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# taz.de -- Friedensnobelpreis für Ican: Atomkraft? Nein danke
> Ican fordert die weltweite Ächtung von Atomwaffen. Der Friedensnobelpreis
> krönt ein erfolgreiches Jahr. Aber das Ziel ist noch fern.
Bild: Dagegen kämpft Ican: Atomwaffen wie diese Minuteman-III in North Dakota,…
Das ist mal ein Friedensnobelpreis, an dessen moralischer und politischer
Richtigkeit es wirklich nichts zu deuteln gibt: Die Internationale Kampagne
zur Ächtung von Atomwaffen, abgekürzt Ican, ist eine denkbar würdige
Preisträgerin.
Der Nobelpreis krönt ein Jahr, das für die Aktivist_innen von Ican ohnehin
schon einen Riesenerfolg gebracht hatte. Im Juli hatten 122 von 193
Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen ihre Unterstützung für einen
völkerrechtlich bindenden Vertrag zum Verbot atomarer Waffen zum Ausdruck
gebracht – dafür hatte Ican seit ihrer Gründung vor zehn Jahren gekämpft.
Bislang über 50 Staaten haben den Vertrag unterzeichnet; er tritt in Kraft,
wenn ihn 50 Staaten auch ratifiziert haben. Das dürfte innerhalb der
kommenden zwei Jahre der Fall sein.
Die deutsche Bundesregierung gratulierte zwar am Freitag zum
Friedensnobelpreis an Ican, inhaltlich allerdings könnte sie von deren
Forderungen nicht weiter entfernt sein: Erstmals in der Geschichte der
Bundesrepublik hatte Deutschland die Verhandlungen eines internationalen
Abrüstungsvertrags boykottiert. Den 1997 verabschiedeten Ottawa-Vertrag zur
Ächtung von Landminen – ebenfalls eine aus der globalen Zivilgesellschaft
entstandene Initiative und klares Vorbild von Ican – hatte Deutschland
noch im selben Jahr unterzeichnet und schnell ratifiziert. Jetzt sagt die
Bundesregierung, sie unterstütze das Ziel einer Welt ohne Atomwaffen. Aber,
so Regierungssprecherin Ulrike Demmer am Freitag in Berlin: „Wir müssen
allerdings anerkennen […], dass von einigen Staaten nukleare Waffen nach
wie vor als ein Mittel militärischer Auseinandersetzung betrachtet werden.“
Solange dies der Fall sei und Deutschland und Europa hiervon bedroht seien,
bestehe die Notwendigkeit einer atomaren Abschreckung durch die Nato fort.
Tatsächlich hätte der Beitritt zum Vertrag für Deutschland unmittelbare
Folgen: Die bei Büchel stationierten US-Atomwaffen müssten abgezogen
werden, Deutschland müsste die als „nukleare Teilhabe“ bezeichnete
Kooperation mit den USA und im Rahmen der Nato beenden. Dazu ist bislang
keine Bundesregierung bereit gewesen, und das wird sich wohl auch nicht
ändern.
## Ein Appell an die Staaten
Die deutsche Sektion von Ican, die am Freitag zwei Stunden nach der
Bekanntgabe des Nobelpreisträgers [1][zu einer Pressekonferenz in die
grünennahe Heinrich-Böll-Stiftung lud], forderte umgehend, Deutschland möge
dem Vertrag nun schleunigst beitreten. Die Bundesregierung habe dessen
politische Bedeutung völlig verkannt, kritisierte Sascha Hach,
Vorstandsmitglied der deutschen Ican-Sektion.
Darum geht es Ican insgesamt in den nächsten Jahren: die Atommächte und
ihre Verbündeten ins Boot zu holen. Der Vertrag sieht für derzeitige
Atommächte zwei Möglichkeiten des Beitritts vor. Entweder die vorherige
Abschaffung aller in ihrem Besitz befindlichen Atomwaffen oder aber die
Vorlage eines nachprüfbaren Zeitplans zu diesem Zweck.
Ebendas will auch das norwegische Nobelpreiskomitee unterstützen: Man sei
„sich im Klaren darüber, dass ein internationales Verbot per se keine
einzige Atomwaffe abschafft und dass bislang weder die Atommächte noch ihre
engsten Verbündeten den Verbotsvertrag unterstützen. Das Komitee will
unterstreichen, dass die nächsten Schritte auf dem Weg zu einer
atomwaffenfreien Welt die Atommächte mit einschließen müssen. Der
diesjährige Preis ist daher auch ein Appell an diese Staaten, ernsthafte
Verhandlungen im Hinblick auf die schrittweise, ausbalancierte und
sorgfältig überprüfte Abschaffung der fast 15.000 Atomsprengköpfe
aufzunehmen.“
Tatsächlich aber hatten sich alle neun bekannten Atommächte, darunter die
fünf Vetomächte des UN-Sicherheitsrates, USA, Russland, Frankreich,
Großbritannien und China, nicht an den Verhandlungen beteiligt, haben den
Vertrag weder unterstützt noch unterzeichnet, ebenso wie die meisten
Nato-Verbündeten.
