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# taz.de -- Die Band „Die Höchste Eisenbahn“: Dann kommt der Regen
> Francesco, Moritz, Felix und Max, das sind die Jungs von der Band „Die
> Höchste Eisenbahn“. Sie könnten ganz groß rauskommen. Aber wollen sie
> das?
Bild: Drummer Max Schröder, links, und Sänger Francesco Wilking spielen vor d…
„Malle hat seine Unterhose vergessen“, so fängt es an. Malle ist aus der
Crew, ihr Soundmixer, aber Sänger Francesco will auch direkt los, sich ein
Deo kaufen, hat er vergessen – es ist heiß auf dem Gelände, er schwitzt.
„Gibt’s irgendwo einen Rossmann?“
Lange sind sie noch nicht hier, in Sachsen: „Die Höchste Eisenbahn“, die
Band, die Jungs – Francesco, Moritz, Felix und Max. Mitsamt ihren Leuten,
mit Malle, mit dem Tourmanager, mit dem Lichtmixer, dem Fahrer. Vier
Stunden saßen sie im Bus. Berlin–Dresden. Da dann noch durch die Altstadt,
den Hügel hoch zur Technischen Universität, wo sie am Abend spielen sollen,
beim „Unirocks“-Festival. Als dritte von fünf Bands.
„Hängt das WLAN gerade oder wie?“ Der Tourmanager hat das Smartphone in der
Hand, er sucht nach Drogerien und einem H&M – wegen der Unterhose. Neben
ihm sitzt der Fahrer, auf einer Bierbank im Cateringzelt, wo Gemüse und
Obst auf Tabletts liegen, für die mit dem Backstage-Pass. Francesco und
Moritz scrollen auch auf ihren Handys: „Ihr könnt jetzt live dabei sein,
wenn wir unseren neuen Social-Media-Kanal pflegen“, sagt Francesco, und
Moritz lacht. „Seit heute sind wir bei Instagram.“ Vier Fotos haben sie
bereits hochgeladen. „Müssen wir noch mehr?“ Vier Fotos, 248 Abonnenten. Es
ist ein Anfang.
Auf Facebook haben sie knapp 16.000 Fans, ihr zweites Album ist vergangenes
Jahr erschienen. Mit deutschen Liedern, der Sorte Musik, die Kritiker
lieben. Die selten im Radio läuft, weit davon entfernt ist, als „das Beste
von heute“ im Hintergrund zu dudeln.
„Die Höchste Eisenbahn“, 2011 gegründet, von dem Sänger mit den blonden …
dem mit den braunen Haaren: Francesco Wilking und Moritz Krämer. Felix
Weigt ist Bassist, Max Schröder der Drummer. Eine Band, die abheben könnte.
Vier Jungs, die als Nachfolger von „Tocotronic“ gehandelt werden. Künstler,
die brillante Reime schreiben, in Lieder verpackte Lyrik. Musiker, auf
deren Durchbruch gewartet wird: Schaffen die den Sprung?
Wollen sie überhaupt?
Lastwagenanhänger werden zwischen Hörsaalzentrum und Bühne gerollt, über
zertretenes Gras, auf das die Mittagssonne prallt. Ein Mann schiebt einen
Kühlschrank von Red Bull, oberkörperfrei, auf seinen Tattoos glitzert
Schweiß. Francesco ist vom Tourmanager auf die Bühne gezogen worden, als
seine Selbstgedrehte noch brannte und er über Helene Fischer sprach.
„Helene hat ihre Berechtigung, die ist eine hart arbeitende Frau.“ Jetzt
sind sie bereit für den Soundcheck: Francesco mit rotem Käppi, Max in
Jogginghose, Moritz in Birkenstock. Felix mit der Zahnbürste, die er eben
noch im Mund hatte und nun in einer pinken Schutzhülle aufbewahrt – in der
Gesäßtasche seiner Jeans.
