# taz.de -- Der Osdorfer Born wird 50: Platte un Blomen | |
> In Hamburgs Westen liegt die älteste Plattenbausiedlung. Als Mittel gegen | |
> Wohnungsnot konzipiert, zeigten sich schnell Probleme, mit denen Menschen | |
> noch heute kämpfen. | |
Bild: Die Meiers betrachten den Osdorfer Born als ihre Heimat. Und sie kämpfen… | |
HAMBURG TAZ | Kurz vor der Grenze zu Schleswig-Holstein zeigt Hamburg ein | |
Bild, das im starken Kontrast zur sonst touristisch gut vermarkteten | |
Hafenromantik steht. Es ist ein Bild, das mehr an den Ruhrpott als | |
Norddeutschland erinnert. Fährt man die Luruper Hauptstraße gen Westen, | |
werden die Häuser kleiner und die Gärten zahlreicher – bis am Horizont die | |
Hochhäuser am Osdorfer Born auftauchen. | |
Die Siedlung wurde in den Sechzigern geplant, die ersten Wohnungen waren | |
1968 bezugsbereit. Damals kämpfte Hamburg gegen einen starken | |
Wohnungsmangel, die Opfer der Flutkatastrophe von 1962 benötigten Wohnraum, | |
der Ausbau der A7 verdrängte ebenfalls Menschen aus ihren Häusern. | |
Mit der Plattenbau-Großsiedlung wurde ein damals modernes Konzept verfolgt. | |
Die sogenannten Häuserbänder sollten ein gemeinsames Zentrum bilden, das | |
heutige „Born Center“. Ein komplettes Quartier für 15.000 Menschen war | |
geplant, mit Schulen, Einkaufsmöglichkeiten, Ärzten, Freizeitangebot und | |
Anbindung an die Innenstadt. Es war ein Modell, das in den Sechzigern | |
zukunftsreich aussah. | |
Es gibt viel Grün um die Plattenbauten, der Verkehr ist vergleichsweise | |
ruhig. Im Bornpark gehen Menschen mit ihren Hunden spazieren, bei gutem | |
Wetter entspannen sie am nahegelegenen Helmuth-Schack-See. Im Vergleich zur | |
Großstadthektik der Hamburger Szeneviertel wirkt das Quartier ganz im | |
Westen wie ein Idyll. | |
Die Wohnungen waren für die Verhältnisse in den Sechzigern und Siebzigern | |
luxuriös: Sie waren mit drei bis vier Zimmern ausgelegt, es gab fließend | |
Warmwasser und ein Badezimmer in jeder Wohnung. In den heute so heiß | |
begehrten zentrumsnahen Altbauten war das damals nicht der Fall, dort gab | |
es noch Etagenklos und warmes Wasser kam nicht selten aus einer Kanne vom | |
Herd. „Die Menschen, die hierher zogen, fanden was den Wohnraum betrifft, | |
etwas Wunderbares vor. Sie hatten alles in ihren eigenen vier Wänden, sie | |
waren privilegiert dadurch, obwohl sie abseits wohnten“, sagt Bernd Meier. | |
Meier zog mit seiner Frau Maria Meier-Hjertqvist 1978 von Eimsbüttel an den | |
Born. Seit knapp vierzig Jahren ist die Siedlung ihr Zuhause. Die beiden | |
68-Jährigen sitzen zusammen in einem größeren Saal im Bürgerhaus an der | |
Bornheide. Hier trifft sich auch die Borner Runde regelmäßig, eine | |
Bürgervertretung der Anwohner. Maria Meier-Hjertqvist ist Sprecherin der | |
Initiative, die sich für die Belange der Bewohner einsetzt. Wenn das | |
Ehepaar über den Osdorfer Born spricht, schwingt immer etwas Begeisterung | |
mit, selbst wenn sie über Probleme berichten. Und von denen gibt es leider | |
genug am Born. | |
Ein Mittag im Juli. Vor dem Haupteingang des Born Centers taumeln zwei | |
Betrunkene. Eine Mutter schreit ihren ungefähr achtjährigen Sohn an, drei | |
