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# taz.de -- Folgen der Flut in Texas: Das Wasser sinkt
> Nach dem Sturm Harvey versuchen sich die Menschen in Houston in so etwas
> wie Normalität. Zehntausende waren evakuiert worden.
Bild: Noch steht das Wasser in Texas
Houston taz | Im Kinderzimmer, oben gleich neben der Treppe, sei das
Terrarium, sagt Aaron Voges und zieht einen Schlüssel aus der Hosentasche.
Polizist Trever Nehls will wissen, ob der Strom im Haus abgeschaltet ist.
Dann lässt er sich von dem flachen Boot in das hüfthohe, stinkende braune
Wasser gleiten und watet zur Tür des zweistöckigen Hauses an der Belmont
Straße. Wenige Minuten später balanciert er auf ausgestreckten Armen ein
gläsernes Terrarium zum Boot. Die australische Echse hinter dem Glas soll
nicht nass werden.
„Suchen und Retten“, heißt die Operation im Stadtteil Cinco Ranch im Westen
von Houston. Vom frühen Morgen an durchfurchen kleine Motorboote das Wasser
das einen Meter hoch auf den Straßen der Mittelschichtsiedlung schwappt.
Das Boot, das Voges’ Echse rettet, wird von einem Ingenieur gesteuert,
dessen Betrieb wegen des Sturms geschlossen ist. Ein zweiter Freiwilliger
an Bord musste sein eigenes Haus wegen Überflutung verlassen. „Es war
selbstverständlich, dass ich hier helfe“, sagt er. Außerdem sitzen ein
Polizist, ein Mitarbeiter des Sheriffs und eine Beamtin der Drogenfahndung
DEA mit im Boot. Die Uniformierten sind von ihren Dienststellen geschickt
worden. Alle haben Harvey durchlebt. Und alle können über Rita, Ike und die
anderen Hurrikane ihres Lebens wie alte Bekannte sprechen.
Mehr als 100.000 Häuser und Wohnungen mussten in den letzten Tagen
verlassen werden. Die letzten sind von der Armee in Körben in Hubschraubern
hochgezogen worden, weil es auf dem Landweg nicht möglich war, sie zu
erreichen. Im Vergleich dazu ist die Aufgabe an diesem Tag eine
Kleinigkeit. Doch die Stimmung unter den Anwohnern von Cinco Ranch, die zum
ersten Mal zu ihren Häusern zurückkehren, ist gedrückt. Sie dürfen nur
Tiere holen und nicht bleiben.
## Riesenangebot an Spenden und Helfern
Sechs Tage ist es an diesem Donnerstag her, seit der Hurrikan „Harvey“ über
Texas wütete. Dabei ist mehr Wasser über Houston heruntergegangen, als
sonst in einem Jahr. Mehr als bei jedem anderen Sturmregen in der
Geschichte der USA. Houston und Umgebung ist in einer Flut versunken, die
fast alle in der 6,5 Millionen-Metropole getroffen hat. Nun aber ist der
Himmel wieder blau, die Luft heiß und feucht, das Thermometer zurück auf 30
Grad. Anders als in Cinco Ranch gibt es auch Stadtteile, wo die Bewohner in
ihre Häuser zurückkehren. Sie putzen und schleppen vom Wasser
aufgeschwemmte Sofas und kaputte Elektrogeräte, Sperrmüll jetzt, an den
Straßenrand.
Auch im George R. Brown Kongresszentrum, das Notbetten für 10.000 Opfer
aufgeschlagen hat, ist zu merken, dass die Menschen zurück wollen. Immer
mehr der unbequemen Pritschenplätze bleiben nachts frei. Zugleich sind die
Notaufnahmestationen mit einem Riesenangebot an Sachspenden und
Freiwilligen konfrontiert. „Dieser Sturm bringt uns zusammen“, sagt eine.
Die Hilfsorganisationen leiten die Lebensmittel-, Babykleider- und
Spielzeugspenden an andere Organisationen weiter. Und sie beginnen in der
Mitte der Woche damit, Hilfsangebote von Freiwilligen abzulehnen.
Gleichzeitig kündigt der Bürgermeister von Houston an, dass das Schuljahr
am kommenden Dienstag mit nur einwöchiger Verspätung beginnen soll.
Rückkehr zur Normalität?
## Zweite Flutwelle
Doch in Cinco Ranch und den Nachbarstadtteilen ist kein Ende des Wassers in
Sicht. An den Eingängen der Häuser prangen giftgrüne Zettel, die zeigen,
dass Polizisten, durchgegangen sind, um sicherzugehen, dass sich niemand
mehr darin aufhält. Alle Bewohner sind zur Räumung verpflichtet. Der Grund:
Nach dem Regen ergießt sich eine zweite Flut über mehrere tausend Häuser im
Westen von Houston. Weil die beiden Wasserreservoirs der Stadt so voll
waren, dass sie zu bersten drohten, entschieden die Behörden, das Wasser in
die angrenzenden Wohngebiete zu leiten. Es ist unklar, wie lange diese
Überflutung dauern wird und ob alle betroffenen Häuser anschließend wieder
bezogen werden können.