„Hallo? Hi?“ Kabel einstöpseln. Saiten anschlagen.
„Geht das bisschen lauter?“
„Jajajajaja.“
Dann die ersten Töne von Lisbeth, von Isi, „spiel nochmal genau an der
Stelle!“ – von Raus aufs Land. Die Ballade, für die sich Moritz ans
Keyboard setzt, die er größtenteils alleine singt, etwas kratzig und
vernuschelt. Die wie eine Kurzgeschichte ist: Ein Paar zieht aus der Stadt,
weil die Zweizimmerwohnung nicht mehr reicht. Herrlich, diese Landluft, die
Vorstellung einer eigenen Terrasse, endlich das eigene Haus zu bauen. Und
dann wird Zement in die Gruben gegossen, werden die Gerüste verhasst,
wackelig wie Pappe, weil die Freundin Sex mit dem neuen Nachbarn hat.
Meintest du das mit raus aufs Land?
„Bisschen lauter noch?“
Ihre Texte sind oft so, „Eisenbahn“-Erzählungen – über das Du und das I…
diese und jene Tage. Wechselnde Launen. Da ist etwa Aliens, in dem sie
Menschen beobachten, die ihre Leben organisiert kriegen und in Zügen ihre
reservierten Plätze suchen. Oder Gute Leute, das Stück über eine Party, die
man sich besser gespart hätte; ich heiße so und so und ich gehör zu dem und
dem.
„Okay, reicht!“
Der deutsche Pop, der derzeit weit oben in den Charts landet, ist eher
verrätselt und schmerzhaft: Philipp Poisel, mit seinem neuen Album auf
Platz 1 eingestiegen, weint manchmal bei Auftritten. Er scheint seine
Kreativität aus der Trauer zu ziehen, aus episch-tragischen Beziehungen,
einem großen „Geh nicht“. Bei Clueso – fünf Mal Gold, drei Mal Platin �…
das ähnlich. Viele seiner Songs heißen wie Bücher, die man an Tankstellen
kaufen könnte: „Erklär mir“, „Du bleibst“, „Nur bei dir“. „Die …
Eisenbahn“ ist anders. Manchmal enttäuscht, ziemlich oft gut drauf. Schade,
wenn es mit der Liebe nicht klappt, zum Glück gibt es noch andere Dinge.
„Guck mal, es passiert was!“ Francesco, mit seiner runden Brille über einen
Teller Spaghetti gebeugt, entdeckt eine Wespe in der Pasta, hievt sie auf
die Gabel und schiebt sie an den Rand. Dann fährt er mit dem Tourmanager,
mit Malle und dem Shuttle-Service des Festivals zum Bahnhof – zu Rossmann
und H&M. Moritz mixt sich einen Smoothie, Ingwer-Karotte, „bisschen viel
Ingwer“.
Kurz darauf liegt er in einem Bett des großen, grauen Tourbusses. Ein
„Nightliner“, in dem es kühl ist. Vorne sind Sitze und Tische, in der Mitte
kommen die Betten – links und rechts, meist zwei übereinander. Zu viele für
die Band und ihre Crew, fast ein Schlafsaal.
„Ich schlaf gar nicht“, Moritz schiebt den Vorhang vor seiner Matratze weg
und zwängt sich durch den schmalen, schwach beleuchteten Gang. Max ist auch
da, zusammen hocken sie sich in den Raum ganz hinten im Bus. Wo die
Klimaanlage rauscht und ein Flachbildschirm am Fenster hängt. Ecksofa,
Aschenbecher. Eine Playstation. Normalerweise spielen sie „Fifa“ im Bus,
sagt Moritz. „Manchmal bis 6 Uhr morgens. Diesmal hat leider keiner an
,Fifa' gedacht.“
Bücher hat er mitgebracht, Kurzgeschichten von Salinger und Bukowski.
