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# taz.de -- Jüdische Deutsche und Geflüchtete: Ehrenamt oder Abwehrhaltung
> Bei einer Debatte zu „Migration und jüdische Gemeinschaft“ in Berlin
> zeigte sich, wie die Flüchtlingsfrage polarisiert hat. Manch einer zeigt
> Sympathien für die AfD.
Bild: Engagiert: Joseph Schuster verteilte 2015 in einer Flüchtlingsunterkunft…
Berlin taz | Oft werde gesagt, die „Flüchtlingskrise“ vor zwei Jahren habe
die jüdische Gemeinde gespalten, sagte Anja Siegemund, die Direktorin der
Stiftung Neue Synagoge Berlin, in ihrer Eröffnungsrede am Montag abend im
Centrum Judaicum in Berlin. Sie würde eher sagen, sie habe deren
„Pluralität aufgezeigt“. Viele Gemeindemitglieder hätten sich ehrenamtlich
engagiert – zum Teil, weil sie sich an ihre eigene Migrationserfahrungen
erinnert gefühlt hätten. Bei anderen habe der Zustrom dagegen Ängste
ausgelöst, wie in Teilen der Mehrheitsgesellschaft auch.
Wie zur Bestätigung trat diese Kluft zu Tage, als eine Moderatorin mit dem
Mikro durch den Saal ging und das Publikum befragte. Ein junger Mann sagte,
es sei erschreckend, dass die AfD auch in jüdischen Gemeinden Sympathien
genieße. Allein auf der Landesliste in Baden-Württemberg sollen vier von 38
Direktkandidaten jüdischer Herkunft sein, hatte die Zeit bereits im April
berichtet.
Ein anderer stand auf und berichtete, dass im Willkommensbündnis in seinem
Berliner Bezirk noch weitere jüdische Mitglieder aktiv seien. Seine
Wahrnehmung sei, die Flüchtlinge hätten „unsere Menschlichkeit gezeigt“,
sagte er. Das war Dmitri Stratievski, der Mitglied im Berliner
Landesvorstand der „AG Migration und Vielfalt“ in der SPD ist und selbst
einst aus Odessa nach Deutschland kam.
Dann stand ein weiterer Mann auf, der sich als Emanuel Krauskopf vorstellte
und bekannte, er sei Mitglied in der AfD. „Die Problematik für uns Juden
liegt darin, dass die Anzahl der Judenhasser steigt – und sie steigt mit
jeder Woche, mit der mehr Moslems zu uns kommen“, sagte er. Erst am
Wochenende habe er mit Björn Höcke gesprochen, und selbstverständlich sei
das „ein national denkender Deutscher“. Aber der Antisemitismus sei kein
Alleinstellungsmerkmal der AfD. Der finde sich auch in anderem Parteien
nicht weniger, behauptete er.
## Kaleidoskop der Migrationsgeschichten
Auf dem Podium wurde dieser Einwurf später kaum aufgegriffen. Der Moderator
Jo Frank distanzierte sich davon und umschiffte das Thema. Die Diskussion
bildete den Auftakt für die Eröffnung einer Ausstellung über „Migration und
jüdische Gemeinschaft“, die den Titel #Babel21 trägt und in den Räumen der
prächtigen Synagoge in der Oranienburger Straße gezeigt wird, deren goldene
Kuppel im maurischen Stil die ehemalige „Spandauer Vorstadt“ überstrahlt.
Deren Kurator Dmitrij Belkin, selbst aus Osteuropa zugewandert, hat dazu
die Biografien von zwölf jungen Menschen zusammen getragen, in deren
Biografien sich die ganze Vielfalt des neuen jüdischen Lebens in
Deutschland und Europa spiegelt. Sie stammen aus den USA, Israel, Osteuropa
oder Brasilien: ein Kaleidoskop der Migrationsgeschichten. Auch ein junger
Iraker ist vertreten, der 2014 nach Europa geflohen ist, und der in Berlin
hängen geblieben ist. Damit will die Ausstellung an die jüngste
Migrationsbewegung anknüpfen.
Migration sei ein Kernthema der Bundeszentrale für politische Bildung,
sagte deren Leiter Thomas Krüger auf dem Podium. Die jüdische Migration sei
bisher aber „ein Aspekt, den wir vielleicht zu wenig aufgegriffen haben“,
sagte Krüger, der auch als Sponsor der Ausstellung auf dem Podium saß.
## Durch „die Russen“ zu Deutschen geworden
Daniel Botmann, der Geschäftsführer des Zentralrats der Juden, erinnerte
daran, dass die Mehrheit der deutschen Juden von heute familiär aus Ungarn,
Polen, Rumänien oder der Ukraine stammten. Erst durch die Einwanderung von
Zehntausenden von jüdischen Kontingentflüchtlingen aus der ehemaligen
Sowjetunion seien sie zu Deutschen geworden, während die anderen als „die
Russen“ betrachtet wurden.
„Eine Minderheit hatte eine Mehrheit zu integrieren“, so Botmann. Manche
hätten damals das Gefühl gehabt, überrannt zu werden. Aber ohne diese
Zuwanderung würden 90 Prozent der jüdischen Gemeinden außerhalb der
Großstädte wie Berlin und Frankfurt heute nicht mehr bestehen, schätzte
Botmann.
Die Kulturwissenschaftlerin Meytal Rozental, aus Israel zugewandert und
Stipendiatin des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerks, sagte dagegen, sie
fühle sich zu keiner jüdischen Gemeinde hingezogen. Der Grund sei, dass
diese mit Kritik an israelischer Politik schlecht umgehen könnten. „Israel
wird als Konzept behandelt, als Ideal oder gar Utopie“, so Rozental. Dabei
sei es ein Land, in dem es wie in jedem anderen Rassismus und Nationalismus
gebe.
## Erinnerungskultur in Frage gestellt?
Die weitere Debatte drehte sich um die deutsche Erinnerungskultur und die
Wahl-O-Mat-Frage, welchen Stellenwert der Völkermord an den europäischen
Juden darin haben solle. Allein, dass diese Frage wieder zur Diskussion
steht, sahen manche – nicht alle – auf dem Podium als Zeichen für den
Rechtsruck in Deutschland.
Außerdem ging es um den konstant spürbaren Antisemitismus, und wie man ihn
am besten bekämpft. Der Zentralrat der Juden plant dazu, Teams von jeweils
zwei jüdischen Schüler in Schulen zu schicken, in denen es keine Juden
gibt, um Vorbehalte abzubauen und einen Dialog „auf Augenhöhe“ zu
ermöglichen. „Juden zum Anfassen“, wie Botmann sagte.
Eine Idee, wie man den Ängsten und antimuslimischen Ressentiments unter
Juden in Deutschland begegnen könnte, hatte aber leider keiner.
13 Sep 2017
## AUTOREN
Daniel Bax
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