## Staaten, die unter Atomwaffen leiden
Ican war 2007 von zwei Ärzten in Melbourne gegründet worden. Bill Williams
und Tilman Ruff gehörten dem Bündnis der Internationalen Ärzte zur
Verhinderung eines Atomkriegs – IPPNW – an, einem Urgestein der alten
Friedensbewegung, als deren Kampagnen-Ableger Ican auch die ersten Jahre
unterwegs war, bevor sich die Kampagne verjüngte und ihre Lobbyarbeit
professionalisierte.
Nach dem Vorbild der Anti-Landminen-Kampagne stellten auch sie die
verheerenden humanitären Auswirkungen des Einsatzes von Atomwaffen in den
Mittelpunkt und entwickelten daraus die Verbotsforderung. Und: Anders als
frühere Kampagnen, die eine Mitarbeit der Atommächte anstrebten, suchte
Ican vor allem die Unterstützung jener Staaten, die selbst nicht über
Atomwaffen verfügten, aber unter den Folgen ihres Einsatzes zu leiden
hätten.
Das Ziel: Auch Nicht-Atomwaffenstaaten sollten bei so wichtigen
internationalen Abrüstungsthemen, die bislang nur unter den
Atomwaffenstaaten verhandelt worden waren – etwa den verschiedenen
Abrüstungsvereinbarungen zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion,
später Russland –, mitzureden haben. Denn, so die Kernaussage, Atomwaffen
seien die einzigen Waffen, deren Einsatz die Existenz der gesamten
Menschheit aufs Spiel setze. Die moralische Führung, um sie loszuwerden,
dürfe nicht gerade den Atommächten überlassen bleiben.
Heute hat Ican über 450 Partnerorganisationen in über 100 Ländern.
Den ersten Durchbruch erreichte die Kampagne schon 2014: Österreich als
Gastgeber der letzten von drei Staatenkonferenzen bekannte sich zum Ziel
des Atomwaffenverbots, 127 Staaten folgten. 2015 richtete die UNO eine
offene Arbeitsgruppe für Vertragsverhandlungen ein, 2016 stimmte die
Generalversammlung, trotz heftigen Gegendrucks der Atommächte, für die
Abstimmung über einen solchen Vertrag im Jahr 2017. Die kam dann im Juli.
Ican hatte einen Riesenschritt vollbracht.
## Provokationen aus Nordkorea
Der Nobelpreis, sagte Ellen Ueberschär von der Böll-Stiftung am Freitag in
Berlin, sei ein „starkes Signal vor allem angesichts der aktuellen
Eskalation“. Gemeint ist freilich vor allem das Hin und Her der Drohungen
zwischen den USA und Nordkorea. US-Präsident Donald Trump hatte kürzlich
vor der UN-Generalversammlung mit der „vollkommenen Zerstörung“ Nordkoreas
gedroht, sollte dort Diktator Kim Jong Un seine Provokationen nicht
einstellen. Auch das Komitee ging darauf ein, wenn es erklärte: „Wir leben
in einer Welt, in der das Risiko, dass Atomwaffen eingesetzt werden, größer
ist als seit Langem.“
Allerdings will das Komitee den Preis weder als Anklage einzelner Staaten
oder Staatsführungen, noch als Kommentar zu einer bestimmten Konfliktlage
verstanden wissen. Man wolle vielmehr alle ermutigen, die an dem Ziel einer
atomwaffenfreien Welt arbeiten.
Dieses Ziel hatte 2009, kurz nach seiner Amtsübernahme, auch der damalige
US-Präsident Barack Obama formuliert, als er in Prag vor 20.000 Zuhörern
seine erste große außenpolitische Rede hielt. Konkrete Abrüstungsschritte
allerdings waren dann während seiner Amtszeit nicht mehr zu vermelden, der
Friedensnobelpreis für ihn noch im selben Jahr kam offensichtlich zu früh
und unverdient.
Sein Nachfolger Donald Trump will von Abrüstungsschritten ohnehin nichts
wissen. Er nutzte seine Rede im September vor der UN-Generalversammlung im
Gegenteil, um sich mit der geplanten Steigerung des US-Militärhaushaltes zu
brüsten, strebt die Modernisierung des nuklearen Arsenals an – und ist eben
im Konflikt mit Nordkorea seit Ende des Kalten Krieges der erste Staatschef
eines demokratischen Landes, der offen mit dem Einsatz von Atomwaffen
droht.
Für die überwiegend jungen Aktivist_innen von Ican – die Schwedin Beatrice
Fihn, internationale Generalsekretärin von Ican, ist gerade 34 – bedeutet
der Preis einen Ansporn und Geld. Die umgerechnet rund 945.000 Euro
Preisgeld sind etwas mehr als ein bisheriges, aus Spenden und Fördertöpfen
finanziertes Jahresbudget der Organisation, die ihr Ziel noch lange nicht
erreicht hat.
6 Oct 2017
## LINKS
[1] /Friedensnobelpreis-fuer-Atomwaffengegner/!5452972
## AUTOREN
Bernd Pickert
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