# taz.de -- Atelierbesuch bei Jürgen Knagge: Gehörn und Edelstahl | |
> Einmal im Jahr inszeniert Jürgen Knagge in seinem Osnabrücker Garten | |
> einen mitternächtlichen Skulpturenpfad. | |
Bild: Jürgen Knagge vor seinem „Schauspieler“ | |
OSNABRÜCK taz | Wer Jürgen Knagge besucht in seinem Zirkuswagen am | |
Osnabrücker Bürgerpark, betritt eine Idylle. Ein schmaler Weg aus | |
Kopfsteinpflaster, unter einer Allee alter Ahorne, entlang an einer | |
turmhohen Klostermauer: eine Szenerie wie für einen Filmdreh, 18. | |
Jahrhundert vielleicht, und fast wundert es, dass hier kein Hufgetrappel zu | |
hören ist, kein Degengeklirr. | |
Der Zirkuswagen ist selbstgebaut, ganz aus Holz, fast drei Jahre hat es | |
gedauert. Knagge: „Schon reingeguckt? Mein Atelier!“ Eine halbmeterhohe | |
Kabelrolle dient als Tisch, drumherum ein Sofa und zwei alte Friseurstühle. | |
An der Wand ein Bakelittelefon, an einem Scherenarm: „Funktioniert im | |
Prinzip sogar!“ Schienen auf dem Boden, denn der Alkoven ist beweglich. | |
Draußen dran steht: „Für mehr Wagenplätze!“ Und die Seitentür ist aus so | |
filigranem Schnitzwerk, dass viel Fantasie braucht, wer sie beschreiben | |
will. | |
Wenn Jürgen Knagge auf seiner selbstgebauten Veranda sitzt, die zugleich | |
eine Bühne ist, komplett mit Scheinwerfern, mit Blick auf seinen herrlich | |
wilden Garten aus Bambus und Teich und Beeten, hängt über ihm ein | |
Wasserbüffelschädel, eingepasst in ein Gittergespinst aus Edelstahl. Jürgen | |
Knagge ist Bildhauer. „Dauert Wochen, so was zu schweißen. Du heftest hier | |
ein Stäbchen dran, flext da was ab, und am Ende wird alles mit dem Brenner | |
verschmolzen.“ | |
25. bis 27. August, Senator-Wagner-Weg, Osnabrück | |
Gerade bereitet Knagge einen seiner mitternächtlichen Skulpturenpfade vor. | |
Am Wochenende ist es so weit, für drei Tage. Seine Galerie ist sein Garten | |
– und der Nachbargarten von Freunden, 3.000 Quadratmeter insgesamt. 35 | |
Skulpturen inszeniert Knagge ins Dunkel hinein, unter Bäume, in Hecken, | |
illuminiert von Weiß- und Farblicht-Strahlern, dazu 15 seiner | |
symbolistisch-surrealistischen „Traum“-Ölbilder, von denen manche ein | |
bisschen Steampunk-Optik haben. „Vor drei Jahren hab’ich den Garten hier | |
gemietet. Totaler Glücksfall. Hat mich herbeigerufen, dieser Ort, warum | |
auch immer.“ Knagge, füllt Kaffeetassen, dreht sich eine Zigarette, | |
erzählt. | |
Dass es, natürlich, auch diesmal Lagerfeuer und Fackeln gibt. Dass dann, | |
vielleicht, eine rumänische Geigerin Melancholisches aus ihrer Heimat | |
spielt. Dass es Wein und selbstgemachtes „Knaggebrot“ gibt, denn Knäckebrot | |
ist ja langweilig: „Ist ein bisschen wie Bauernstuten.“ Dass er eine | |
Performance plant, mit einer ganz besonderen Pflanze des Gartens – | |
vielleicht irgendwas mit Stacheldraht, Gittern, einem Schrank mit Kette | |
davor. Und dass auch Lars Meyer ausstellt. Ebenfalls Skulpturales, | |
ebenfalls aus Edelstahl, und dazu ein bisschen Feuerkunst: brennender Sand. | |
Knagge, lachend: „Tja, tricky. Ist ein Geheimnis.“ | |
Kein Geheimnis ist dagegen sein „Schauspieler“. Der steht weiter drinnen im | |
