# taz.de -- Prozess gegen mutmaßlichen Agenten: Signal des AKP-Regimes | |
> Ein türkischer Mann soll als Agent Kurden ausspioniert haben. Nun beginnt | |
> der Prozess. Betroffene klagen über Lethargie bei deutschen Behörden. | |
Bild: „Wir unterschätzen immer wieder, wie weit der Arm von Erdoğan reicht�… | |
HAMBURG taz | Am Donnerstag beginnt am Oberlandesgericht Hamburg der | |
Prozess gegen den Türken Mehmet Fatih S. Er soll eine „geheimdienstliche | |
Tätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland ausgeübt haben“, so der | |
Vorwurf der Bundesanwaltschaft. Von 2015 bis Ende 2016 habe S. für den | |
[1][türkischen Geheimdienst MIT unter anderem den Kurdenführer Yüksel Koc] | |
aus Bremen ausspioniert. | |
Was nicht angeklagt ist: Dass S. die gewonnenen Erkenntnisse offenbar | |
nutzen wollte, um Koc und einen anderen hohen Kurdenfunktionär zu ermorden. | |
„Angeklagt ist die Gefährdung des Staates, nicht der einzelnen Personen“, | |
sagt der Bremer Rechtsanwalt Rainer Ahues, der Koc vertritt. | |
Am Mittwoch gab Koc in Hamburg eine Pressekonferenz. „Dass es den Prozess | |
überhaupt gibt, ist nicht den Behörden, sondern vor allem unseren eigenen | |
Bemühungen zu verdanken“, sagt er. Tatsächlich hatte die Freundin des | |
Angeklagten S. bereits im Mai 2016 kurdische Politiker und Medien darauf | |
aufmerksam gemacht, dass ihr Freund offenbar plante, unter anderem Koc zu | |
töten. Sieben Monate sammelten Kocs Anwalt und kurdische Organisationen | |
weitere Informationen und gaben diese an die Polizei weiter. | |
Erst im Dezember 2016 wurde S. in Hamburg von der Bundesanwaltschaft | |
festgenommen. „Nur weil der öffentliche Druck groß war, musste der Agent | |
verhaftet werden“, sagt Koc. Ihn mache skeptisch, dass er nicht als | |
Nebenkläger zugelassen ist, sagt Koc. „So wissen wir überhaupt nicht, wie | |
im Prozess vorgegangen wird.“ | |
## AKP-Gegner sind in Deutschland unsicher | |
Unter anderem aus Dokumenten, die die Freundin von S. fand, aber auch aus | |
Gesprächsmitschnitten und anderen Quellen ergebe sich, dass S. nicht bloß | |
spionierte, sondern Teil eines Todeskommandos war, erklärt der kurdische | |
Dachverband Nav-Dem. Den Vorwurf des geplanten Mordes ließ die | |
Bundesanwaltschaft aber zwischenzeitlich fallen, sagt Anwalt Ahues. Er hat | |
dagegen Widerspruch eingelegt, ebenso wie gegen den Ausschluss von Koc als | |
Nebenkläger. | |
Bemerkenswert ist, dass sich anders als sonst die türkische Regierung | |
bislang jeden öffentlichen Kommentars zu der Sache enthalten hat. „Ich habe | |
Zweifel, was bei dem Prozess rauskommt“, sagt Koc dennoch. „Die | |
Vergangenheit hat uns gezeigt, dass die Türkei und die Bundesrepublik eng | |
zusammen arbeiten. Und am Ende wurden die Kurden dabei immer verraten und | |
verkauft.“ | |
Koc glaubt, dass der türkische Präsident Erdoğan über die in Deutschland | |
operierenden MIT-Agenten – deren Zahl die deutschen Behörden auf 6.000 | |
schätzen – Stärke zeigen und die Opposition einschüchtern wolle. „Wir | |
sollen auch hier Angst haben und uns nicht betätigen.“ | |
„Wir unterschätzen immer wieder, wie weit der Arm von Erdoğan reicht“, sa… | |
auch der Linken-Abgeordnete Jan van Aken. Der Fall des in Spanien | |
vorübergehend festgenommen Schriftstellers Doğan Akhanlı habe dies erneut | |
gezeigt. Gegner der AKP seien auch in Deutschland „konkret gefährdet“, so | |
van Aken. Er fordert deshalb ein Ende der Zusammenarbeit mit der Türkei im | |
Sicherheits- und Militärbereich. | |
## Signal des AKP-Regimes an Kurden im Ausland | |
„Der Kern unserer Kritik am AKP-Regime ist doch dessen Repression, im | |
Innern und nach Außen“, sagte van Aken. Keine Kooperation bei Polizei, | |
Geheimdienst und Militär sei deshalb eine weitaus dringlichere und | |