weitere Kinder stehen nebendran und schauen stumm zu. Das Baby im | |
Kinderwagen der Frau schläft. Neben dem Eingang des Centers ist eine der | |
zwei Dönerbuden am Born. Beide heißen gleich, eine wirkt wie eine Kneipe | |
mit drehendem Fleischspieß, die andere wie ein Dönerladen mit Kneipe. Vor | |
beiden sitzen Menschen und trinken. | |
Die Szene entspricht genau dem Bild, das viele HamburgerInnen vom Osdorfer | |
Born und seinen knapp 11.000 Bewohnern haben. Der Stadtteil wird als | |
sozialer Brennpunkt stigmatisiert und einzelne Meldungen aus dem Leben der | |
Osdorfer verstärken die gefestigte Meinung, dass der Stadtteil asozial sei. | |
Von Anfang an hatte es die Siedlung schwer: Das markanteste Hochhaus am | |
Achtern Born bekam den Namen „Affenfelsen“, das komplette Quartier wurde | |
sarkastisch als Klein-Chicago bezeichnet. | |
Redet man aber mit den Anwohnern, stellt man schnell fest, dass der Born | |
einen besonderen Charme ausübt. Vor zehn Jahren waren ungefähr ein Drittel | |
der Bewohner Erstmieter in ihren Wohnungen, sie zogen nie weg, erzählt | |
Meier-Hjertqvist. „Es sind viele, die seit fünfzig Jahren hier wohnen“, | |
sagt sie. Die Nachbarschaft sei stark, die am Born Aktiven würden sich gut | |
kennen. Es gibt Angebote für Familien, die Versorgung mit Kita- und | |
Schulplätzen funktioniert. „Der Osdorfer Born ist ein Dorf“, fügt Bernd | |
Meier hinzu. Es sei unglaublich, wie sehr die Menschen hier aufeinander | |
achteten. | |
Dass so viele nie weggingen, liegt natürlich nicht nur an der ruhigen Lage | |
und der guten Nachbarschaft. Meier stellt selbst klar, dass es am Born | |
einen hohen Anteil an Menschen gibt, die auf Arbeitslosengeld angewiesen | |
sind. Das städtische Wohnungsunternehmen Saga GWG bietet ihnen am Born | |
günstige Wohnungen, die Kaltmiete liegt bei ungefähr sechs Euro pro | |
Quadratmeter, erzählt er. Am Born sammeln sich so Menschen, die sich das | |
Wohnen in anderen Stadtteilen in Hamburg nicht leisten können. | |
Dabei stand der Osdorfer Born in den Sechziger und Siebziger Jahren für den | |
Aufbruch. Moderne Wohnungen in einer ruhigen Lage sollten Menschen aus | |
unterschiedlichsten Schichten locken. Es gab eine Durchmischungsquote, die | |
sicherstellen sollte, dass Unter- und Mittelschicht sich hier begegneten. | |
Dann kam 1990 die Fehlbelegungsabgabe und brach dem Born das Genick, wie es | |
Meier-Hjertqvist formuliert. | |
Die Fehlbelegungsabgabe war eine der vielen Fehler des Stadtmanagements. | |
Sie sorgte für höhere Mieten bei den Bewohnern, die eigentlich keine | |
Sozialwohnung brauchten, weil sie gut genug verdienten. Vor die Wahl | |
gestellt, entschieden sich viele Besserverdiener für das Wegziehen vom | |
Born, anstatt höhere Mieten zu akzeptieren. Das Resultat ist, dass am Born | |
nun besonders viele Menschen in finanziell prekärer Lage leben. | |
Hinzu kommt, dass der Born ein städteplanerischer Versuch war, der in der | |
Zeit nach den Sechzigern nicht mehr weiterentwickelt wurde. Heute scherzen | |
vor allem die Älteren über die fehlende U-Bahn-Anbindung, die ihnen seit | |
den frühen Siebzigern versprochen wurde. Die SPD warb mit einem Baustart | |