Garten, Richtung Mais und Kapern, Erdbeeren und Gurken, Erbsen und | |
Kohlrabi. Eine Gestalt aus demselben Edelstahl-Gittergespinst wie beim | |
Wasserbüffel. Sie teilt einen Vorhang aus Holz und trägt ein Widdergehörn. | |
Knagge, seit jeher auch Theaterbühnenbildner: „Ich wollte einfach mal die | |
Leistung der Schauspieler würdigen. Sie proben Monat um Monat, stehen | |
danach jeden Abend auf der Bühne und verdienen oft fast nichts.“ Neben | |
Wasserbüffel und Widder hat Knagge auch schon Gams und Antilope verbaut. | |
Demnächst sind Wiesel dran und Fischköpfe. Wer Kunst wie diese kauft, | |
keinen Warhol-Massendruck von IKEA, braucht Rückgrat. | |
Jürgen Knagge zu beschreiben, ist schwer. Denn Knagge hat soviel erlebt, | |
angeschoben, gewagt, dass er tagelang erzählen könnte. Da war zum Beispiel | |
diese Reality-TV-Serie „Die Alm“: Ein Haufen C-Promis, die in einer | |
einsamen Hütte in den Bergen hausten, wie vor 100 Jahren. So ähnlich wie | |
Big Brother, nur in der Natur. Knagge, lachend: „War natürlich ziemlicher | |
Quark.“ | |
Aber sein Job dort oben war schon spannend. „Wir haben die gesamte Hütte | |
umgebaut, Elektrik raus, Strohbetten rein. Haben Kameras in Holzstapeln | |
versteckt. Und als am Ende die Technikcontainer ankamen, Teile so groß wie | |
mein Zirkuswagen, mussten die ja irgendwo hin auf dem abschüssigen Hang. | |
Also Erdarbeiten, Holzgestelle drunter…“ Pause. „Für so was musst du sch… | |
Allrounder sein, handwerklich, sonst geht das nicht.“ | |
Oder der „Sommer der Gaukler“, 2011, Dreharbeiten im Museumsdorf | |
Bayerischer Wald. „Drei zusätzliche Häuser haben wir da reingebaut, aus | |
Pappmaché. Sah total antik aus.“ Eine Gauklerkutsche hat er gebaut und eine | |
Foltermaschine, alles selbst entworfen, alles komplett funktionstüchtig. | |
„Ärger gab’s, als unser Bagger kam, um die Straße aufzureißen, die sollte | |
ja schön schlammig aussehen. Da ist der Museumsdirektor dann laut | |
geworden.“ | |
## Riesige Spinne aus Alu | |
Messestände hat Knagge gebaut – zum Beispiel diese riesige Spinne aus | |
Aluminium, zwölf mal zehn Meter Beinspannweite, vier Meter hoch, für eine | |
Medienmesse in Köln, Thema: die Vernetzung von ein paar Universitäten, | |
erklärt Knagge: „Vernetzung? Netz! Netz? Spinne!“ Einen Kunstverein hat er | |
gegründet, „Art Trupp Poly“ in Bremen. „Art, weil: Kunst. Trupp, weil: W… | |
sind nicht allein. Poly, weil: Wir schauen in alle Richtungen.“ | |
Den Trupp von damals [1][gibt’s nicht mehr], aber vielleicht lebt er ja | |
doch noch mal auf. „Wär’eigentlich schade drum. Der Name klingt so schön. | |
Fast wie Akropolis.“ Eine eigene Galerie hatte Knagge auch. Aber das ist | |
endgültig Vergangenheit. „Wenn du das vernünftig machen willst, ist das ein | |
Fulltimejob. Und ich mache lieber selber Kunst, als welche zu verkaufen.“ | |
Nun also der Garten am Osnabrücker Bürgerpark. Vor dem Winter will er hier | |
noch einen kleinen Atelierschuppen bauen, vorn am Flechtzaun, für seine | |
Malerei. Zurzeit findet die nämlich in seiner Werkstatt bei Lotte statt, | |
nicht weit von hier. Dort steht auch sein Thunderbird-Cabrio von 1955, in | |
dem ist Marilyn Monroe mal gefahren. „Den hab ich seinerzeit für einen | |