sinnvollere Maßnahme als allgemeine Wirtschaftssanktionen, wie | |
Außenminister Sigmar Gabriel sie nun offenbar erwäge – oder das Ende der | |
EU-Beitrittsverhandlungen, sagte van Aken. | |
Deutschland habe eine „lange Geschichte der Sicherheitskooperation“ mit der | |
Türkei. „Wenn ich daran denke, wie der Menschenrechtler Peter Steudtner in | |
der Türkei festgenommen wurde, frage ich mich: Wurden die Beamten | |
vielleicht in Deutschland ausgebildet?“ Waffenlieferungen müssten genauso | |
eingestellt werden, wie die Zusammenarbeit mit dem MIT, sagt van Aken. „52 | |
Deutsche wurden in der Türkei festgenommen und sitzen dort derzeit in | |
Haft“, sagte van Aken. „Woher kamen wohl deren Namen?“ | |
Operationen wie die gegen Koc seien ein Signal des AKP-Regimes an die | |
Kurden und Türken im Ausland: „Wenn ich mich politisch betätige, kann ich | |
nie mehr nach Hause.“ Deshalb brauche es nicht nur im Fall von Mehmet Fatih | |
S. „ein ganz anderes Aufklärungsinteresse“. | |
6 Sep 2017 | |
## LINKS | |
[1] /Agent-des-tuerkischen-Geheimdienstes/!5382128 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
## TAGS | |
Schwerpunkt AKP | |
Recep Tayyip Erdoğan | |
Kurden | |
Yüksel Koc | |
Agenten | |
Bremen | |
Spion | |
Yüksel Koc | |
taz.gazete | |
EU-Politik | |
Türkei | |
Schwerpunkt Syrienkrieg | |
Schwerpunkt Türkei | |
taz.gazete | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Wegen Vergiftung im Krankenhaus: Angriff auf den Ex-Spion? | |
Ein einstiger russischer Doppelagent und eine Frau werden in Großbritannien | |
mit einer unbekannten Substanz vergiftet. Das erinnert an einen Fall von | |
2006. | |
Türkische Nationalisten in Bremen: Erdoğan-Lobbyisten an der Arbeit | |
Die Union europäisch-türkischer Demokraten will in den Bremer Senat. Sie | |
ist mit Erdoğans AKP und den „Osmanen“-Rockern verquickt. | |
Bewährungstrafe für türkischen Spion: Ein nicht ganz so genialer Dilettant | |
Mehmet Fatih S. hat einen kurdischen Politiker in Bremen ausspioniert. Sein | |
stümperhaftes Vorgehen wertet das Hamburger Oberlandesgericht | |
strafmildernd. | |
Prozess in Hamburg: Verwirrung als Strategie | |
Die Bundesanwaltschaft wirft Mehmet S. vor, den Kurdenpolitiker Yüksel Koc | |
ausspioniert zu haben. Der Angeklagte sagt widersprüchlich aus. | |
Regieren im Ausnahmezustand: MIT allen Mitteln | |
Warum der Geheimdienst MIT nun dem türkischen Staatspräsidenten unterstellt | |
ist und was das zu bedeuten hat – Gastbeitrag von Baha Güngör. | |
Kommentar EU-Beitritt der Türkei: Ein Wahlgeschenk für Erdoğan | |
Schulz' Idee, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abzubrechen, ist | |
billiger Populismus. Und: Sie spielt den Falschen in die Hände. | |
Kommentar Erdogans Geisel: Die Bundesregierung muss handeln | |
Nun sitzen bereits 55 Deutsche in türkischer Haft. Jetzt muss Schluß sein | |
mit Lamentieren. Nur wirtschaftlicher Druck wird Erdoğan umstimmen. | |
Türkei bereitet Syrien-Einmarsch vor: Sturm auf das kurdische Afrin? | |
An der Grenze zu Syrien marschiert das türkische Militär auf. Nahe der | |
Stadt Kilis wurden Artilleriegeschütze und Panzerhaubitzen stationiert. | |
Türkische Diaspora: Fluchtpunkt Berlin | |
Sie alle mussten der Türkei den Rücken kehren. Aus verschiedenen Gründen, | |
zu unterschiedlichen Zeiten. Vier Frauen, vier Geschichten. | |
Ein Jahr Putschversuch in der Türkei: Im Eiltempo zur Alleinherrschaft | |
Der Putschversuch vom 15. Juli 2016 hat die Türkei verändert. Seither räumt | |
Erdoğan alles weg, was ihm im Weg steht. Eine Chronologie. | |
Agent des türkischen Geheimdienstes: Todesgrüße aus Ankara | |
Mehmet Fatih S. lebte als Reporter getarnt in Deutschland. Sein Auftrag: | |
kurdische Aktivisten ausspionieren und einen Mord planen. |