# taz.de -- Biochemiker über Glyphosat-Gutachten: „Von Monsanto abgeschriebe… | |
> Das Zulassungsamt BfR hat in seinem Bericht weite Passagen von | |
> Herstellern kopiert. Das Pestizid muss verboten werden, sagt Helmut | |
> Burtscher-Schaden. | |
Bild: Glyphosat ist nicht nur für Schmetterlinge schädlich, sondern auch für… | |
taz: Herr Burtscher-Schaden, das deutsche Bundesinstitut für | |
Risikobewertung (BfR) hält den Krebsverdacht gegen das Pestizid Glyphosat | |
für unbegründet. Doch nun hat sich herausgestellt, dass die Behörde ihr | |
Gutachten über das Mittel teilweise von Herstellern wie Monsanto | |
abgeschrieben hat. Trotzdem will die EU hauptsächlich auf dieser Grundlage | |
Glyphosat für weitere zehn Jahre zulassen. Darf sie das? | |
Helmut Burtscher-Schaden: Das wäre unverantwortlich. Es geht zum Beispiel | |
um den Abschnitt über die Frage, ob Glyphosat das Erbgut schädigt, ob es | |
also genotoxisch ist. Stoffe mit dieser Eigenschaft können Missbildungen | |
und Krebs verursachen und dürfen daher laut EU-Pestizidverordnung nicht | |
zugelassen werden. Dennoch hat das BfR hier die Argumente von Monsanto | |
durch Kopieren mit minimalen Änderungen aus dem Zulassungsantrag in seinen | |
Bewertungsbericht übernommen. | |
Was haben die BfR-Experten geändert? | |
Nur Groß/Kleinbuchstaben in den Überschriften, die Nummerierungen der | |
Kapitel und der Tabellen. Hinweise auf die tatsächlichen Urheber wurden | |
entfernt. Abgeschrieben wurden auch weite Passagen über die Krebsstudien | |
beim Menschen. Das BfR hat also nicht zitiert, sondern sogar so | |
manipuliert, dass auch Wissenschaftler wie der Bremer Epidemiologe Eberhard | |
Greiser der Meinung waren, das sei ein BfR-Standpunkt. | |
Sind die BfR-Leute vielleicht nach einer sorgfältigen Analyse zum selben | |
Schluss wie Monsanto gekommen? | |
Sie haben gar keine eigenständige Analyse der Genotoxizität gemacht. Im | |
BfR-Gutachten sind die wissenschaftlichen Studien über Glyphosat | |
detailliert beschrieben. Das BfR, oder besser: Monsanto, erklärt darin, | |
warum jetzt Studie X nicht zuverlässig ist und Studie Y nicht glaubwürdig | |
ist. Da werden sie sehr ausführlich. Und ich kann mir nicht vorstellen, | |
dass das BfR jeden Gedanken genau gleich hat wie Monsanto. Es geht da um | |
immerhin 43 Seiten. Und jeder einzelne Satz findet sich wortwörtlich auch | |
im Zulassungsantrag der Industrie. | |
Das BfR sagt, in Band 1 seines Gutachtens habe es sehr wohl die Studien | |
selbst kommentiert. | |
In Band 1 sind die Schlussfolgerungen zu den einzelnen Aspekten | |
zusammengefasst worden. Da ist zwar nicht alles im Kopierverfahren | |
entstanden, aber sie haben sogar dort noch einzelne Schlussfolgerungen | |
einfach rüberkopiert und teilweise minimal angepasst. | |
Wie viele Seiten seines Berichts hat das BfR abgeschrieben? | |
Unsere manuelle Auswertung betrifft nur die Kapitel zur krebserregenden, | |
DNA- und fruchtschädigenden Wirkung von Glyphosat. Allein dort fanden wir | |
rund 100 Seiten mit wortwörtlicher Übereinstimmung. Für diese | |
entscheidenden Kapitel haben wir nun auch eine unabhängige | |
computergestützte Plagiatsprüfung in Auftrag gegeben, die wir am Donnerstag | |
veröffentlichen werden. Eine elektronische Plagiatsprüfung über den | |