Messestand gekauft, total verrostet. Wir mussten da eine Highway-Tankstelle | |
nachbauen… “ | |
Apropos Autos. Zu denen hat Knagge ein ganz besonderes Verhältnis. Und wie | |
alles bei ihm hat auch das mit Kunst zu tun. Da war dieser Fiat 500, den | |
hat er zum Aquarium umgebaut. Da ist dieser Opel Blitz, Baujahr 1934, auch | |
der schon mal bei Dreharbeiten Teil des Sets: „Im Moment dummerweise nicht | |
fahrbereit: Kolbenfresser! Da müssen wir mal einen neuen Motor | |
reinstricken.“ Auch sein Privatwagen ist eine Art Kunst-Stück. Seit 25 | |
Jahren fährt Knagge nur Heckflossen-Benz: „Mit Oldtimerversicherung! | |
Spottbillig!“ | |
Ein paar Schritte Richtung Kaninchenstall, und wir stehen vor einem | |
seltsamen Gestell, an dem Handschuhe hängen. Viele, viele Paare. | |
Zerschunden, fleckig, durchlöchert, voller Grünspan. „Da kommen alle | |
Handschuhe dran, die in meiner Werkstatt ausgedient haben.“ Pause. „Um zu | |
zeigen, dass Kunst Arbeit ist. Glauben viele ja nicht.“ Und dann erzählt | |
Jürgen Knagge, was sein Künstlername, Jan Kosejan, bedeutet. „Den habe ich | |
meinen beiden Söhnen gewidmet, Jonas und Janek. War ganz schön schwer, aus | |
ihren Vornamen was zusammenzubasteln.“ | |
## Kein Kunstmarkt-Geschwurbel | |
Nein, zu den Künstlern, die ihren eigenen Genie-Kult inszenieren, die nicht | |
leben können, ohne sich jeden Tag ihre eigene Bedeutsamkeit zu beweisen, | |
gehört Knagge nicht. Klar, er weiß, dass er coole Ideen hat, dass er | |
bizarre Sachen macht, kuriose Sachen, oft bissig, oft skurril. Aber viele | |
Worte drum machen? Irgendwas Hochtrabendes sagen, mit viel | |
Kunstmarkt-Geschwurbel? So ist er nicht. | |
Aber wenn er was sagt, dann hat es Hand und Fuß. „Es gab eine Zeit, da hat | |
meine Kunst lange geruht, und das war auch in Ordnung so. Aber jetzt | |
geb’ich wieder richtig Gas! Volle Power! Weißt du, ich hab’so schöne Sach… | |
im Kopf. Und die mach ich alle auch. Egal, ob damit was zu verdienen ist | |
oder nicht.“ | |
Ja, Knagge arbeitet in einer Idylle. Aber sein Garten ist weit mehr als | |
das. Er ist ein Ort, der zugleich Düsternisse aushält. Gleich hinter der | |
Klostermauer lag einst die Heil- und Pflegeanstalt Osnabrück. Von dort | |
wurden in der NS-Zeit Psychiatrie-Patienten in die | |
Euthanasie-Vernichtungsanstalt Hadamar deportiert. Und unter dem Bürgerpark | |
liegt ein bis heute nicht gänzlich erforschtes System von Höhlen und | |
Stollen, in dem Tausende Osnabrücker in den 1940ern Schutz suchten, wenn | |
die Bomberverbände kamen. Knagge: „So etwas spürst du einfach.“ | |
Beim Rausgehen ein letzter Blick auf seinen Zirkuswagen. Voll fahrbereit, | |
mit Reifen und Deichsel und allem. „Zugelassen bis 25 Stundenkilometer“, | |
sagt Jürgen Knagge und lächelt ein bisschen. „Vielleicht spann ich ja | |
irgendwann mal meinen Trecker davor und zieh den für ein paar Monate ans | |
Meer.“ | |
25. bis 27. August, Osnabrück, Senator-Wagner-Weg | |
21 Aug 2017 | |
## LINKS | |
[1] https://arttrupppoly.wordpress.com/eine-seite/ | |
## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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