |
kannst (:“, textet Alexandre Paulikevitch über Facebook. Es klingt patzig. | |
Paulikevitch tanzt Baladi, einen ägyptischen Tanz, Europäer*innen besser | |
bekannt als Bauchtanz. | |
Nun fragt die deutsche Journalistin für ein Porträt an und will sehen, wie | |
er seine Hüften kreisen und sein lockiges Haar fallen lässt. Schließlich | |
dreht sich der Artikel um seine Kunst. Paulikevitch zögert. „Wir treffen | |
uns und entscheiden dann über den Tanz-Part, o. k.?“, antwortet er | |
schließlich. | |
Alexandre Paulikevitch, 1982 in Beirut geboren, hat in Paris zunächst Jura, | |
dann Theater und Tanz studiert und lebt seit 2006 wieder in Beirut. Hier | |
tritt er auf und unterrichtet in einem Tanzstudio den Baladi. In seiner | |
Performance „Tajwal“ lief er 2011 zu Beginn nackt auf der Bühne, um seinen | |
männlichen Körper zu präsentieren, dann tanzte er den traditionell mit | |
Frauen assoziierten Tanz. | |
## Protesttanz auf Demos | |
Er ist LGBTQ+-Aktivist, geht mit dem Schild „Tanz ist die Lösung“ zu Demos, | |
choreografierte für die Frauenrechtsorganisation Kafa einen Protesttanz. Im | |
August tanzte er für den libanesischen Sender Al Jadeed live. Vice fragt | |
an, französische, schwedische Medien. Aber man kann nicht sagen, ob | |
Paulikevitch es genießt oder nur genervt ist von den immer gleichen Fragen. | |
Er wählt das Chase, ein steriles Gourmet-Café, puristische braune Stühle | |
und ein Limonadenpreis, den das deutsche Finanzamt sicher nicht als Spese | |
durchgehen ließe. Seine lockigen Haare sind fest zum Dutt gebunden, | |
schwarzes T-Shirt zu kurzer Hose und Turnschuhen. Bevor er Informationen | |
gibt, möchte er Informationen haben. | |
„Was machst du? Warum bist du in Beirut?“, fragt er. Das Aufnahmegerät | |
läuft noch nicht, da erzählt er schon. Paulikevitch schaut eindringlich, | |
seine mit Kajal angemalten Augen blinzeln kaum. Er beschleunigt seine | |
Wörter, findet seinen Rhythmus. „Ich arbeite nicht an modernem Tanz oder | |
Tanztheater im Pina-Bausch-Stil – es ist BALADI!“ ruft er aus. „Und schon | |
gar nicht Bauchtanz oder, pfff, orientalischer Tanz.“ | |
## Orientalistischer Blick | |
Er richtet sich auf. „Sorry, ich muss mich mal dehnen“, sagt er, zwischen | |
den Tischen beugt er sich nach vorne, legt die Hände auf den Boden, streckt | |
die Beine durch. Dann setzt er sich wieder, schaut eindringlich. „Wo war | |
ich? Ah! Ich bekomme diesen orientalistischen Blick. Warum ist Baladi der | |
einzige Tanz, der nicht als Kunst wahrgenommen wird? Der Tanz wird nur in | |
einer sehr vulgären Form gesehen, durch Titten, als Unterhaltung für | |
Männer, fetischisiert durch europäische Männer.“ | |
Er besteht darauf, Baladitänzer zu sein. „Der Tanz ist stigmatisiert. | |
Niemand schert sich um ihn oder nimmt ihn ernst.“ Das möchte er ändern. | |
„Ich will stören. Baladi wird als Unterhaltung gesehen. Ich werde dich | |
nicht unterhalten! Das ist mein Ansatz: Weine, sei wütend, dann starte die | |
Revolution!“ | |
Seine Revolution hat etwas über 25.000 Klicks auf YouTube und heißt Tajwal. | |
Zunächst sind nur seine glatten Beine in blauen High Heels zu sehen, dann | |
füllt Alexandres knallroter Chiffronrock den YouTube-Rahmen. Zu dumpfen | |
Schlägen dreht er sich über die Bühne, formt Wellen mit seinem Bauch zu | |
Störgeräuschen wie Hallen und Rauschen. Erst dann ertönen die | |
Baladi-typischen Percussions, die den Takt vor geben. | |
„Ich wollte diesen Tanz dekonstruieren. Ich tanze zu Straßengeräuschen oder | |
einer Fatwa. Keine arabische Musik.“ Er drückt ein „fttttt“ aus seinem | |
Mund, lässt seine Hand abfällig fallen. „Ich tanze, wie ich will – später | |
entscheide ich über die Musik. Ich sage meiner Soundproduzentin: Ich möchte | |
Ketten, klirrendes Glas, pow, pow, pow, Autos, gib mir was Düsteres, | |
Dunkles. Ich kontrolliere alles.“ Während Paulikevitch redet, gestikuliert | |
er, verdreht seine Finger. | |
## Liste der Beleidigungen | |
In Tajwal kreist sein Oberkörper in einem engen, hautfarbenen Gewand, dann | |
sein Kopf, während die Arme hinter dem Rücken verschränkt sind. Ein | |
Presslufthammer ertönt. | |
„Das Stück habe ich gemacht, nachdem ich mein Auto verkauft habe“, erklärt | |
