| # taz.de -- Interview zur Antifeminismus-Debatte: „Ein verzerrter Diskurs“ | |
| > Vor einem Monat launchte die Böll-Stiftung ein Portal, das | |
| > AntifeministInnen listet. Mitbegründer Andreas Kemper blickt zurück. | |
| Bild: Frauen für oder gegen Frauen – manche blicken beim Feminismus nicht me… | |
| taz: Herr Kemper, Ihr Internetportal „Agent*In“ hat wegen einer | |
| Personenliste viel Kritik bekommen. Verstehen Sie das? | |
| Andreas Kemper: Es handelt sich nicht um eine Liste, sondern um ein | |
| Onlinelexikon, ein Wiki wie Wikipedia. Nötig war das, weil der | |
| Antifeminismus meistens nicht mehr so offen und direkt auftritt wie noch | |
| vor 30 Jahren. Heute ist er versteckt, mit einer sehr geschickten | |
| Diskursstrategie, die in weltweit agierenden internetbasierten Netzwerken | |
| erarbeitet und verbreitet wird. Wenn Sie am Schwarzen Brett an Ihrer | |
| Arbeitsstelle ein Flugblatt der Kampagne „Gender mich nicht voll!“ finden, | |
| fragen Sie sich, was das ist. In unserem Wiki konnten Sie erfahren, dass | |
| das eine Kampagne der Jungen Freiheit ist. | |
| Ist „Anti-Gender“ die neue Strategie des Antifeminismus? | |
| Ja, es ist eben keine sachliche Kritik am Feminismus. Der [1][Begriff | |
| „Gender“ wird verdreht], ist für diese Leute eine Weltverschwörung zur | |
| Abschaffung der Geschlechter, letztlich zur Zerstörung der Menschheit, weil | |
| die ja nur in der sogenannten traditionellen Familie gedeihen könne. Diese | |
| Familien und die Männer werden zu Opfern der Feminist*innen und der | |
| „Homolobby“ stilisiert. Das ist ein hochideologischer und vollkommen | |
| verzerrter Diskurs: Eine Minderheit, die Feminist*innen, wird zur | |
| gefährlichen Mehrheit hochstilisiert. Damit kann man Minderheiten mundtot | |
| machen. Und diese Strategie verbreitet sich bis in die bürgerlichen Medien | |
| hinein. | |
| Ihre Kritiker*innen meinen, dass Personenlisten von politischen | |
| Gegner*innen nichts im Internet zu suchen haben. | |
| Diskurse werden von Akteur*innen verbreitet. Diese konnten mithilfe | |
| eines Inhaltsverzeichnisses gefunden werden, wie in jedem Buch, in dem es | |
| ein Inhaltsverzeichnis oder Personenregister gibt. Es gibt Menschen, die | |
| als „neue Feministinnen“ in Talkshows auftreten, wie etwa [2][Birgit | |
| Kelle], und gegen Gender polemisieren. Aber sie ist eng verknüpft mit den | |
| Legionären Christi, ultrakonservativen Katholiken. | |
| Wenn Birgit Kelle deren Meinung gar nicht öffentlich vertritt, warum ist es | |
| dann wichtig, zu wissen, ob sie die Legionäre Christi gut findet? | |
| Sie vertritt einen Teil von deren Diskursen öffentlich, die | |
| Antigleichstellungspropaganda. Und das Ganze ist vernetzt. Da gibt es etwa | |
| die TFP, das heißt „Tradition – Familie – Privateigentum“, eine | |
| internationale ultrakatholische Organisation, die in Polen das Referendum | |
| gegen Abtreibung organisiert. Der europäische Zweig wird vom Cousin [3][von | |
| Beatrix von Storch] geleitet. Man denkt, na ja, das ist Polen, ist halt | |
| sehr katholisch. Aber tatsächlich stecken dahinter internationale | |
| Netzwerke. | |
| Im Wiki finden sich aber auch Journalisten, die in linksliberalen Medien | |
| schreiben. Sie haben ja eigentlich nur eine Meinung: Sie [4][kritisieren | |
| die Gender Studies]. | |
| Meinungen fallen ja nicht vom Himmel. Sie schließen an Diskurse an, die | |
| virulent sind. Und es gibt eben Journalisten, die antifeministische | |
| Diskurselemente auch in die liberalen Medien tragen. Eine verzerrte, | |
| unsachliche Darstellung der Gender Studies gehört dazu. Das Wort | |
| [5][„Antiwissenschaft“ für Gender] hat ein solcher Journalist erfunden. Die | |
| Rechten haben es freudig aufgegriffen. | |
| Man könnte aber auch zugespitzt sagen: Antifeminismus ist einfach | |
| Mainstream in Deutschland. In einer Umfrage stimmten zwei Drittel aller | |
| befragten Männer dem Satz „Es reicht langsam mit der Gleichstellung“ zu. | |
| Dann muss man sich über breiten Protest nicht wundern. | |
| Ich wundere mich ja auch nicht. Die Gleichstellung musste immer gegen | |
| konservative Mehrheiten erstritten werden, die dachten, das Abendland geht | |
