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# taz.de -- Berliner Wochenkommentar II: Die Grenzen des Üblichen
> In Neukölln attackiert eine gepiercte und tätowierte „Vollverschleierte“
> eine Dessous-Verkäuferin – und die AfD sieht Saudi-Arabien als Endstadium
> kommen.
Bild: Das Anstoß erregende Schaufenster an der Neuköllner Sonnenallee.
In Berlin geht alles und schon gerade in Neukölln: Die Stadt der Verrückten
sind wir schon seit einer Operette des 19. Jahrhunderts, heute heißt das
Diversity und zieht Menschen aus aller Welt in die tolerante deutsche
Hauptstadt. Leben und leben lassen lautet deren Devise oder, wie es vor
noch längerer Zeit ein Preußenkönig – schon mit Blick auf Religion – sag…
Hier soll jeder nach seiner Façon selig werden.
Doch was diese Woche in Neukölln geschah, beult sogar die Grenzen des in
Berlin Üblichen aus. Da stürmte laut Medienberichten eine
„vollverschleierte Frau“ (dpa) in ein Bekleidungsgeschäft an der
Sonnenallee und verprügelt dessen „arabischstämmige Verkäuferin“ (dpa),
weil diese „Kopftücher und Dessous Seite an Seite“ verkaufe (Die Welt). Die
Angreiferin, der im Handgemenge der Schleier verrutschte, habe blonde
Haare, Hals-Tätowierungen und einen Nasenring getragen, zitiert das Magazin
Focus die Bild-Zeitung.
Moment mal: What?!?
Der Reihe nach: Ein Geschäft in Neukölln zeigt im Schaufenster zwischen
traditionellen arabischen Frauenkleidern und islamischen Kopftüchern eine
Schaufensterpuppe in schwarzer, ketten- und nietenverzierter Netz- und
Latexunterwäsche mit Handschellen am Arm. Klar, auch sexuelle Vorlieben
stehen jedem frei, und unter Welt-Kollegen mag dies unter „Dessous“
durchgehen: zarter Besaitete wie Feministinnen oder Muslime können daran
aber durchaus Anstoß nehmen.
Aber weiter der Reihe nach: Muslime? Handelte es sich bei der Angreiferin
denn, wie die Berichterstattung nahelegt, um eine solche, die aus
religiöser Rage gegen den Laden und die Verkäuferin losschlug? Man kann in
Istanbul, Teheran und Neukölln ohne weiteres verschleierte Frauen
beobachten, die ohne Scheu mit Verkäufern die Preise von „Dessous“ (im
Sinne lachsfarbener Spitzenunterwäsche) diskutieren. Es war das
Christentum, das sich ausgedacht hat, dass Sex keinen Spaß machen darf –
nicht der Islam. Tatoos dagegen und Piercings sind dem frommen Muslim
verboten: Den eigenen Körper, Leihgabe Gottes, zu verstümmeln, ist aber
sowas von haram.
Dass ausgerechnet die AfD gleich nach dem Vorfall mit einer
Pressemitteilung reagierte („.. nur ein Vorgeschmack auf das, was uns noch
bevorsteht. Das Endstadium dieser Islamisierung lässt sich in Saudi-Arabien
beobachten“) lässt am Ende auch noch in ganz andere Richtungen denken.
9 Sep 2017
## AUTOREN
Alke Wierth
## TAGS
Kopftuch
Neukölln
Thomas de Maizière
Taser
Glaube
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