# taz.de -- Aufmarsch in Spandau: Lackmustest für Neonazi-Szene | |
> Am kommenden Samstag wollen Neonazis in Spandau aufmarschieren, Anlass | |
> ist der 30. Todestag des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß. Gegenproteste | |
> sind geplant. | |
Bild: Auch am Samstag wollen Hunderte gegen Neonazis protestieren. | |
Einen solchen Aufmarsch hat es in Berlin lange nicht mehr gegeben: Mehr als | |
1.000 Neonazis könnten am kommenden Samstag durch Spandau ziehen, um des | |
Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß an seinem 30. Todestag zu gedenken. Heß | |
hatte sich am 17. August 1987 mit 93 Jahren im Kriegsverbrechergefängnis in | |
Spandau erhängt. Unter Neonazis wird bis heute behauptet, Heß sei in | |
Wirklichkeit von den Alliierten ermordet worden; durch sein ungebrochenes | |
Bekenntnis zum Nationalsozialismus wird er in rechtsextremen Kreisen als | |
Märtyrer verehrt. | |
Heß’ Todestag war jahrelang Anlass für rechtsextreme Demonstrationen im | |
bayerischen Wunsiedel, wo sich bis 2011 sein Grab befand. In den letzten | |
Jahren war die Teilnehmerzahl der Heß-Gedenkmärsche überschaubar, zum 30. | |
Todestag soll sich das jetzt wieder ändern: Bundesweit wird für die | |
Demonstration in Spandau mobilisiert, die zu dem ehemaligen Standort des | |
1987 abgerissenen Gefängnisses führen soll. Auch aus dem europäischen | |
Ausland, etwa aus Ungarn und Tschechien, werden Demonstranten erwartet, | |
heißt es aus Sicherheitskreisen, in denen erwartet wird, dass die | |
angemeldete Zahl von 500 Teilnehmern deutlich überschritten werden könnte. | |
Auch die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus geht davon aus, dass mit | |
„deutlich mehr“ als den angemeldeten Teilnehmern gerechnet werden müsse. | |
Der Termin habe das Potenzial, die eigentlich zerstrittene Neonazi-Szene | |
„bundesweit einen zu können“, schreibt die Beratungsstelle in einer | |
Stellungnahme: In der NPD, bei diversen Kameradschaften und im Spektrum der | |
autonomen Nationalisten wird der Aufmarsch gleichermaßen stark beworben. | |
Auch bei dem Neonazi-Konzert im thüringischen Themar, dass im Juli durch | |
seine hohe Besucherzahl bundesweit für Aufregung gesorgt hatte, wurde für | |
den Gedenkmarsch in Spandau mobilisiert. | |
Die Demonstration könnte damit zu einem Lackmustest für die | |
Mobilisierungsstärke der klassischen rechtsextremen Szene werden, die in | |
letzter Zeit zumindest in Berlin nur noch wenig auf der Straße präsent war: | |
Die neurechte Identitäre Bewegung etwa, die im Juni mit mehreren hundert | |
Teilnehmern in Berlin marschieren wollte, verzichtet auf einen öffentlichen | |
Bezug auf den Nationalsozialismus. Bei den regelmäßig stattfindenden | |
„Merkel muss weg“-Aufmärschen nehmen zwar auch NPDler und Mitglieder | |
diverser Kameradschaften teil, doch auch hier stehen islam- und | |
flüchtlingsfeindliche Parolen statt klassischer NS-Bezüge im Vordergrund. | |
Die Berliner Registerstellen, in denen unter anderem rechtsextreme | |
Propagandadelikte erfasst werden, melden schon seit Wochen eine Häufung von | |
Plakaten, Aufklebern und Schmierereien mit Bezug auf Heß’ Todestag, so | |
wurden beispielsweise in Lichtenberg Parolen wie „Märtyrer des Friedens“ | |
und „Rudolf Heß, gebt die Akten frei“ großflächig auf Straßen und | |
Bürgersteige gesprüht. In Marzahn-Hellersdorf, Kreuzberg, Neukölln und | |
Lichtenberg sind außerdem gefälschte polizeiliche Fahndungsplakate | |
aufgetaucht, auf denen nach dem Mörder von Rudolf Heß gesucht wird. Die | |
B.Z. zitierte dazu aus einer internen Mail des Marzahn-Hellersdorfer | |
Bezirksamts, die vor in den Plakaten versteckten Scherben und Rasierklingen | |
warnt. | |
Anmelder der Demonstration ist nach mehreren Quellen der Neonazi Christian | |
Häger, ehemaliges Mitglied der Kameradschaft „Aktionsbüro Mittelrhein“. | |
Gegen Häger und 25 weitere Personen wurde 2012 ein Prozess wegen des | |
Verdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung eingeleitet, es war | |
einer der größten Prozesse gegen Neonazis in der Geschichte der | |
Bundesrepublik. Laut Anklage sollte das Aktionsbüro Mittelrhein angestrebt | |
haben, einen Staat nach Vorbild des Dritten Reichs zu errichten. Im Mai | |
platzte dieser Prozess wegen „überlanger Verfahrensdauer, der Fall gilt als | |
Debakel des Rechtsstaats. Es ist möglich, dass Häger und seine Kameraden | |
nun auch mit dem Heß-Aufmarsch ihre starke Position in der Szene | |
zurückerobern wollen. | |
Mehrere Bündnisse rufen zu Protesten gegen den Neonazi-Aufmarsch auf (siehe | |
Kasten). „Der Heß-Kult ist der Steigbügelhalter für die Rehabilitierung und | |
Glorifizierung des Nationalsozialismus und genau deswegen so gefährlich“, | |
sagt ein Sprecher des Berliner Bündnis gegen rechts. Auch Gewerkschaften, | |
Wohlfahrtsverbände und Politiker von SPD, Grüne und Linke rufen zu | |
Gegenprotesten auf. | |
Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten | |
hatte ein Verbot des Aufmarschs gefordert. Auch in Spandau selbst | |
mobilisiert ein breites Bündnis zu den Gegenprotesten. | |
13 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Malene Gürgen | |
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