| unter, wenn Frauen, Schwule, Lesben mehr Freiheiten und Rechte bekommen. | |
| Das ist heute nicht anders als früher. | |
| Wie erklären Sie sich, dass auch Feminist*innen das Wiki kritisiert haben, | |
| weil es sie an „Gegnerlisten“ erinnerte? | |
| Es geht hier außer um Missverständnisse auch um grundsätzliche Fragen des | |
| Umgangs mit antifeministischen oder rechten Strukturen. Das kenne ich auch | |
| aus meiner Arbeit zur AfD. Darüber müssen wir reden. | |
| Wikipedia ist darauf angelegt, dass der Schwarm mitschreibt. Sie dagegen | |
| haben ein festes Autor*innenteam. Ist das dann eigentlich noch ein Wiki? | |
| Es ist ein halböffentliches Wiki, welchem juristisch enge Grenzen gesetzt | |
| sind. Wenn wir etwas schreiben würden, was nicht stimmt, gäbe es eine | |
| Abmahnung. Wir vertreten einen Standpunkt. Doch auch damit kann man | |
| wissenschaftlich korrekt vorgehen. Auch bei der Wikipedia bestimmen die | |
| Autor*innen Themen und Tenor der Artikel. Es ist ein weißes, deutsches, | |
| heterosexuelles und männliches Wikipedia, denn aus diesen Leuten bestehen | |
| 90 Prozent der Autor*innen. Die Feministin Antje Schrupp nennt das | |
| „unmarkierte Männlichkeit“. | |
| Aber ich kann als Feministin meine Kritik einbringen. | |
| Theoretisch schon. Praktisch sind Feministinnen bei Wikipedia Shitstorms | |
| ausgesetzt, auf ihren Seiten werden Pornos gepostet, sie werden | |
| fertiggemacht, ihre Artikel werden sofort wieder gelöscht – viele | |
| Feminist*innen mögen dort nicht mehr mitmachen. | |
| Wenn ich bei Wikipedia nach Birgit Kelle suche, dann stehen da auch die | |
| Verbindungen zu den Legionären Christi. Wozu noch ein extra Lexikon? | |
| Wikipedia kategorisiert und bündelt Informationen, die sowieso öffentlich | |
| zugänglich sind, so wie unser Wiki. Allerdings kaum bei Antifeminismus. | |
| Wenn Sie nach Antifeminismus suchen, finden Sie einen Text, der bei 1945 zu | |
| Ende ist, und die Kategorie Antifeminismus wurde komplett gelöscht. Unser | |
| Wiki hat versucht diese Lücke zu schließen. | |
| Es wurde auch kritisiert, dass die Informationen zu dünn sind, der Eindruck | |
| von Willkür entstand. Haben Sie das Wiki einfach zu früh veröffentlicht? | |
| Möglicherweise. Es ist nicht angekommen, dass wir erst im Aufbau sind. | |
| Lobbypedia, das Wiki von Lobbycontrol, hat auch so angefangen. Und es hat | |
| natürlich auch eine Kategorie zu den Akteur*innen des Lobbyismus, zu den | |
| Lobbyist*innen. Sie haben auch einen politischen Anspruch, so wie wir. Und | |
| haben dafür den Grimme Online Award bekommen. Komisch, nicht? | |
| Der Vorwurf lautet ja, dass Ihr Portal, die Agent*in, Antifeminismus als | |
| „gefährliche“ Meinung bewertet. Da dürfte dann der Vorwurf der | |
| „Diskurspolizei“ nicht weit sein, oder? | |
| Lobbypedia findet auch, dass der Neoliberalismus und seine Diskurse | |
| „gefährlich“ sind. Es geht bei Lobbypedia wie bei Agent*in um | |
| Netzwerkstrukturen und -strategien, auch um Diskursstrategien wie | |
| „Greenwashing“ und „Country Branding“. Und wir wollten aufzeigen, wo z.… | |
| Wörter wie „Diskurspolizei“ herkommen, welchen Zweck sie erfüllen. | |
| Wenn jemand sagt: „Die Theoretikerin [6][Judith Butler] will die | |
| Geschlechter abschaffen, und das halten wir für gefährlich“, ist das mehr | |
| als eine Meinung? | |
| Das ist eine verkürzte Interpretation und eine Meinung. Aber wenn man | |
| verbreitet, die gesamten Gender Studies wollten die Geschlechter | |
| abschaffen, dann ist das schlicht falsch. Man kann nicht eine einzige | |
| Theoretikerin, die man nicht mal richtig verstanden hat, mit einem riesigen | |
| Forschungsgebiet gleichsetzen. Und da das schon oft genug erklärt wurde und | |
| diese Leute an ihren Sprüchen festhalten, würde ich sagen: Das ist | |
| Strategie. | |
| Aufgrund der Proteste hat die Böll-Stiftung das Wiki vom Netz genommen. | |
| Haben Sie dafür Verständnis? | |
| Die Stiftung und die Redaktion wollen nun jede für sich in Ruhe und | |
| ergebnisoffen beraten und diskutieren. Und dann sehen wir weiter. | |
| 18 Aug 2017 | |
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| ## AUTOREN | |
| Heide Oestreich | |
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