Salinger und Bukowski: die huldigen dem gepflegten Absturz und der
Rebellion, das ist Suff, Punk, Allein-gegen-die-Erwachsenenwelt-Kämpfen.
Rock-’n’-Roll-Literatur. Man sucht was, findet es nicht, ahnt aber die
Richtung. So ähnlich wie sie? Sollten sie durchstarten, dann tun sie das
nicht von null auf hundert, sondern langsam aus der Mitte. Für viele Touren
ist der „Nightliner“ noch zu groß, da nehmen sie den Sprinter.
Moritz: 37, der sich durchs kinnlange Haar fährt. Sich für „nicht
streitfähig“ hält, „auch nicht in der Band“. Aufgewachsen im Schwarzwal…
Mit seiner ersten Band probte er „unten im Feuerwehrhäuschen“.
Francesco: der nebenher noch bei „Tele“ singt, in Freiburg Italienisch und
Literatur studiert hat. „Aber das war egal, ein Alibi.“
Am Schlagzeug: Max. Anfang vierzig, höflich, ruhig, mit rosa T-Shirt und
Turnbeutel. Der bei „Tomte“ gespielt hat und mit Olli Schulz. Die Schule
abgebrochen hat, um auf Tour zu gehen.
Am Bass: Felix. In Gruppen geht er auf. Improvisiert und reißt Witze.
„Es gab mal den Moment, wo wir uns als Band gefragt haben: Ist das jetzt
eigentlich ’ne Band? Oder ist das ’ne offene Beziehung?“ Alle haben sie
noch andere Lieben: Moritz studiert Film, Francesco schreibt vielleicht ein
Buch. Nebenher spielen sie mit anderen. Und, sagt Moritz – er mäandert so,
erzählt halt so: Wenn man heirate, und sei es nur für die Steuer, „dann ist
das wahrscheinlich schon ein anderes Gefühl. Oder?“
Wie viel Commitment braucht Erfolg?
Max sagt, er sei froh, dass die Kluft zwischen ihrem Alltag und der Tour
nicht so groß sei, als dass ihn ihre Roadtrips aus der Bahn werfen könnten.
Wenn sie wie zuletzt vier Wochen am Stück weg seien, kämen seine beiden
Töchter ihn besuchen. „Wir sind keine Rockstars.“ Aber, sagt er: „Die To…
ist schon das Beste.“ Allein das Gefühl, irgendwo anzukommen – von einem
ins nächste Universum geschleust zu werden, Aschaffenburg im Colos-Saal,
Kassel im Kulturzelt, Wien, beim „Donaukanaltreiben“, Graz, Winterthur –
und alles ist für dich geregelt. Du kriegst deinen Pass umgehängt, hast oft
nicht mal Geld einstecken, kriegst Essen, kriegst dein bisschen Rückzug von
der Welt, „und tust das, was du magst“.
Moritz sagt, „vor einem Ding wie heute“ sei Nervosität überflüssig. „W…
spielen fünfzig Minuten. Da ist man fast fertig, bevor man angefangen hat.“
Nervös sei er bei Clubkonzerten. Oder vor Leuten, die er kennt – wie bei
der Diplomfeier, bei der er aufgetreten ist. Seiner eigenen. Sein
Diplomfilm ist zwar noch nicht fertig, aber das Drehbuch steht: „Jemand
zweifelt, ob das Quatsch ist, was er all die Jahre gemacht hat. Ein Typ
Anfang fünfzig, der Musik gemacht hat. Es läuft nicht mehr. Und der wurde
nie Udo Lindenberg oder Grönemeyer.“
Kann sein Protagonist denn davon leben?
„Nee, irgendwie auch nicht.“
Und sie?
„Also, über das Rentending darf man gar nicht nachdenken. Die muss woanders
herkommen, die Kohle.“
Es ist, als fehle ihrem Haus noch das Dach. In Leipzig spielen sie
demnächst für 23, in Jena für 12 Euro. Bei dem Campusfestival in Dresden
spielen sie nicht am Anfang und nicht am Ende, sondern zwischendrin.
