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# taz.de -- Punkband Tics: Nächste Misere in zwei Minuten
> Unruhige Zeiten brauchen eruptive Musik: In ihrem Debütalbum kippt die
> Kölner Band Tics eine Lawine von Lärm über Schlagworte und Phrasen.
Bild: Donald Trump widmet die Band einen eigenen Song: „Punch him in his face…
Ganz egal ob es um globales politisches Geschehen geht oder den ganz
banalen Alltag: Permanent begegnen uns unterschiedliche Statements,
prasseln jedes für sich genommen kurz und heftig auf uns ein und
verflüchtigen sich ebenso schnell wieder, wie sie aufgetaucht sind. Für
sich genommen sind solche Momentaufnahmen bestenfalls in der Lage, kurze
Reaktionen hervorzurufen, ihr tiefergehender Zusammenhang jedoch bleibt oft
verschlossen. Es scheint, als seien wir von immer wiederkehrenden hohlen
Phrasen umgeben, die es schwer machen, zu differenzierten Positionen zu
gelangen.
Das ist auch der erste Eindruck, der sich in der eruptiven Musik von Tics
widerspiegelt. Die Kölner Post-Punk-/Post-Hardcore-Band setzt genau das um,
was „Tics“ als körperliches Symptom kennzeichnet: Kurze und unwillkürlich…
teilweise komplexe Kontraktionen. „Unsere Musik soll schnell sein, schnell
entstehen, wie Eindrücke, auf die man reflexhaft reagiert“, beschreibt
Gitarrist Michael ihre Absicht. Gemeinsam mit Schlagzeuger Jens und Bassist
Manni macht er bereits seit 13 Jahren Punksound.
Offiziell gegründet haben sich die Tics aber erst vor eineinhalb Jahren,
als Sänger Matthias zur Band stieß und bereits komponierte Songs mit Gesang
und Samples bestückte. Das Debütalbum der Band, das ebenfalls „Tics“ hei�…
ist nun beim Label Beau Travail erschienen. Es ist eine kleine Offenbarung,
auf der viele lose Enden aus 40 Jahren Punk auf großartige Weise
zusammenfinden.
In den Songtexten wird eher die Großwetterlage angesprochen: Antisemiten,
Rassisten und Homophobe kriegen von der Band kurz und heftig Haue. Genauso
machen Tics Front gegen Religionswahn und besorgte BürgerInnen – um am Ende
bei „Knowledge is a cultural force [. . .] Species appropriate, oh yeah“ zu
landen, präsentiert von einer Computerstimme.
Dem amtierenden US-Präsidenten Donald Trump widmet die Band einen eigenen
Song, [1][„Punch him in his face“]. „Das Trump-Sample auf dem Album ist
übrigens noch vor seiner Kandidatur entstanden. Auf einer
Wahlkampfveranstaltung sagte er diesen Satz: „‚Punch him in his face!‘, an
dem sich für uns in diesem Song die Brutalisierung der Art und Weise, wie
vor allem in der Politik miteinander geredet wird, manifestiert“, erklärt
Michael.
## Irre schnell, gut laut und leicht vergrätzt
Tics liegt nicht nur das Aufzeigen solcher spezifischer Tendenzen am
Herzen, generell sind sie mit den Verhältnissen unzufrieden: „Es scheint
uns, als sei das, was uns gerade in der Öffentlichkeit von Politik
vermittelt wird, wie ein Marktplatz unterschiedlicher Statements, die nicht
aufgelöst werden. Auch unser eigenes Alltagsreden ist ticshaft geworden: Es
ist eine Kakofonie von Stimmen“, erklärt Michael. Eben diese
Vielstimmigkeit ist es, die die Tics versuchen sowohl gesanglich als auch
instrumental hörbar zu machen.
Das Quartett wirft seinen ZuhörerInnen mit unheimlichem Wumms eine
verwirrende Vielfalt an Themen vor die Füße – alles ist irre schnell, gut
laut, leicht vergrätzt und zuweilen mit Funky- und Psychedelic-Elementen
angereichert. Wobei Funk und Psychedelik im Zeitalter von ADHS und
Social-Media-Overkill stärker wirken. Unterstützt durch mehrere
Gesangsstimmen, Saxofon, Klavier und Keyboards – beigesteuert von Freunden
–, erzeugen Tics eine plattmachende Lawine aus Krach.
