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# taz.de -- Berliner Leichen-Museum: Tote jetzt in Goldfolie
> Das Menschen Museum unterm Fernsehturm hat am Montag wieder eröffnet –
> unter Auflagen und anhaltender Kritik des Bezirks.
Bild: Vor ihrem Lebenswerk: Anatom Gunther von Hagens und seine Frau Angelina W…
In goldene Folie eingewickelt stehen sie da wie glamouröse Mumien. Auf
ihren Sockeln liegen Schilder mit dem Aufdruck „Hier stirbt die
Wissenschaftsfreiheit“ oder „Der Bezirk glaubt nicht an Ihr
Urteilsvermögen“: Zehn seiner sogenannten Ganzkörperplastinate hat das
„Menschen Museum“ unter dem Fernsehturm unter Protest verhüllt. Die
Ausstellungsmacher dürfen die haltbar gemachten und aufgeschnittenen
Leichen nicht zeigen – Weil sie nicht in der Lage sind, sie zweifelsfrei
der früheren lebenden Person, dem „Körperspender“, zuzuordnen. Die
Ausstellungsmacher sprechen von „Behördenwillkür“ und einem „Trauerspie…
Das Bezirksamt Mitte hat dem Museum Ende September einen Bescheid
zugestellt, mit dem es die Präsentation der zehn Körper mit Titeln wie „Die
Tänzerin“ oder „Sich umarmendes Paar“ verbietet. Nach mehreren Tagen Umb…
präsentiert das Menschen Museum nun als Ersatz einige neue
Ganzkörperplastinate von Menschen sowie von Tieren – unter anderem einem
Löwen und einem Yak. Es ist die jüngste Wendung in einem juristischen
Pingpong mit dem Bezirk, dem die Ausstellung der Toten ein Dorn im Auge
ist.
2014 verkündeten der Erfinder der „Plastination“, der in Heidelberg tätige
Anatom Gunther von Hagens, und seine Ehefrau und Mitarbeiterin Angelina
Whalley 2014 die Einrichtung des Museums für die seit zwei Jahrzehnten
durch Deutschland und die Welt tourenden Exponate. Das torpedierte der
damalige Bezirksbürgermeister Christian Hanke (SPD) unter Berufung auf das
Berliner Bestattungsgesetz: Es untersagt die Zurschaustellung von Toten.
Eine Ausnahme gilt aber, wenn dies „durch ein anatomisches Institut oder
eine ihm gleichstehende wissenschaftliche Einrichtung“ geschieht. Im
vorläufig letzten von mehreren Urteilen hat das Berliner Verwaltungsgericht
am 13. September befunden, dass die aktuelle Betreiberin des Menschen
Museums, von Hagens' und Whalleys „Institut für Plastination“, tatsächlich
(populär-)wissenschaftliche Ziele verfolgt und von dem Verbot ausgenommen
ist. Allerdings müsse jeder Körper und jedes Organ klar identifizierbar
sein. Darauf beruft sich nun das Bezirksamt. Im Übrigen will es gegen die
Entscheidung in Berufung gehen.
Dass der Bezirk den „postmortalen Schutz der Menschenwürde“ verletzt sieht,
kann Franz-Josef Wetz nicht nachvollziehen. „Warum ist es ein würdevollerer
Umgang mit einer Leiche, wenn sie von Medizinstudenten aufgeschnitten
wird?“, fragt der Ethikprofessor und Museums-Unterstützer am Montag vor der
Presse und zwei Dutzend künftigen Körperspendern. „Warum soll die
Ausstellung eines toten Körpers im Menschen Museum würdeloser sein als die
in einer der 30 anatomischen Sammlungen in Deutschland?“ Hier werde mit
zweierlei Maß gemessen, so Wetz, der auch auf die Medizinhistorische
Sammlung der Charité verweist.
## „Würdevolle Atmosphäre“
Würdevoll sei hingegen die Atmosphäre im Menschen Museum und den
Ausstellungen weltweit, findet der Philosoph: „Immer geht es ruhig,
diszipliniert und besinnlich zu.“ Gegenüber der taz äußert Wetz die
Ansicht, viele Kritiker der Plastinate hätten einfach keine Ahnung von den
historischen Dimensionen. Seit der Aufklärung seien Leichen immer auch vor
den Augen der Öffentlichkeit seziert worden, teils sogar mit der
theologischen Begründung, die anatomische Sektion lasse erst die Genialität
des Schöpfers erkennen. Wetz: „Da erlebe ich einen ungeheuren Mangel an
kulturgeschichtlicher Bildung.“
Schließlich ergreift auch Gunther von Hagens das Wort. Er leidet unter
Parkinson und äußert sich eigentlich nicht mehr in der Öffentlichkeit, hier
macht er aus persönlicher Betroffenheit eine Ausnahme. Was er sagt, ist zum
Teil schwer verständlich, was offenkundig nicht nur an seiner Erkrankung
liegt, sondern auch daran, dass ihn das Ganze stark aufwühlt. „Ich fühle
mich in die DDR zurückversetzt“, sagt der Mann mit dem markanten Hut, der
aus dem Stasiknast in die Bundesrepublik freigekauft wurde. Die
Bezirkspolitiker führten sich auf „wie Parteibonzen vor der Wende“.
Am Schluss bricht ihm die Stimme vollends. Im anschließend verteilten
Skript heißt es: „Kein anatomisches Sehverbot, sondern Demokratisierung der
Anatomie! Wenn das Menschen Museum schließen muss, stirbt auch mein
Lebenswerk.“ Die Körperspender stehen auf und applaudieren. Im Anschluss
wollen sie eine Kundgebung vor dem Museum abhalten.
9 Oct 2017
## AUTOREN
Claudius Prößer
## TAGS
Friedhof
Hamburg
Leichen
Mitte
Berlin
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