Irgendwie üben die noch. Und sie machen es sich nicht leicht mit ihren
langen, oft schnell gesungenen Texten – und Refrains, in denen sie auf „die
große Geste“ verzichten, wie Moritz sagt. Auf das Laute, Pathetische,
Andreas-Bourani-Artige.
Als er 2010 Francesco trifft, sind sie beide Singer-Songwriter. Der eine
macht mal beim anderen mit, dann macht mal Judith Holofernes bei den beiden
mit. Sie nennen sich „Die Höchste Eisenbahn“, weil Francesco das Bild so
gefällt – einer Eisenbahn, die auf Stelzen fährt. Schließlich holen sie
sich „noch den Felix und den Max dazu“ und liefern ihr Debütalbum 2013.
„Schau in den Lauf, Hase“, heißt es.
Die Feuilletons ringen um Vergleiche. „Fleetwood Mac“? „Landstreicher-Pop…
„Westcoast-Pop der Siebziger“! Wo sind die einzuordnen, verdammt? Werden
die berühmt? „Warm wie ein Kuchen, der vor zehn Minuten aus dem Backofen
kam“, wird die Platte in der Süddeutschen Zeitung rezensiert. Und die
darauf folgende, 2016 auf Spiegel Online: „Klare Worte, dem Chaos
abgerungen. Strahlende Melodien, aufblitzend aus dem Zwielicht des
Alltags.“
Wie machen sie das?
Moritz schaut aus dem Fenster des Tourbusses, Richtung Himmel. Grau.
Wolken. „Vielleicht sollten wir was Spannendes machen?“ – „Was denn?“…
„Weiß nicht. Gibt’s hier ’nen See?“ – „Nee.“ – „Und morgen?�…
Francescos Locken kleben, aber das Deo hat er. „Gibt’s irgendwo ein
Duschzimmer?“ Ihr Tourmanager steht kurz im Türrahmen und wirft ihm eine
Tube Zahncreme hin. Odol Med 3, eben am Bahnhof gekauft.
Moritz: „Mainstream wird ja von Leuten gehört, die sich nicht für Musik
interessieren. Das ist zumindest meine Theorie.“
Francesco: „Und was heißt das, sich nicht für Musik interessieren? ,Du
weißt ja gar nicht, was ein verminderter Septakkord ist, deswegen hast du
keine Ahnung?’“
Dass sie selten proben, sagt er, er näselt – „unsere Musik ist ja einfach�…
Dass Moritz oft zu Hause arbeite und er lieber im Studio; Texte so
entstehen, dass jemand „was anschleppt“, eine Zeile, eine Strophe, und dann
„guckt man“. Einmal haben sie sich eine Woche in Moritz’ Wohnung
eingeschlossen und ihre „Laptops so miteinander verbunden“, dass der eine
sehen konnte, was der andere schrieb. „Eigentlich funktioniert das wie
Tagebuch.“ Sätze festhalten, „das macht man dauernd“.
Die „Eisenbahn“ ist ihr Werk. „Wir versuchen, dieses krass Manipulative
auszuklammern, was Popmusik kann“, sagt Francesco. Dass ein ganzer Song
durch Schlüsselwörter, wie zum Beispiel Stern – so heißt eines ihrer
Lieder, Moritz nennt es „den Schlager“ –, falsch verstanden werden könnt…
Ein „Stern“ im Satz leuchte heller als sämtliche Worte davor und danach.
Dabei ist das Lied die pure Tristesse, man kann es als eines über einen
besorgten Bürger verstehen: Kette ist ein Mann, der traurig ist. Aber nach
außen ist er furchtbar laut. Er hat sein Leben lang das Pech gesammelt,
gibt es mit beiden Händen wieder aus.
