| # taz.de -- Alternative zum Jugendknast: Viel Lärm vorab | |
| > Eine Jugendhilfeeinrichtung zur Haftvermeidung sorgt für heftige | |
| > Wortwechsel. Bei der Beiratssitzung kann die Sozialbehörde viele Anwohner | |
| > nicht besänftigen | |
| Bild: Jugendknast möglichst vermeiden: Die Jugendhilfeeinrichtung in Lesum sol… | |
| Bremen taz | Die Beiratssitzung zur geplanten Jugendhilfeeinrichtung in | |
| Lesum übersteigt die Kapazität des Saals deutlich. So voll sei es hier noch | |
| nie gewesen, ist zu hören. Rund 200 Interessierte sind gekommen. Sie stehen | |
| sogar dicht gedrängt in der Tür oder vor dem geöffneten Fenster im Hof. | |
| Ganz in der Nähe, in der Käthe-Kollwitz-Straße, sollen künftig bis zu | |
| sieben straffällige Jugendliche untergebracht werden, um ihnen eine | |
| Alternative zum Jugendknast zu bieten. | |
| Thomas Pörschke, Fraktionssprecher der Grünen im Beirat Vegesack, der als | |
| Vertreter des Sozialressorts gekommen ist, bezeichnet es selbst als ein | |
| „hoch emotionales Thema“. An diesem Abend muss er sich vor den wütenden | |
| BürgerInnen in der Beiratssitzung rechtfertigen. | |
| Er betont immer wieder, dass die Verhandlungen mit der Inneren Mission, dem | |
| Träger der Einrichtung, noch nicht abgeschlossen sind. Doch auch diese | |
| Aussage beschwichtigt viele Anwesende kaum. „Wir haben in Bremen in diesem | |
| Bereich der Haftvermeidung eine Lücke, die wir schließen müssen“, sagt | |
| Pörschke. Immer wieder kommen Zwischenrufe aus dem Publikum: „Das sind doch | |
| alles Straftäter“ oder „Diese Antworten wollen wir gar nicht hören“. | |
| Die Wortbeiträge der Beiratsmitglieder reichen von Polemik bis hin zu | |
| wenigen konstruktiven Fragen. Frank Magnitz, Beiratsmitglied und | |
| AfD-Spitzenkandidat bei der Bundestagswahl, trägt nichts Konstruktives bei. | |
| „Jedes Verkehrsvergehen wird härter geahndet als die Straftaten dieser | |
| sogenannten Jugendlichen“, sagt Magnitz. Sein Beiratsnebenmann Timo | |
| Koschnick von der FDP kontert: „Ich spüre viel heiße Luft von rechts.“ | |
| Viele Zuhörer lachen. | |
| Heike Boll von den Bürgern in Wut prangert die Verschwendung der | |
| Steuergelder an. „Welches Geistes Kind sind sie, so viel Geld auszugeben“, | |
| ruft Boll. Die Kosten für die Betreuung belaufen sich pro Jugendlichen auf | |
| 360 Euro am Tag. Das Argument, dass die Unterbringung im Jugendgefängnis | |
| ebenfalls hohe Kosten verursacht, überhört sie. | |
| SPD- und CDU-Beiratsmitglieder fühlen sich vor allem unzureichend | |
| informiert. „Die Sozialbehörde soll jetzt den Scherbenhaufen, den sie | |
| hinterlassen hat, zusammenkehren“, sagt Beiratssprecher Martin Hornhues, | |
| CDU. Reinhard Hennig, SPD-Beiratsmitglied, nennt die Informationspolitik | |
| der Senatorin eine „Verarscherei“. | |
| „Ich glaube nicht, dass die veranschlagten 300.000 Euro für die Sanierung | |
| der Gebäude in der Käthe-Kollwitz-Straße ausreichen“, sagt ein | |
| pensionierter Sonderschullehrer, der seit über 40 Jahren in der Straße | |
| wohnt. Auch eine andere Anwohnerin spricht von „Schimmelbefall“ und | |
| „Ratten“ in dem Objekt. | |
| Eine andere Unterkunft für straffällige junge Flüchtlinge in Rekum wird | |
| dagegen bis Ende Oktober geschlossen. „Wir haben gemeinsam mit dem Träger | |
| entschieden, den Standort aufzugeben“, sagt David Lukaßen, Sprecher der | |
| Sozialbehörde. Einen direkten Zusammenhang zwischen der Schließung in Rekum | |
| und der neuen Einrichtung in Lesum gebe es nicht, so der Sprecher. | |
| Viele Anwohner sind beunruhigt, weil sie befürchten, die Jugendlichen | |
| könnten eine Gefahr darstellen. „Die Nachbarn in der Rekumer Straße waren | |
| wenig betroffen“, sagt dagegen Birgit Struß, pädagogische Gesamtleiterin | |
| der Einrichtung in Rekum. Wenn die Jugendlichen die Regeln nicht einhalten, | |
| kämen sie in den Knast, so Struß. | |
| „Die Jugendlichen werden starke Auflagen haben, auch wenn die Türen nicht | |
| verschlossen sind“, sagt Katharina Kähler, Leiterin für unbegleitete | |
| minderjährige Ausländer bei der Inneren Mission. In der Einrichtung solle | |
| es darum gehen, sich mit den begangenen Taten auseinanderzusetzen. | |
| Für den Beirat bleiben noch viele Fragen offen – er fordert vor einer | |
| Entscheidung eine weitere Informationsveranstaltung, bei der auch die | |
| Sozialsenatorin anwesend sein soll. | |
| 23 Aug 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Philipp Nicolay | |
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