# taz.de -- Rohingya in Birma: Wer ist die Guerilla Arsa? | |
> Birmas Militär rechtfertigt den Feldzug gegen die Minderheit mit der | |
> Terrorbekämpfung. Im Fokus steht eine phantomartig anmutende Guerilla. | |
Bild: Buthidaung, Birma, 28. August: Die Polizei schützt einen NGO-Konvoi bei … | |
RANGUN taz | In den frühen Morgenstunden des 9. Oktober 2016 griff eine | |
Gruppe aufständischer Muslime den birmesischen Staat an. Mit Messern, | |
Steinschleudern und ein paar wenigen Waffen gingen sie im Norden von Birmas | |
Teilstaat Rakhine auf Grenzschutzposten los. Neun Polizisten verloren ihr | |
Leben. Beobachter der Krise hielten die Luft an: Vielen schwante, was | |
folgen sollte. | |
Birmas Militär vergalt die Attacke mit einer brutalen Operation gegen die | |
muslimischen Rohingya, von der die UNO sagt, sie käme Verbrechen gegen die | |
Menschlichkeit gleich. Soldaten sollen Frauen vergewaltigt, Männer | |
erschossen und Kinder misshandelt haben. | |
Ende August griff die Arsa in einer konzertierten Aktion fast dreißig | |
Sicherheitsposten an. Birmas Militär wird beschuldigt, im Gegenzug die | |
Hälfte aller Rohingya-Dörfer in Nord-Rakhine abgebrannt zu haben. Seitdem | |
fliehen Rohingya zu Hunderttausenden ins benachbarte Bangladesch, unter | |
dramatischen Bedingungen. Ein Jahr nachdem die Arakan Rohingya Salvation | |
Army (Arsa) erstmals auf den Plan getreten ist, entfaltet sich in | |
Bangladesch die am schnellsten wachsende Flüchtlingskrise der Welt. | |
Seit Jahrzehnten gelten die Rohingya in Birma, das offiziell inzwischen | |
Myanmar heißt, als unerwünschte illegale Einwanderer aus Bangladesch. Nach | |
und nach hat man ihnen die Staatsbürgerschaft entzogen. Sie dürfen sich in | |
Rakhine nicht frei bewegen. Dass sie nun mit Waffengewalt aufbegehren, hat | |
die Karten neu gemischt. Die Rohingya sind nicht mehr nur die Opfer in | |
einem Konflikt, von dem Beobachter sagen, Birmas Militär erhalte ihn am | |
Leben, um so seine eigene Macht zu legitimieren. Rohingya sind selbst zu | |
Tätern geworden. | |
## Diaspora in Saudi-Arabien | |
Geführt wird die Arsa von Ata Ullah, einem in Pakistan geborenen Rohingya. | |
Er spricht vom Recht der Minderheit auf Selbstverteidigung und streitet | |
Verbindungen zu internationalen islamistischen Organisationen ab. Birmas | |
Regierung hingegen verurteilt die Aufständischen als „Terroristen“. Dass | |
die internationale Gemeinschaft das nicht so sieht, macht viele Birmesen | |
wütend. Scheinbar geschlossen stehen sie stattdessen plötzlich hinter dem | |
jahrzehntelang verhassten Militär. Die Antiterrorpropaganda scheint zu | |
fruchten. | |
Detailliert mit der Arsa beschäftigt hat sich der Thinktank International | |
Crisis Group (ICG). Ihr zufolge wird die Arsa von Mitgliedern der | |
Rohingya-Diaspora in Saudi-Arabien gesponsert. Die Anführer in Myanmar | |
hätten internationale Kampferfahrung, unter anderem in moderner | |
Guerillakriegsführung. Verbindungen zu internationalen Terrorgruppen | |
allerdings ließen sich laut ICG bisher nicht nachweisen. | |
In den Flüchtlingslagern in Bangladesch spricht kaum jemand über die Arsa. | |
Als die taz vor zwei Wochen vor Ort recherchierte, wollte niemand etwas mit | |
den Aufständischen zu tun gehabt haben. Nur wenige schienen zu wissen, dass | |
ein Arsa-Angriff die Militäroperation gegen sie ausgelöst hatte. „Die Arsa | |
ist an dem Angriff schuld und wir werden dafür bestraft“, erzählte die | |
18-jährige Formina. „Die Arsa hat ein bisschen was gemacht, das Militär hat | |
mit voller Wucht angegriffen. Wie soll die Arsa gegen das Militär | |
gewinnen?“ | |
In den Flüchtlingslagern, wo Menschen einander bei der Verteilung von | |
Hilfsgütern tottrampeln, am Straßenrand schlafen und teilweise nicht einmal | |
eine Plastikfolie zum Schutz vor dem Monsunregen besitzen, scheint es fast | |
programmiert, dass Menschen sich radikalisieren. Islamistisch motivierte | |
Attacken sind in Bangladesch bereits jetzt keine Seltenheit. | |
So könnte Birmas Antiterrorpropaganda zu einer selbsterfüllenden | |
Prophezeiung werden. In Birmas Botschaft in Kairo explodierte vor ein paar | |
Tagen ein Sprengsatz. Anfang September rief ein führendes Al-Qaida-Mitglied | |
in Jemen zum Dschihad in Birma auf. | |
So wie die internationale Gemeinschaft den Birmesen vorwirft, das Schicksal | |
der Rohingya auszublenden, werfen die Birmesen der Welt umgekehrt vor, die | |
„Terroristen“ zu ignorieren, die mordend durch Rakhine zögen. Erinnerungen | |
an Sezessionsbestrebungen der Rohingya nach der Unabhängigkeit Birmas von | |
der britischen Kolonialmacht 1948 sitzen tief im kollektiven Gedächtnis. | |
Während Menschenrechtsorganisationen in Bangladesch Satellitenbilder und | |
Daten analysieren, die beweisen sollen, dass Birmas Militär eine ethnische | |
Säuberung an den Rohingya vollzieht, präsentiert Birmas Regierung | |
Journalisten bei einer Pressereise nach Rakhine ein Massengrab mit | |
exhumierten Leichen, angeblich 45 von der Arsa getötete Hindus. | |
In seinen auf Twitter verbreiteten Pressemitteilungen achtet die Arsa | |
darauf, sich einen humanitären Anstrich zu geben. Demgegenüber stehen | |
Berichte, wonach die Guerilla nicht loyale Anhänger ermordet habe. In den | |
Flüchtlingscamps von Bangladesch kursieren Geschichten von „schwarz | |
maskierten Männern“. Bis die Regierung unabhängige Beobachter frei ins | |
Krisengebiet reisen lässt, wird nicht geklärt werden können, wer genau die | |
Arakan Rohingya Salvation Army wirklich ist. | |
4 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Verena Hölzl | |
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