„Denkt an Bruce Springsteens ,Born in the USA‘. Das ist ein Song, der
Amerika kritisiert, den Vietnamkrieg.“ Und was bleibt von ihm übrig? „Born
in the USA.“
Dann zieht Pommesgeruch über das Festivalgelände, auf dem die Stimmen
lauter werden. Der Wind krümmt die Absperrgitter zum Backstage-Bereich,
weht Blätter in das Planschbecken, vor dem sie alle sitzen – auf Liegen
von Bacardi und Aperol. Es sind Unwetter gemeldet. „Jemand ein Bier?“
Der Tourmanager bringt ihnen ein „Fifa 2015“-Spiel, „Leute, was geht ab?�…
Hat er auf Ebay-Kleinanzeigen gefunden, schnell „bei so ’nem Privattypen“
geholt, „der auch Drogen verticken könnte: Der hat gesagt, er geht nicht
raus.“ Alter! Woaaah! Alter! Wie krass!
Max sagt, „jetzt kriegste wieder einen Bärchenstempel ins Heft“, und
schlägt den Gedichtband auf, den er eben zugeklappt hat.
Ist das: „Westcoast-Pop der Siebziger“?
Werden die berühmt?
Moritz: „Wenn du einen Plan B hast, bremst du dich aus. Das ist, wie wenn
du gerade zu hundert Prozent einen Urlaub buchen willst und plötzlich eine
Reiserücktrittsversicherung abschließen sollst.“
Francesco: „Ich stelle mir das so vor: Idealerweise macht man seinen Kram,
und das ist so wie kleine Pflastersteinchen oder Erde oder so was. Und das
häuft man an, und irgendwann ist der Berg so groß, dass man oben stehen
kann.“
Die erste Band tritt auf, die „Giant Rooks“: fünf Um-die-zwanzig-Jährige,
die das Festival eröffnen, Gitarrenriffs, Drums. Studenten lösen sich von
den Bierständen und rücken an die Bühne vor, „Prost!“, Gelächter; das
Kribbeln vor der langen Nacht. Moritz und Francesco: mittendrin, Radeberger
in den Händen, sie wippen und nicken mit. „Krasse Stimme.“ – „Die üben
viel!“ – „Und später kommen dann wir, mit unserer Entspannungsmusik.“
Zwei Mädchen gucken zu ihnen rüber, tuscheln, drehen sich weg. Kommen mit
einem Edding. „Unterschreibt ihr auf unseren T-Shirts?“
Der Bass lässt die Plastikwände der Dixi-Klos zittern. Blitze zucken, Regen
prallt so hart auf die Kabel am Boden, dass sie in Schlamm sickern und im
Zelt der „Eisenbahn“ das Licht flackert. Francesco zieht seine eisblaue
Jacke über und Moritz seine Lederjacke und Felix zieht seine Zahnbürste
nicht aus der Jeanstasche. Dann warten sie und rauchen, laufen kurz die
Bühnentreppe hoch, hinten an den Rand, während die zweite Band noch spielt:
„Faber“, ein Musiker aus Zürich. Die Treppe wieder runter, warten, rauchen.
Fünf oder sechs Minuten noch. „Faber“ auf die Schulter klopfen, dem jemand
Bier und Kippe reicht; „Faber“, der Reime auf Schweizerisch grölt, mit
seiner Combo hoch- und runterspringt, er reißt sich das T-Shirt weg.
„IVANKA“ ist auf seine linke Schulter tätowiert.
Moritz: „Vielleicht denkt man ja nie: Das ist total cool, was ich da
gemacht habe – das stelle ich mir ins Regal.“
Francesco: „Du kannst dir deine Musik ins Regal stellen. Die beiden Alben
und deine Soloplatte.“
Moritz: „Meine Soloplatte ganz sicher nicht. Vielleicht nehmen wir die
nochmal neu auf?“
Dann sind sie dran.
