# taz.de -- Die Wahrheit: Sprechen mit Schleifchen | |
> Es ist ein defensives Sprechen, das mit der eigenen Kapitulation | |
> kokettiert. Es kann einen zum Revolver greifen lassen – hätte man einen. | |
In jüngster Zeit häufen sich bei mir die Zeichen des Alterns, unübersehbar | |
wie Verkehrsschilder bei der Annäherung an eine komplizierte Kreuzung. | |
Kleingedrucktes ist nicht mehr lesbar. Jazz klingt erträglich. Noch Tage | |
nach dem Boxtraining spüre ich Knochen, die ich gar nicht habe. Und haltlos | |
breche ich in Tränen der Rührung aus, wenn etwa Heidi auf den Kirchturm | |
steigt oder Mio, mein Mio, seinem Vater begegnet. | |
Zugleich überkommt mich eine präsenile oder auch prototattrige | |
Gleichgültigkeit bei wirklich wichtigen Dingen, vom Fernen bis zum Nahen. | |
Die USA steigen aus allen Abkommen aus, die den blauen Planeten retten | |
könnten? Tja, dann ist er eben nicht mehr zu retten. Das Finanzamt fordert | |
all mein Geld, dazu meine rechte Niere und mein erstgeborenes Kind? Sei’s | |
drum. | |
Nun könnte ich seufzend den Rückzug ins Private antreten und tun, was ich | |
schon immer tun wollte, beispielsweise ein maritimes Epos von 1.300 Seiten | |
schreiben. Arbeitstitel: „Moby Dünn – der Weiße Aal“. Leider reizen mich | |
aber immer häufiger winzigste Alltagsdetails bis aufs Blut, namentlich | |
verbale Marotten. | |
Die Top drei der Scheußlichkeiten, die mich neuerdings sofort zum Revolver | |
greifen ließen, wenn ich denn einen hätte, lautet wie folgt. Platz 3: Das | |
bäuerchenhaft dahergeblökte „Mahlzeit!“ als Gruß zu jeder Tageszeit. Pla… | |
2: Die Unsitte, selbst nichtigste persönliche Bekenntnisse mit der Wendung | |
„Ich bin ja ein Mensch, der …“ einzuleiten, also: „Ich bin ja ein Mensc… | |
der Jazz erträglich findet“, als wäre man Teil einer größeren Gruppe | |
geistesverwandter Menschen und damit erst autorisiert, Jazz erträglich zu | |
finden. | |
Platz 1 allerdings gebührt unangefochten einer wahren Sprachpest. Erst | |
neulich begegnete ich ihr wieder, als im Deutschlandradio ein Jazzpianist | |
aus Osnabrück oder Olpe oder so über seine Kunst sprach. Gefragt, was ihn | |
denn an seinem Genre so reize, antwortete er nachdenklich: „Mir gefällt, | |
dass ich mit Musik (– Pause –) kommunizieren kann?“ Ich erstarrte. Er | |
redete weiter: „Ich kenne das aus (– Pause –) Amerika? Wo ich lange (– | |
Pause –) gearbeitet habe?“ | |
Ein Erhöhen der Tonlage kurz vor Ende eines Satzes ist in Ordnung, sofern | |
es sich um eine Frage handelt. Verbunden mit einer Zögerlichkeit nur | |
vortäuschenden Pause allerdings wird aus jeder hundsgewöhnlichen Aussage (– | |
Pause –) eine Frage? Linguisten nennen diesen Fimmel „High Rising Terminal�… | |
oder „Upward Inflection“ oder schlicht „Uptalk“. Zu übersetzen wäre e… | |
„Zaudersprech“ oder „Fragespoiler“. | |
Die Leute trauen sich nicht mehr, eine x-beliebige Aussage zu machen. | |
Lieber überlassen sie es den Zuhörern, den Satz für bare Münze zu nehmen. | |
Es ist ein defensives Sprechen, das permanent mit der eigenen Kapitulation | |
kokettiert, seine Inhalte in rosafarbene Watte packt und mit Schleifchen | |
aus Fragezeichen dekoriert. Was eben am Altern liegen mag. Ich bin ja ein | |
Mensch, der solche Sachen unerträglich findet. Mahlzeit? | |
28 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Arno Frank | |
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