| # taz.de -- Kolumne „Jung und dumm“: BRD, damals und heute | |
| > Mundgeruch und Gras und Furz. Stinkend zogen sich die Sommer der Kindheit | |
| > hin. Heute ist alles komfortabler – dank der Heilkraft der Automobile. | |
| Bild: Hat auch schon bessere Zeiten gesehen | |
| Der Bauchnabel schuppt, das Achselhaar dampft, und sonnengebräunte | |
| Unterkiefer löffeln im Stadtpark Rinteln Legofiguren aus Kindermägen, | |
| manchmal sogar mit dem Finger. Hände gewaschen wird nicht. | |
| Stundenlanges, angstvolles Verharren führt zu gesteigerter Aufmerksamkeit | |
| für die Umwelt; von ihr droht Gefahr. Ältere Leute streicheln sich zwischen | |
| den Beinen. Dreizehnjährige lecken einander am Arsch. Katzen kotzen. Wunden | |
| heilen nicht. Alles stinkt nach Mundgeruch und Gras und Furz. | |
| Schweiß läuft ein in Mund und Magen, durchtropft die Gedärme und versinkt | |
| in einem alles verschlingenden Strudel, ja, Kirschstrudel, von Tante | |
| Christel, selbst gebacken und mit extra Schweiß bitte, danke. | |
| Wir hatten ja nichts. Statt Fußball zu spielen, schmierten wir uns | |
| Glutamatpaste auf die Lippen und lutschten daran – wie Herpes in lecker. | |
| Andere Kinder bekamen Nutella und Marshmallows, wir Kacke und | |
| Grillanzünder. Wer nach neuen Erfahrungen suchte, rammte sich eine | |
| Telefonkarte in die Achsel. | |
| ## Eis mit Sahne | |
| Heute führe ich ein von der Staatspresse finanziertes Vielgeldleben, schaue | |
| jungen Männern dabei zu, wie sie nach Ecuador oder Österreich gehen, und | |
| esse jeden Tag ein Eis mit Sahne. Das ist so komisches Sprühmassenzeug, was | |
| die da nehmen als Sahne, ich sehe das ja, ich bin ja nicht doof. | |
| Umso lieber spachtele ich es in mich hinein, das ist wie sich selber mit | |
| Bauschaum auffüllen. Mein Urologe trägt Locken, und im Radio laufen nur | |
| noch Morningshows. | |
| Nicht anders die Landschaft. Im Zuge der allgemeinen Refeudalisierung | |
| (Talkmaster, Grillkönig, Hisbollah Rödelheim) trat an die Stelle des Feldes | |
| die Autobahn, auf der Carola und Dietmar zum Outlet Store töffen. | |
| Riesige Betonpfeiler führen über marode 90er-Jahre-Ortsumgehungen aus dem | |
| Mittelalter. Jugendfreund C.: „Wie kann man überhaupt sterben, wenn man | |
| zwei Autos hat?“ | |
| ## Fernbus-Hölle | |
| Der internationale Erasmus-Jetset verbiegt sich derweil den Rücken, schläft | |
| und steht im Stau, während der vierschrötige Fahrer auf den Standstreifen | |
| brunzt: Die Hölle heißt Fernbus. Kulturindustrie am Kerpener Kreuz. | |
| Für alle im Wachkoma liegt das Red Bulletin aus, ein Pressprodukt, dem wir | |
| entnehmen, wie man ohne Fallschirm aus einem Flugzeug springt, und dass | |
| Autos mit Braunauer Kennzeichen bei der Rallye Dakar am erfolgreichsten | |
| waren. | |
| Über eines der Gefährte heißt es: „Die Federwege sind mit 46 Zentimetern so | |
| groß, dass der 3008 DKR theoretisch einen Sessel überfahren könnte, ohne | |
| dass es die Fahrer mitbekämen.“ | |
| Dass im fundamentalökologischen Geknatter der deutschen Öffentlichkeit | |
| marginalisierte Positionen nur mittels Finanzkraft Gehör finden, wird umso | |
| klarer, wenn man sieht, dass noch im Firmenblättchen des | |
| Rinderpissaufgusses jeder zweite Quadratzentimeter als Anzeigenplatz dient | |
| – zum Beispiel für „TechSpecs“, „die Disco im Wohnzimmer“. | |
| Die ist „perfekt für dich, wenn du auf groovy Konzertatmo abfährst“, und | |
| wer – mal ehrlich – tut das nicht? „Smartes Licht macht deinen Teppich zur | |
| Tanzfläche. Smarte Boxen bringen ihn zum Stauben.“ | |
| Aber was ist mit dem Sessel? | |
| 9 Aug 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Adrian Schulz | |
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