Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Verfickter neuer Tonfall
> Die Bundestagswahl hat den Umgangston der öffentlichen Debatte ins
> Dissonante verschoben. Endlich geht der beherzte Griff ohne Umweg in die
> Kloake.
Bild: Podium für Gauland, den Geschichtsklitterer („Mitte“ rechts): das Ta…
Liebe Leserinnen und Leser . . . oder lassen Sie mich zeitgemäßer,
ehrlicher und robuster beginnen: Verachtete Champagnerlinke,
Eigenheimfaschisten, Arschgeigen, Fotzengesichter, Volksverräter,
Kinderficker und KZ-Kommandanten – let’s face it: Die Bundestagswahl hat
den Umgangston nun auch in der öffentlichen Debatte ins Dissonante
verschoben. Eine redepolitische Wende um 180 Grad.
Wo zuvor auf Samtpfötchen um Probleme herumgeschwänzelt wurde, geht nun der
beherzte Griff ohne Umweg tief in die Kloake. Eine deutliche Duftmarke hat
hier die neue SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles gesetzt, als sie der
Union in Aussicht stellte: „Ab morgen kriegen sie in die Fresse!“
Anderswo „grabben“ wir uns alle längst bei der „pussy“, und das mit vi…
Erfolg sogar bei den Damen. „Fresse“ ist da schon ein guter Anfang für
jemanden, der, die Älteren erinnern sich, vor Jahr und Tag noch glaubte,
mit dem Nachträllern des Titellieds von „Pippi Langstrumpf“ als frech und
volksnah gelten zu können – zumal sogar Goebbels, die Allerältesten
erinnern sich, immer lieber von „Visagen“ gesprochen hat.
So reden wir also jetzt? So redet das „liebe Volk“ (Björn Höcke) schon
lange, wenn ihm im Verkehr jemand die Vorfahrt nimmt („Wichser!“). Nun
endlich sind die Filterblasen der Stammtische und digitalen Swingerclubs
endlich geplatzt, ihr zähflüssiger Eiter dringt in jede Ritze des
Establishment. Jawohl, Ritze.
Ah, tut das gut! Es hat etwas Befreiendes, wenn die rhetorischen Hüllen
fallen und die moralischen Bremsklötze weggeschubst sind. Immerhin will
selbst die engagierte Trillerpfeifenlinke ausweislich ihrer „FCK
AFD“-T-Shirts den politischen Gegner nicht etwa diskursiv stellen, sondern
„fckn“ oder sogar ficken, also richtig schön aggressiv durchnudeln.
In der Tourette-Republik Deutschland werden künftig andere Saiten abgezogen
und zweimal um die Handgelenke gewickelt, um damit jede fruchtbare
Auseinandersetzung zu strangulieren. Die Breitmaulkröte von der SPD hat das
vollumfänglich verstanden. Erst wird die Scheiße mit Schmackes an die Wand
geworfen und hinterher zum „Scherz“ erklärt. Wer’s trotzdem riecht und g…
findet, kann einer „Kampfeslust“ applaudieren, die, Hand aufs Herz, dem
Säufer aus Würselen irgendwie abging.
In diesen neuen Wind müssen auch wir Schreiberlinge unser Fähnchen hängen,
wollen wir nicht den Anschluss verlieren. Bald werden auch in Talkshows die
Dinge beim Namen genannt, wird Gregor Gysi mit „Giftzwerg“, Alexander
Gauland als „Dörrfleisch“ und Christian Lindner (von Claus Strunz,
vorpreschend, bereits am 30. August auf Sat.1) als „scharf“ angesprochen.
Der reaktionäre Hochstapler Wilhelm von Humboldt brabbelte viel, wenn der
Tag lang war. Als blindes Huhn fand er aber auch mal ein Korn: „Sprache ist
gleichsam die äußere Erscheinung der Völker; ihre Sprache ist ihr Geist und
ihr Geist ihre Sprache, man kann beide nie identisch genug denken.“
29 Sep 2017
## AUTOREN
Arno Frank
## TAGS
Rhetorik
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Bahn
Empörung
Bahn
Schwerpunkt AfD
Schwerpunkt AfD
NRW-SPD
Wahlen
Sprache
Verkehr
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: Geduldet in der 1. Klasse
Wie von Geisterhand verschwindet der Eisenbahnwagen mit dem reservierten
Sitzplatz. Und nun? Da hilft nur die Flucht in ein Abteil mit noblen
Insassen.
Die Wahrheit: Im Reich des Wackeldackels
Zu fragen, woher jemand kommt, ist heutzutage verpönt. Auch weil die
Kränkungsempfänglichkeit der Stellvertreterempörer enorm ist.
Die Wahrheit: Zuhörends global
Man hört ja so allerhand: Die Fahrt mit dem Bummelzug von Schwerin nach
Berlin erlaubt erstaunliche Einblicke in Zeit und Raum.
TV-Fauxpas im ZDF: Der nette Nachbar Gauland
Am Tag der Deutschen Einheit sitzt AfD-Spitzenmann Alexander Gauland bei
Markus Lanz? Rechtspopulisten gehören nicht ins Wohlfühlfernsehen.
Kommentar Grüner Heimatbegriff: „Wir“ und „die“
Die großen Parteien versuchen, nationalistische Vokabeln positiv
umzudeuten. Dabei hat der Begriff „Heimat“ nichts in der Politik zu suchen.
SPD in der Krise: Genossen, was nun?
Der Ex-SPD-Fraktionschef Oppermann spricht bei Markus Lanz über Jamaika,
Merkel und Spahn. Ehemalige Parteigrößen teilen indes hart aus.
Die Wahrheit: Wo die wilden Wähler wohnen
Warum nicht einfach Kinder für ihre Eltern wählen lassen? Dagegen gibt es
allerdings einige ebenso einleuchtende wie schlüssige Argumente.
Die Wahrheit: Sprechen mit Schleifchen
Es ist ein defensives Sprechen, das mit der eigenen Kapitulation
kokettiert. Es kann einen zum Revolver greifen lassen – hätte man einen.
Die Wahrheit: Bruder Leichtfuß, Schwester Bleifuß
Besonders vor Schulen ist ein erhöhtes Aufkommen monströser
Geländepanzerwagen zu beobachten, die gern von besorgten Müttern gefahren
werden.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.