Als Voges, der jetzt auf dem Boot durch Cinco Ranch fährt und sein Haustier
evakuiert, vor drei Jahren sein Haus an der Belmont Straße kaufte, galt der
Mittelschichtsstadtteil als einer der überflutungssichersten in Houston.
Trotzdem – „Es war die größte Investition meines Lebens“ – schloss er…
Flutversicherung ab. Dennoch glaubte er so fest an die Flutsicherheit, dass
er dem Wasser auch noch trotzte, als es bereits unter der Eingangstüre ins
Haus sprudelte.
Erst am Sonntag, als sich die Belmont Straße in einen Fluss verwandelte
hatte, pumpte er zwei Luftmatratzen auf, und setzte einen Käfig mit den
Familienkatzen auf die eine und Mülltüten mit Dokumenten und Kleidung auf
die andere. „Dann sind meine Frau, meine beiden Kinder, die beiden Hunde
und ich heraus geschwommen“, sagt er.
Die Familie ist bei Verwandten nördlich von Houston untergekommen. Am
liebsten, sagt Voges jetzt, würde er Cinco Ranch verlassen, könne es sich
aber nicht leisten: „Selbst wenn die Versicherung die Reparaturen zahlt,
bleibt unsere Hypothek. Verkaufen können wir jetzt nicht mehr. Wer will
schon ein Haus in einem Überschwemmungsgebiet?“ Er macht die Ingenieure der
Armee verantwortlich, die in den 40er Jahren die Reservoirs angelegt haben.
„Sie hätten das angrenzende Land niemals für eine Bebauung freigeben
dürfen“, sagt er bitter.
## Chemieindustrie im Überschwemmungsgebiet
„Es wird viele Klagen geben und es wird teuer werden“, sagt Juan Parras am
anderen Ende der Stadt. Die Überschwemmungen haben dieses Mal den Westen
von Houston, wo die grüneren und teureren Wohngebiete liegen und die großen
Ölkonzerne ihre Sitze haben, stärker getroffen als den Osten, wo sich eine
Raffinerie an die nächste petrochemische Fabrik reiht. Parras hofft, dass
der Sturm das Umweltbewusstsein schärft. „Wir im Osten haben 365 Tage im
Jahr die Toxine in der Luft“, sagt Parras, „jetzt haben sie im Westen eine
Überschwemmung.“
Der Gründer der Umweltgruppe „Texas Environmental Justice Advocacy
Services“ (TEJAS) kämpft seit Jahrzehnten für strengere Schadstoffregeln
und ein strengeres Baurecht in Houston. Weit gekommen sind sie nicht und
nun „haben wir einen Klimawandelleugner im Weißen Haus, einen an der Spitze
der Energiebehörde und einen an der Spitze der Umweltbehörde“, wie Parras.
Am sechsten Tag nach der Ankunft von Harvey zeigt sich, wie weit Houston
davon entfernt ist, die Regeln für die Industrie neu zu überdenken. In
Crosby, 40 Kilometer östlich der Stadt, explodieren auf dem Gelände einer
Chemiefabrik, die Kunststoffe, Lacke und Beschichtungen für Autos
herstellt, eine Ladung von organischen Peroxiden. Sie hätte gekühlt werden
müssen, aber das Kühlsystem fiel durch die Flut aus.
Helfer, die das Feuer bekämpften, kamen noch in der Nacht wegen
Atembeschwerden ins Krankenhaus. Der Konzern richtete daraufhin eine
Sperrzone im Umkreis von 2,4 Kilometern ein. Doch am Morgen danach nennt
der Firmensprecher das Feuer ungefährlich und der örtliche Sheriff
vergleicht den Rauch der Explosion auf einer Pressekonferenz mit einem
„Lagerfeuer“. Auch die Umweltbehörde EPA bestätigt, dass es nicht schädl…
sei.
Die Sperrzone rund um die Fabrik führt durch den Garten von Dan Harris. Nur
sein Haus liegt außerhalb. Am Morgen nach der Explosion ist der 67-jährige
Texaner in seinem offenen Golf an die Straße zur Fabrik gekommen, wo
Polizisten die Weiterfahrt verbieten. Rundum grasen Kühe und Pferde auf
Äckern.
Dan Harris macht den Hurrikan „Harvey“ verantwortlich: „Eineinhalb Meter
Regen sind ein ungewöhnliches Ereignis von Mutter Erde, das sich nicht
wiederholen wird“, sagt er. Das Gerede vom Klimawandel hält er für ein
Problem der Demokratischen Partei. Er ist überzeugt, dass sein Land die
Industrie nicht behindern darf, weil das nur China nutze. Und die „vier
oder fünf Explosionen“, der zurückliegenden Jahrzehnte in dem Chemiewerk
hinter seinem Garten wischt er mit seiner Hand in einer ausladenden Geste
zur Seite. „Wir Texaner kriegen das hin“, sagt Harris.
1 Sep 2017
## AUTOREN
Dorothea Hahn
## TAGS
USA
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Sturm Harvey
Houston
Texas
Sturm Harvey
Schwerpunkt USA unter Donald Trump
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