„Die Hö-chste Ei-senbaaaaahn!“
Lisbeth, Gierig, Isi. Vielleicht achtzig Leute stehen vor der Bühne, der
Rest stellt sich an den Bierständen unter. Vorne, am Geländer, schwenkt ein
Junge seinen durchweichten Jutebeutel, neben ihm tanzt ein Mädchen im
Matsch – barfuß, langsam, es geht nicht recht voran. Das Publikum ist nass,
und Francesco, am Keyboard, sitzt zu weit vom Publikum entfernt, „merkt ihr
das auch?“ Sie müssen umbauen, das Keyboard vorrücken. Später reicht
Francesco Wasser in die erste Reihe, „Bierflasche werfen trau ich mich
nicht.“ Sie sagen „sorry“ wegen der umgekehrten Verhältnisse: „Wer zah…
steht im Regen, wer Geld kriegt, im Trockenen.“
Der Regen hört nicht auf, das Konzert bald. Moritz sagt, er habe bei
Lisbeth die falsche Gitarre genommen. Beim Singen sei er Francesco nicht
ganz hinterhergekommen. „Man macht einen Riesenaufriss! Und dann?“
Wie überstehen Bands überhaupt Krisen, ausbleibenden Ruhm?
Auf einem Kiesweg wachen sie auf, am nächsten Morgen in Aachen. Vor der
„Zinkhütte“, einem Hof, in dem auch Hochzeiten und Firmenfeiern
ausgerichtet werden. Hohe Räume, hell gestrichenes Holzgebälk. Bäume, die
sich zwischen Backsteinwänden wiegen.
„Die Eisenbahn“ ist ein Ensemble der Ruhekenner – und wie sie im großen
Stil rumhängt, so etwas wie Kunst. Soundcheck, 15 Uhr. „Was ist denn das
für ein Strom hier?“
Francesco steigt mit glühender Zigarette über einen Zaun, weil es keinen
Hintereingang zur „Zinkhütte“ gibt. Felix springt mit einer geöffneten Co…
aus dem Fenster und schüttet sich Cola ins Gesicht. Gegen 18 Uhr zerknüllt
Max ein Handtuch und umwickelt es so fest mit schwarzem Tape, dass sie
damit kicken können. Moritz sagt, „auf Festivals verdienen wir mehr, auf
weit entfernten Konzerten manchmal gar nichts“. 1.000 Euro zahlen sie der
Crew, 1.000 Euro für den Bus: Berlin–Dresden–Aachen–Berlin. „Wisst ihr…
der Eintritt heute kostet? Drei Euro fünfzig.“ Für Hartz-IV-Empfänger ist
er umsonst.
Vielleicht reicht das.
Moritz: „Erfolg ist was Komisches.“
Francesco: „Er definiert sich halt nicht über die anderen.“
Moritz: „Das Schönste ist sowieso, wenn die Leute, die du selbst cool
findest, cool finden, was du machst.“
Um 20.45 Uhr steht „Die Höchste Eisenbahn“ im Nebel. In flackerndem und in
rotem Licht, Schweiß an den Schläfen. Sie singen Aliens und Isi, mit diesen
Stimmen, die wie auf ihren Platten klingen, brüchig und warm, leise,
kräftig. Landstreicher-Pop, Kuchen, der aus dem Backofen kommt. In der
ersten Reihe hüpft ein Kind, auf der Empore kann eine Frau jeden Text.
Lisbeth, Gierig. Meintest du das mit raus aufs Land?
„Wir freuen uns, dass ihr alle gekommen seid“, sagen sie. „Eigentlich kein
Wunder bei dem Preis.“ Dann bedanken sie sich: Bei der Crew, bei Malle. Bei
jedem Bandmitglied. „Danke, Moritz.“ „Danke, Francesco.“ Danke, Felix.
Danke, Max.
14 Jul 2017
## AUTOREN
Annabelle Seubert
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