gesamten 4.000-Seiten-Bericht ist natürlich eine Kostenfrage. Ich halte sie | |
jedoch für unumgänglich. | |
Ein Plagiat ist unredlich, muss aber nicht inhaltlich falsch sein. Haben | |
Sie Beweise dafür, dass Glyphosat doch krebserregend ist? | |
Schon in den ersten zwei Industriestudien mit Mäusen aus den 80er und 90er | |
Jahren bekamen Versuchstiere Krebs, nachdem sie mit bestimmten Dosen | |
Glyphosat gefüttert worden waren. Zwei Studien mit positiven Befunden | |
reichen laut EU-Recht, um einen Stoff als wahrscheinlich krebserregend | |
einzustufen. Dem BfR lagen fünf positive Studien vor. Doch die Behörde hat | |
alle Regeln gebrochen, die man brechen kann. | |
Das BfR sagt, nicht mehr Mäuse als normal hätten Tumore. Das zeige ein | |
Vergleich mit „historischen Kontrolldaten“, also Krebsraten aus ähnlichen | |
Versuchen. | |
Historische Kontrolldaten sind sinnvoll, wenn man sich an die maßgeblichen | |
Empfehlungen der Industrieländerorganisation OECD hält: Die Kontrolldaten | |
müssen vom gleichen Mäusestamm, nicht älter als fünf Jahre und idealerweise | |
vom gleichen Labor und gleichen Pathologen sein. Verwendet man solche | |
Daten, unterstützt das die Signifikanz der Befunde. Doch das BfR hat | |
Kontrolldaten aus dem Hut gezaubert, da stimmen nicht einmal die Stämme | |
miteinander überein. Der schlimmste Fehler aber war, dass sie die | |
Tumorraten mit dem höchsten und nicht dem durchschnittlichen Wert der | |
historischen Kontrollen verglichen. Das sind Regelbrüche, die notwendig | |
waren, um die ganze Beweislast unter den Tisch zu kehren. | |
Fast alle EU-Länder haben dem BfR-Gutachten zugestimmt. Sind die allesamt | |
inkompetent oder korrupt? | |
Ich habe mich auch gefragt, ob ich einer Weltverschwörungstheorie anhänge. | |
Ich weiß nicht, ob sich die anderen Behörden darüber im Klaren waren, dass | |
das BfR abgeschrieben hat, oder ob sie einfach gedacht haben: Das klingt | |
alles sehr gut. Denn in der Tat sieht das Gutachten beim ersten Drüberlesen | |
seriös aus: Ja, das haben Profis gemacht. Aber das sind nicht die Profis | |
vom BfR, sondern die Profis von Monsanto. | |
Es gibt nur eine Institution, die Glyphosat als „wahrscheinlich | |
krebserregend“ einstuft: die Krebsforschungsagentur der | |
Weltgesundheitsorganisation WHO. Doch auch die WHO-Arbeitsgruppe zu | |
Pestizidrückständen in Lebensmitteln (JMPR) sieht kein Risiko. Wie erklären | |
Sie sich das? | |
Dieses Gremium hat bei uns Umweltschützern seit jeher einen ganz schlechten | |
Ruf, was seine wissenschaftliche Integrität angeht. Im Vorjahr wurde es von | |
Alan Boobis geleitet, dem Vizepräsidenten der Lobbyorganisation Ilsi, die | |
unter anderem von Monsanto und weiteren Pestizidherstellern finanziert | |
wird. | |
Auch die EU-Chemikalienbehörde Echa widerspricht Ihnen und stufte Glyphosat | |
als nicht krebserregend ein. Wie kann das sein? | |
Hätte sie festgestellt, dass Glyphosat eine Krebsgefahr darstellt, hätte | |
sie damit der EU-Lebensmittelbehörde – ihrer Schwesterbehörde – und 27 | |
nationalstaatlichen Behörden fundamental widersprochen. Ein Rieseneklat, | |
der gezeigt hätte, dass unser jetziges System der Pestizidzulassung nicht | |
funktioniert. Ich denke, dass das mit Wissenschaft wenig zu tun hatte. | |
Gibt es fachliche Argumente gegen das Echa-Urteil? | |
