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# taz.de -- Die Wahrheit: Großmäulig auf der Rückbank
> Alles um einen herum wird gefühlt ständig immer größer. Ein Sofa in
> U-Form hat heute in der Regel die Ausmaße eines Kleinstaats.
Zuerst waren es die Autos. Die Erfindung des Carports war ja vor allem
deshalb nötig, weil die Garagen und Parklücken einfach zu eng geworden
waren für die motorisierten Schwellkörper, die wir heute durch die Gegend
bewegen. Gegen unsere Pampers-Panzer waren selbst die teuersten
Statuskarren der sechziger Jahre zierliche Gefährte, mit hauchdünnen
Lenkrädchen, schmalen Sitzen und blankem Blech auch im Innenraum.
Schaut man sich moderne Kinder an, fragt man sich, wie eine fünfköpfige
Familie damals mit einem Ford Taunus oder einem Opel Rekord nach
Jugoslawien fahren konnte. Heute würde maximal eins der raumgreifend dicken
Kinder auf die Rückbank passen.
Übrigens passte 1965 auch das Gepäck für drei Wochen mit ins Auto – selbst
die gefürchtete Schuhtasche, die ganz am Ende angeschleppt wurde und die
Packkünste der fluchenden Väter auf eine harte Probe stellte. Aber was
waren da auch für Schuhe drin: SandälchXL, XXL, XXXL:en und
Segeltuch-Turnschuhe, von denen zwei Paar weniger PXL, XXL, XXXL: latz
brauchten als heute ein einzelner Hightech-Sneaker. Die gesamte Ausrüstung
für den Sportunterricht passte damals in einen „Turnbeutel“, der
seinerseits locker Platz in einer kleinen „Schulmappe“ fand. Heute hingegen
ist das Einzige, was noch schneller gewachsen ist als die ABC-Schützen, ihr
Drei-Kubikmeter-Ranzen.
Und weiß noch jemand, wie früher ein Fahrrad aussah? Ein Stahlrahmen,
Sattel, Lenker, Pedale – fertig. Der Vorteil: Anders als die E-Bike-Monster
von heute passten alle Räder der Familie noch in die Garage – neben den
Käfer. Und womit wurden die gesichert? Eine dünne Stahlschnur mit ein
bisschen Plastik drumrum. Heute hat das Bügelschloss einen höheren
Materialverbrauch als damals das ganze Fahrrad.
Auch gewohnt wird inzwischen groß. Ein Sofa in U-Form hat heute in der
Regel die Ausmaße eines Kleinstaats. Aber die Wohnungen sind leider nicht
schnell genug mitgewachsen – und so sitzen heute Millionen von
Bundesbürgern mit ausgestreckten Beinen auf ihrem Polster-Ungetüm und
versuchen, das Bild des 80-Zoll-Fernsehers zu erfassen, der einen Meter vor
ihnen steht. Weil dahinter schon die Wand kommt.
Neuerdings erwischt es auch Lebensmittel. Und zwar nicht nur die
Schnitzel-, Burger-, Pizza-, Popkorn- und Cola-Mutanten, wo wenigsten
gleich „XXL“ dransteht, sondern auch harmloses Obst. Was früher von Natur
aus mundgerecht war, erfordert heute dank Dünger und Gewächshaus den
Einsatz von Küchenwerkzeugen.
In modernen Kochbüchern kann man bereits die veränderten Anweisungen
nachlesen: „Die Brombeeren und die Blaubeeren achteln und gleichmäßig auf
dem Kuchen verteilen.“ Zur Belohnung dafür, dass Ihr Partner die gekaufte
Blaubeere nach Hause gerollt hat, sollten Sie ihm oder ihr eine schöne Rose
schenken.
Aber Achtung! Normale Vasen sind den inzwischen üblichen Atomrosen nicht
mehr gewachsen. Also unbedingt eine Vase aus Granit dazukaufen.
28 Sep 2017
## AUTOREN
Oliver Domzalski
## TAGS
Kulturkritik
Zeitgeschichte
Psychologie
Wladimir Putin
Fotografie
Sachsen
Arbeit
Bürokratie
Autonome
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