Der Sound der Band erinnert an legendäre kalifornische Bands wie Minutemen
oder auch 100 Flowers, solchen Bands also, die Punk nie linientreu
interpretiert haben; an den Stellen, wo der psychedelische Flair überwiegt,
dringt auch der Einfluss früher britischer Post-Punk-Bands wie Pop Group
oder Gang of Four durch. „Das Konglomerat reflexhafter Eindrücke in unserem
Sound hat weder Anfang noch Ende. Er ist und bleibt unfertig – und somit
auch durchgängig offen für Einflüsse verschiedener Stilrichtungen“,
erklären die Bandmitglieder, „es ist, als würden wir permanent in den Wald
hineinrufen“.
Eine Konstante, die sich durch das ganze Album zieht, ist die Kürze der
Songs. Keiner länger als zwei Minuten. „Kürze ist Konsens. Wir wollen
schnell zu schnellen Ergebnissen kommen“, sagt Matthias.
## Kakofonie von Stimmen
Gemeinsam ist allen Tics-Songs auch der momenthafte Charakter. Kurz und
heftig angerissen, bleibt als einzig mögliche Reaktion beim Zuhören nur ein
kurzer Reflex – bevor es direkt weitergeht in die nächste Misere. Womit wir
wieder bei der „Kakofonie von Stimmen“ wären: „Bewährte Möglichkeiten,…
zu äußern, scheinen gerade nicht mehr zu existieren. Ich habe den Eindruck,
dass Komponenten wie ‚Ich‘ und ‚Gegenüber‘ zunehmend verschwimmen. Auf…
dessen ist es kaum bis gar nicht mehr möglich, sich umfassender zu
positionieren“, konstatiert Michael. „Wo Positionierung stattfindet,
geschieht das nur mit Schlagworten, mit einschüchternder Wortgewalt und
verwirrenden Widersprüchen. Es wird einfach immer weitergequasselt, aber
nie aufgelöst.“
Matthias beschreibt eine weitere Dimension dieser Problematik: „Heutzutage
ist es schlimmer, als Antisemit bezeichnet zu werden, als antisemitische
Reden zu schwingen. Es geht also nur noch um die Person statt um das, was
sie sagt. Das, was früher einmal Relevanz hatte, scheint nun komplett
ausgehöhlt zu sein.“ Diese nüchterne, vielleicht auch niederschmetternde
Bilanz der Umstände, in denen wir uns wenige Monate vor der Bundestagswahl
befinden, scheint auf die Band keinerlei lähmende Wirkung zu haben.
Im Gegenteil, sie finden darin durchaus kreatives Potenzial, ja sogar
musikalisch beflügelndes Material. „Für unsere eigene Arbeitsweise ist
diese Atmosphäre sehr befreiend: Wir selbst können eben nur auf einzelne
Situationen reflexhaft reagieren. Wir improvisieren auch live“, erklärt
Michael, „wobei wir uns darüber bewusst sind, dass eine solche musikalische
Offenheit ab einem gewissen Punkt auch eine Reduktion bedeuten kann.“
Spannend wird es dann, wenn noch weitere Stimmen die Band unterstützen:
„Wenn viele Leute ihre Reaktionen zusammenlegen, dann wird es mitunter auf
merkwürdige Art und Weise urplötzlich sehr konkret! Irgendetwas passiert
dann mit uns“, bemerkt Matthias.
Am Ende scheint also das laute Konglomerat verschiedener Stimmen, das vor
allem die Unmöglichkeit einer tiefgründigen Positionierung thematisiert,
genau das hervorzubringen: Tics vertreten als eine Punk-Position. Und zwar
eine äußerst differenzierte.
13 Jul 2017
## LINKS
[1] https://tics.bandcamp.com/track/punch-him-in-the-face-2
## AUTOREN
Annika Glunz
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Antisemitismus
Punk
Hardcore-Punk
Lesestück Recherche und Reportage
Arte
Peter Tauber
Pop
Musikfestival
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