Ja, die Echa-Bewertung beruht ja auf einem Vorschlag aus der Feder des BfR. | |
Die Echa-Experten haben die nicht zulässigen historischen Kontrollen | |
akzeptiert. Und auch dass die Studien der Industrie mit zu hohen | |
Dosierungen gemacht worden wären und deswegen nicht wirklich glaubwürdig | |
seien. Obwohl das nie so war. | |
Auch der WHO-Krebsforschungsagentur werden Fehler vorgeworfen. Sie soll | |
Glyphosat entlastende Daten unterschlagen haben. | |
In den Regeln der Agentur steht, dass sie nur publizierte Studien nimmt, | |
die für alle einsehbar und überprüfbar sind. Die Daten, die Monsanto hier | |
ins Feld führt, waren damals nicht veröffentlicht und sind es noch immer | |
nicht. Ich weiß daher auch nicht, wie die Qualität dieser Daten gewesen | |
wäre. Ich halte das für eine Nebelgranate. Es gibt einen weiteren Vorwurf | |
zu einer von Monsanto finanzierten Übersichtsarbeit. Doch diese hat sich | |
die Agentur sogar angeschaut, darüber einen Absatz geschrieben und gesagt: | |
Weil die Originaldaten nicht publiziert sind, wird diese Studie nicht | |
berücksichtigt. Später hat sich herausgestellt, dass die Studie die Daten | |
sogar irreführend zusammengefasst hat. | |
Was sagen Sie Kritikern, die Ihnen vorhalten, sie seien als Mitarbeiter | |
einer Umweltorganisation Partei? | |
Ich bin sicher, dass ich keinen Interessenkonflikt habe zwischen meiner | |
Tätigkeit als Mitarbeiter einer Nichtregierungsorganisation und meinem | |
Plädoyer gegen Glyphosat. | |
Aber Ihre Organisation bekommt Spenden, auch weil Sie gegen Glyphosat | |
kämpfen. | |
Ganz ehrlich: Ich freue mich auf den Tag, an dem ich keine Umweltthemen | |
mehr finde, die so bedrohlich sind, dass ich darüber berichten muss. Wir | |
haben genug zu tun. Wir haben es nicht nötig, Themen zu erfinden oder zu | |
übertreiben. | |
Wie sollte man das Zulassungssystem für Pestizide verändern? | |
Drei Punkte: Erstens sollte künftig nicht der Hersteller die | |
Sicherheitsuntersuchungen der Chemikalie beauftragen, sondern eine | |
unabhängige Behörde. Dann muss sich das Prüfinstitut nicht mehr verbiegen, | |
um für den Hersteller unvorteilhafte Ergebnisse schönzureden. Der | |
Hersteller muss aber weiter die Kosten tragen. | |
Punkt 2? | |
Diese Studien müssen publiziert werden in einem Portal, das von der Behörde | |
betrieben wird. Dann unterliegen sie auch einer gewissen wissenschaftlichen | |
Kontrolle. Wenn dann mit ungeeigneten Mitteln versucht wird, irgendetwas | |
herauszufinden, gibt es vielleicht auch Kritik in einer wissenschaftlichen | |
Zeitschrift. | |
Bleibt Punkt 3. | |
Der lautet: Dass der Antragsteller nicht selber aussucht, welche Behörde in | |
der EU seinen Antrag bearbeitet. Derzeit haben wir die Situation, dass | |
Mitarbeiter wie Roland Solecki – der Leiter der Abteilung Sicherheit von | |
Pestiziden im BfR – seit den 1990er Jahren fünf Mal in Serie Glyphosat | |
bewertet haben – auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene. | |
Zuletzt 2015 für die EU. Wird er sagen: Ich habe mich jetzt vier Mal geirrt | |
und leider haben jetzt wahrscheinlich schon so und so viele Menschen Krebs? | |
Das ist einfach ein System, das nicht funktionieren kann. | |
4 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
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