der U4 im Jahr 1976, mittlerweile könnte es die U5 werden, die aber nicht | |
vor 2021 gebaut wird – und dann zuerst im Hamburger Osten. Der Westen | |
könnte noch Jahrzehnte auf die Anbindung warten. | |
„Wir werden damit wohl nicht mehr fahren“, sagt Bernd Meier mit einem | |
Unterton der Resignation. „Eine der Lehren aus dem Bau des Osdorfer Borns | |
ist, dass man die Infrastruktur nicht vernachlässigen darf. Wenn ich heute | |
die HafenCity sehe, wo erst die S-Bahn- und U-Bahn-Anbindung gebaut wird | |
und die Häuser später kommen, ist das ein Zeichen, dass die Stadtplaner | |
eingesehen haben, dass man die Dinge nicht von hinten angehen kann.“ | |
In unmittelbarer Nähe zum Born Center, auf der gegenüberliegenden Seite der | |
Straße Bornheide, die das Quartier scharf durchschneidet, ist ein kleiner | |
Skaterpark und Spielplatz. Hier sitzt Sandra mit einer Freundin auf einer | |
Bank. Die Mitte-40-Jährige passt auf ihren Enkel auf, der spielt. Sie | |
berichtet von den Missständen am Born: Es gebe gefährliche Plätze, es sei | |
zu dreckig und es fehle an Unterhaltung. | |
Ein paar Meter weiter, an einem Fußweg, der die Straßen Bornheide und | |
Immenbusch verbindet, sitzen ein paar Alte und spielen Karten. Sie haben | |
sich am Mittag getroffen und spielen bis zum frühen Abend. Sie berichten, | |
dass der Born ein aktives, lebendiges Viertel sei. | |
Es ist ungefähr 22 Uhr, zwischen Basketballplatz und den Parkbänken und | |
-tischen, an denen die Alten vorher Karten gespielt haben, stehen sechs | |
junge Männer etwas abseits hinter Hecken und kiffen. Sie sind zwischen 18 | |
und Mitte 20, einer von ihnen wird direkt aggressiv und ruft laut: „Verpiss | |
dich, hau ab!“ Ein Freund hält ihn zurück, angesprochen, wie er es hier am | |
Born findet, antwortet er, dass es ein schöner Stadtteil sei, er sei gut | |
für Familien. | |
Die Jüngeren sind frustriert, dass sie immer und immer wieder übersehen | |
werden. Ein Freizeitangebot für Jugendliche ist quasi nicht vorhanden, in | |
die Stadt kommt man schlecht. Sie sehen, dass seit Jahrzehnten wichtige | |
Investitionen nicht an den Osdorfer Born gehen, aber andere Stadtteile von | |
Zuwendungen profitieren. | |
Den einen Osdorfer Born gibt es nicht, wie man das Viertel erlebt, hängt | |
von der eigenen Lage ab, vor allem aber davon, welcher Generation man | |
angehört. Für die langjährigen Bewohner repräsentiert der Born noch immer | |
die Hoffnung auf ein Leben in einem modernen Stadtteil. Dafür setzen sie | |
sich ein, dafür machen sie mit der Borner Runde auf sich aufmerksam, | |
streiten für Investitionen: eine bessere Busanbindung, eine Renovierung der | |
maroden Geschwister-Scholl-Schule. | |
Ich glaube, die rechnen nicht damit, dass es hier Widerstand gibt“, sagt | |
Maria Meier-Hjertqvist, angesprochen auf den Umgang der Stadtplaner mit | |
ihrem Viertel. Der Osdorfer Born wurde gerne übersehen. Aber aufgegeben hat | |
er nie. | |
Lesen Sie mehr Geschichten über die Hochhaussiedlungen in der taz-Nord | |
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22 Sep 2017 | |
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Philippp Steffens | |
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