Paulikevitch . „Ich lief durch die Stadt – und Leute haben mich beleidigt.�… | |
Er schrieb jede Beleidigung auf, nach anderthalb Jahren formten sie eine | |
lange Liste. „Die habe ich dann in die Choreografie eingearbeitet. Und es | |
wird der Gesellschaft zurückgeworfen: Die Beleidigung, der verstümmelte | |
Körper, wie Menschen deinen Körper beeinflussen, wie beschränkt der Körper | |
ist, wie gewalttätig die Gesellschaft mit dem Körper umgeht. “ | |
Hat die Bühne, seine Auseinandersetzung mit Körpern und ihrer Wahrnehmung, | |
einen Einfluss auf die Straße? „Natürlich! Die Öffentlichkeit geht | |
gewalttätig, sexualisierend mit meinem Körper um – aber sie feiert ihn | |
auch. Ich kann mir nicht mehr wünschen als die bezaubernden Reaktionen, die | |
ich hier im Libanon bekomme.“ Er tanzte in der zweitgrößten Stadt Tripoli | |
im Norden, im Gebirge, für den Exminister Michel Pharaon und in | |
palästinensischen Camps. | |
„Jeder weiß, Alex ist nicht Bourgeois“, sagt er über sich, in der dritten | |
Person. Also sind es nicht nur Eliten, die seinen politischen Aktionismus | |
verstehen? „Nicht im Geringsten. Klar, es gibt schon die intellektuelle | |
Elite, aber die ehrlichsten Reaktionen bekomme ich auf dem Land. Die Alten, | |
70-, 80-Jährigen sitzen und warten, dass ich tanze. Hopp, ich tanze und sie | |
geben mir aufrichtige Bewunderung.“ | |
Das bringe den größten Wandel. „So änderst du die Mentalität. In Tripoli | |
habe ich in einem Café voller Männer getanzt. Und ich habe kein einziges | |
negatives Wort gehört. Ich habe die Bude abgerissen!“ Paulikevitch streckt | |
ein Bein aus und fährt mit den Fingern über die glatte Haut. „Sie lieben | |
meine Beine.“ | |
Nach 45 Minuten Gespräch verschwindet er auf der Toilette. Als er | |
zurückkommt, dann endlich die magische Einladung: „Ich habe montags das | |
Studio, da unterrichte ich. Kannst du da kommen? Ich tanze für dich, 10 | |
Minuten, exklusiv aus meinem Stück.“ | |
Im Tanzstudio begrüßt sein gelbes T-Shirt mit dem Aufdruck „come on team“. | |
Er geht aufrecht mit Hüftschwung und angewinkelten Armen durch den Raum, | |
singt leicht zur Musik, um dann die Schülerinnen zu ermutigen: „Super, sehr | |
gut.“ Er wählt einfache Musik für den Unterricht, Viervierteltakt, manchmal | |
Musik aus seiner Kindheit. Gegen Ende der Stunde öffnet er seine Haare und | |
lässt den Kopf kreisen, bevor er die Frauen verabschiedet. | |
Dann beginnt er zu tanzen. | |
Er atmet tief ein und aus, acht Sekunden, zieht sein Shirt aus. Sein | |
gepiercter Bauch bewegt sich leicht, die Arme spannen sich an, dann die | |
anderen Muskelpartien, das Gesicht wirkt angestrengt. Er sieht aus wie ein | |
Bodybuilder, der auf einem Wettbewerb seine Posen präsentiert. | |
## Zerstörung der Normen | |
Die Bewegung geht über in schwingende Arme, die Hüfte kreist | |
eindringlicher, ausschweifender. Seine Mimik ändert sich, der Mund leicht | |
geöffnet, lasziver Blick. Seine Ausstrahlung wandelt sich, bekommt etwas | |
Erotisches. Es erinnert an stereotype maskuline und feminine Posen, die | |
sich abwechseln, dann aber zerstört er die Zweiteilung: Sein Gesicht zuckt, | |
dann wieder neigt er es zur Seite. Seine Atmung ist laut zu hören. | |
Während der 10 Minuten schaut sein Blick eindringlich, als fordere er eine | |
intensive Reaktion auf seinen Tanz. Er tanzt gebeugt, mit kreisender Hüfte, | |
schwingenden Armen, aufgerissenem Mund, verdrehten Augen, die Haare öffnen | |
sich aus dem Dutt. Paulikevitch verlangsamt sich, bis er aufrecht steht. | |
Und dann endlich eine Antwort auf die Frage: Wieso hatte er sich anfangs | |
dagegen gewehrt, für die deutsche Journalistin zu tanzen? „Ich tanze nicht | |
für weiße Europäer, die mich fetischisieren“, erklärt Paulikevitch. | |
„Die westliche Werte bestätigt haben möchten und dann zur LGBTIQ-Community | |
sagen: Wow, so was gibt es? Die mich wie den syrischen Balletttänzer | |
behandeln, der in Palmyra tanzt. Den sie nur zu sich holen, um sagen zu | |
können: Armer Junge, hier bist du frei, hier kannst du tanzen.“ | |
14 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Julia Neumann | |
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