# taz.de -- Tödlicher Unfall: Am Ende bleiben gelbe Umrisse | |
> Auf der Rudi-Dutschke-Straße, direkt vor dem Redaktionsgebäude der taz, | |
> wurde ein Mann von einem Bus umgefahren. Der 69-Jährige überlebte den | |
> Unfall nicht. | |
Bild: Die gelbe Silhouette mitten auf der Straße ist die letzte öffentliche S… | |
Die Konturen sind klar erkennbar, in gelber Farbe leuchten sie von der | |
Straße: Ein runder Kopf, ein nur mit leichtem Strich angedeuteter Arm, der | |
etwas grob wirkende Körper, zwei Beine, deutlich die Füße. Ein Bild wie aus | |
einem billigen US-Polizeifilm oder wie aus einer allzu einfach geratenen | |
politischen Aktion gegen Pelze oder Atomkraft. | |
Wer genauer hinschaut, erkennt noch etwas fleckiges Rot auf der Straße, | |
mitten im Kreisrund des Kopfes. Hier auf der Rudi-Dutschke-Straße, direkt | |
vor dem Redaktionsgebäude der taz, wurde am Dienstagvormittag kurz nach elf | |
Uhr ein Mann von einem BVG-Bus umgefahren. Der 69-Jährige überlebte den | |
Unfall nicht. | |
Am Tag danach ist als letzte Spur davon der Umriss auf dem Asphalt | |
geblieben. Immer wieder bleiben Passanten davor stehen. Einige machen | |
Handybilder von dem seltsamen Männchen, das die Polizei zur Spurensicherung | |
auf die Straße gesprüht hat. Wer darüber länger nachdenkt, auf den wirkt es | |
wie ein Mahnmal. | |
Viele taz-Kollegen hatten das Geschehen nach dem Unfall immer mal wieder | |
von Bürofenstern aus verfolgt: den unendlich lange wirkenden Versuch von | |
Sanitätern und Feuerwehr, den Mann mit immer wieder neuen Herzdruckmassagen | |
zurückzuholen; die Befragung von Zeugen; das Vermessen des Bremswegs. | |
## Wie leicht kann es einen selbst treffen? | |
Die Stimmung im Haus war merkwürdig still, leise, gedrückt, den ganzen Tag. | |
Obwohl die taz über Unfälle dieser Art selten viel mehr als ein Wort in der | |
Zeitung verliert. Der Tod so plötzlich, nach nur einem klitzekleinen | |
Fehler, einer kurzen Unachtsamkeit, kam vielen zu nah. Wie leicht kann es | |
einen selbst treffen? | |
Viele andere Medien berichteten darüber am Abend und am nächsten Morgen. | |
Sie sorgten sich um die Gefährdung der Fußgänger im Allgemeinen, bevor sie | |
zum nächsten Thema übergingen. So ist das, wenn jemand im Straßenverkehr | |
stirbt. | |
Die gelbe Silhouette mitten auf der Straße ist die letzte öffentliche Spur | |
des Mannes, der offenbar selbst an seinem Tod schuld ist. Laut ersten | |
Ermittlungen war er einfach – „unvermittelt“, wie es in der Polizeimeldung | |
heißt – auf die Straße gelaufen. Der Fahrer des Busses, dessen Frontscheibe | |
zur Hälfte geborsten war, hatte wohl keine Chance, auszuweichen oder | |
rechtzeitig zu bremsen. Nach dem Unfall saß er da, aufgelöst in Tränen. | |
Wie absurd wirkte eine weitere Meldung zu dem Thema, die am späten | |
Dienstagnachmittag kam. Die Zahl der Verkehrstoten in Berlin sei in diesem | |
Jahr bisher auffallend niedrig. Laut Polizeistatistik gab es bis | |
einschließlich 22. August 19 Unfalltote. Um es ganz genau zu machen: acht | |
Fußgänger, vier Radfahrer, drei Motorrad- oder Rollerfahrer und drei | |
Autofahrer sowie ein tödlich Verletzter in der Rubrik „Sonstiges“ – wozu | |
Lastwagen- und Busfahrer gehören. | |
## Jeder Tote einer zu viel ist | |
Nur: Was sind wenige Tote angesichts dieses Horrors vor der | |
Bürofensterscheibe? Die Zahl der Fälle in diesem Bereich schwankt jedes | |
Jahr stark, eben weil es so wenige sind. Weil der Zufall eine zu große | |
Rolle spielt. Eigentlich sind die Jahreszahlen kaum vergleichbar. | |
Irgendwann fällt einem dann die Floskel ein, wonach jeder Tote einer zu | |
viel ist. | |
Wie lange die gelbe Silhouette noch an den letzten Tag dieses 69-Jährigen | |
erinnert, hängt auch vom Zufall ab. Je mehr Autos drüberrauschen, je mehr | |
es regnet, desto schneller verblassen die Linien. Und der Unfall findet | |
sich nur noch in der Statistik wieder. | |
23 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Bert Schulz | |
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