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# taz.de -- Die Wahrheit: Im Reich des Wackeldackels
> Zu fragen, woher jemand kommt, ist heutzutage verpönt. Auch weil die
> Kränkungsempfänglichkeit der Stellvertreterempörer enorm ist.
Als Kind dachte ich, eines Tages würde ich restlos alles wissen. Inzwischen
kommt es mir vor, als würde ich täglich dümmer. Zeitgleich werden ringsum
die Leute immer schlauer. Ich kann mich nicht erinnern, jemals in meinem
Leben so irrsinnig gut Bescheid gewusst zu haben wie die eloquenten jungen
Menschen, die derzeit so irrsinnig gut Bescheid wissen über schlechterdings
alles.
So lernte ich vor einer Weile auf die harte Tour, dass ich augenscheinliche
Ausländer nicht nach ihrer Herkunft zu befragen habe. In meiner Naivität
hatte ich diese Frage für „kommunikativ“ und mich selbst für zugewandt
gehalten. Tatsächlich ist es eine inquisitorische Geste, bin ich selbst
eine rassistische cis-Kartoffel. Darüber klärten mich dankenswerterweise
eloquente junge Menschen auf, die meistenteils in Deutschland geboren und
aufgewachsen sind und hier genau jene Bildung erfahren haben, die sie erst
zu ihrer enormen Kränkungsempfänglichkeit ermächtigt hat.
Es ist übel, für einen Deutschen gehalten zu werden. Übler ist nur, nicht
für einen Deutschen gehalten zu werden. Ist so. Sagen Leute, die Bescheid
wissen. Also frage ich nicht mehr. Es sei denn, ich werde gefragt. So wie
vom „Wackeldackel“, der beim Gemüsetürken morgens immer draußen die
Auslagen füllt.
Der Gehweg ist eng. Aber „Wackeldackel“ wartet jedes Mal höflich mit seinen
Kisten, bis ich mit den Kindern vorbei bin. Dazu grüßt er mit aufreizend
undeutscher Freundlichkeit und wackelt nach subkontinentaler Sitte mit dem
Kopf. Daher „Wackeldackel“, Kinder können grausam sein.
Heute kaufte ich dem „Wackeldackel“ zwei Pampelmusen ab, und er fragte
dreist: „Was arbeiten?“ Mit den Fingern machte ich Tippbewegungen.
„Gitarre?“ Nein, schön wär’s. Schreiben. Seinen Job kannte ich ja. Und …
ich mich’s versah, hatte ich ihn schon nach seiner Herkunft gefragt.
Verdammt.
Er stellte seine Kiste ab und legte los: „Mutter India. Vater Pakistan“,
was allein schon ein kompletter Roman von Arundhati Roy ist. „Leben Dubai.
Bis elf. Dann Arbeit. Nix Schul. Arbeiten alles, Baustelle, Dach, Farbe.
Dann Arab-Leut wollen Visum. Muss du zahlen Geld, viel Geld. 1.000 Dirham.
Geben Chef. Sonst Chef Telefon, Polizei. Aber nix Geld“, und er legte beide
Hände zusammen wie in Handschellen.
„Also Geld. Jahr später. Wieder Visum. Jetzt 10.000 Dirham. Sonst Polizei.
Wollen arbeiten für Arab-Leut? Musst du geben Geld Arab-Leut! Arab-Leut
Scheiße. Schicken Eltern Pakistan. Ich Türkei. Auch Scheiße. Jetzt
Deutschland. Visum kein Geld. Deutsche Leut freundlich. Grüßen. Ich …“, u…
hier legte er beide Hände auf sein Herz und wackelte mit dem Kopf, „…
Deutschland!“
Verwirrt stolperte ich aus dem Laden, wieder ein wenig dümmer geworden.
Hätte ich bloß nicht gefragt! Der Wackeldackel heißt Ahmed und ist als
Sklave aufgewachsen. Heute Abend werde ich es meinen Kindern beibringen.
Eines Tages werden sie restlos alles wissen.
24 Nov 2017
## AUTOREN
Arno Frank
## TAGS
Empörung
Migranten
Ostern
Waffenrecht
Sexualität
Bahn
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Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Wahlen
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