# taz.de -- Nebenwirkungen von Arzneimitteln: „Solche Studien sind unbrauchba… | |
> Postmarketingstudien sollen nach der Zulassung Nebenwirkungen von | |
> Medikamenten aufdecken. Veröffentlicht werden die Ergebnisse nur selten. | |
Bild: Die Pharmaindustrie nutzt Postmarketingstudien auch um den Umsatz zu erh�… | |
München taz | Arzneimittel sollten wirksam und sicher sein. Das ist nicht | |
nur ein Wunschtraum von Patienten, sondern rechtlich vorgeschrieben. Darum | |
müssen Medikamente sich auch nach ihrer Zulassung in sogenannten | |
Postmarketingstudien beweisen, so verlangt es das deutsche | |
Arzneimittelgesetz. Wissenschaftler aus Aachen und Münster, die sich | |
ehrenamtlich bei [1][Transparency International Deutschland] engagieren und | |
von der Charité in Berlin haben nun aufgedeckt, dass diese Studien | |
keineswegs dazu geeignet sind, einen Beitrag zur Sicherheit von | |
Medikamenten zu leisten. Dafür haben die Forscher fast 7.000 | |
Originalmeldedaten aus den Jahren 2008 bis 2010 der Kassenärztlichen | |
Bundesvereinigung (KBV) ausgewertet. | |
Ein neues Medikament muss klinische Studien durchlaufen, um seine | |
Wirksamkeit unter Beweis zu stellen und eine Zulassung zu erhalten. Doch | |
diese Studien sind zu kurz und zu klein, um alle möglichen Nebenwirkungen, | |
vor allem die sehr seltenen, zu offenbaren. | |
In Postmarketingstudien oder Anwendungsbeobachtungen, die bei den Behörden | |
registriert werden müssen, sollen Ärzte aus ihrer Praxis den Behörden | |
negative Wirkungen melden, um diese Lücke zu schließen. Auch Pharmafirmen | |
halten diese Vorgehensweise für ein brauchbares Mittel, das mögliche | |
Gefährdungspotenzial eines neuen Medikaments aufzudecken. | |
Doch auch die Postmarketingstudien sind oft viel zu klein, um weitere | |
Fakten über eventuelle Nebenwirkungen nach der Zulassung zu liefern. Das | |
hat die Transparency-Studie, die [2][im British Medical Journal | |
veröffentlicht] wurde, aufgedeckt. So werden mit durchschnittlich 600 | |
Patienten weniger Fälle untersucht als in sogenannten Phase-III-Studien, | |
klinischen Studien, die die letzte Hürde zur Zulassung darstellen und meist | |
um die 1.000 Teilnehmer zählen. Rein statistisch besehen bräuchte man | |
30.000 Probanden, um sehr seltenen Nebenwirkungen auf die Spur zu kommen. | |
„Anwendungsbeobachtungen dienen in der jetzigen Form einerseits dem | |
Marketing, damit das Medikament beim Arzt im Gedächtnis bleibt und häufig | |
verschrieben wird“, so Ulrich Keil, Studienautor und emeritierter Professor | |
für Epidemiologie und Sozialmedizin der Universität Münster. „Andererseits | |
aber verhindern sie nach unseren Erkenntnissen wissenschaftlichen | |
Erkenntnisgewinn nach der Medikamentenzulassung“, sagt Angela Spelsberg, | |
Erstautorin der Studie und Leiterin der Arbeitsgruppe Gesundheitswesen bei | |
Transparency Deutschland. | |
## Nur Pseudostudien | |
Auch Jürgen Windeler, Leiter des Instituts für Qualität und | |
Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (Iqwig), der nicht an der Studie | |
beteiligt war, hält die neue Faktenlage für eindeutig: „Solche | |
Postmarketingstudien sind unbrauchbar.“ Der seit Jahren erhobene Vorwurf, | |
es handele sich nur um Pseudostudien, hat sich also bewahrheitet. | |
Die Studienautoren fanden zudem, dass jeder Arzt, der an den untersuchten | |
Postmarketingstudien teilgenommen hat, im Mittel 19.000 Euro erhielt. „Wir | |
befürchten darum, dass dies die Meldung von Nebenwirkungen beeinflussen | |
könnte“, so Spelsberg. Auf der Webseite von Transparency spricht man sogar | |
von „unzulässiger Einflussnahme auf Ärzte und Korruption“. | |
Auch hat die Studie aufgedeckt, dass sich viele Ärzte vertraglich | |
verpflichten, mögliche Nebenwirkungen nur an die Pharmaunternehmen zu | |
melden. Das erklärt vielleicht auch, warum keine einzige Meldung zu einer | |
Nebenwirkung aus den 558 untersuchten Postmarketingstudien gefunden werden | |
konnte. Und: Nur 5 Studien waren in wissenschaftlichen Journalen publiziert | |
worden. | |
Laut den Forschern sollte künftig sichergestellt werden, dass die | |
teilnehmenden Ärzte Daten direkt an die Behörden melden müssen. Und: „Daten | |
aus Arzneimittelstudien vor und nach der Zulassung dürfen nicht länger | |
Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sein“, unterstreicht Spelsberg. Zudem | |
sollten Ethikkommissionen die Verträge zwischen Arzt und Hersteller auf | |
Vertraulichkeitsklauseln prüfen. Theoretisch können Ärzte auch, ohne an | |
Studien beteiligt zu sein, Verdachtsfälle melden. „Solche Spontanmeldungen | |
gibt es aber nur in 10 Prozent der Fälle, 90 Prozent bleiben also | |
unbekannt“, sagt Spelsberg. | |
## Informationen eingeklagt | |
Das Autorenteam konnte letztlich nur mithilfe des | |
Informationsfreiheitsgesetzes und gewonnener Klagen gegen die zuständigen | |
Behörden an die Informationen gelangen. „Er ist sehr bemerkenswert, mit wie | |
viel Beharrlichkeit die Forschergruppe Licht in dieses Kapitel gebracht | |
hat“, sagt Windeler. | |
Das Bundesinstitut für Arzneimittelsicherheit (BfArM), der | |
GKV-Spitzenverband sowie die KBV hatten zunächst die Herausgabe der | |
Meldedaten von Postmarketingstudien verweigert, da diese auch nach der | |
Zulassung noch als Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis der Sponsoren gälten. | |
Der GKV-Spitzenverband erteilte dann doch Auskunft, aber ohne dabei die | |
Arzthonorare preiszugeben. | |
Das Forscherteam klagt nun noch einmal gegen das BfArM, damit in Zukunft | |
detaillierte Informationen zu den Studien und den aus ihnen gemeldeten | |
Nebenwirkungen herausgegeben werden müssen. | |
22 Jul 2017 | |
## LINKS | |
[1] https://www.transparency.de/ | |
[2] http://www.bmj.com/content/356/bmj.j337 | |
## AUTOREN | |
Kathrin Burger | |
## TAGS | |
Medikamente | |
Arzneimittel | |
Nebenwirkungen | |
Schwerpunkt Korruption | |
Klinische Studien | |
Brandenburg | |
Duogynon | |
Medikamententest | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Biologin über klinische Studien: „Sicherheit hat höchste Priorität“ | |
Wer kann an Studien teilnehmen? Denise Olbrich vom Lübecker Zentrum für | |
klinische Studien über wissenschaftliche Standards, Hoffnungen und Risiken. | |
Skandal um Krebsmedikamente: Linken-Ministerin Golze unter Druck | |
Brandenburger Gesundheitsämter zogen gestohlene Medikamente nicht aus dem | |
Verkehr. Der Landtag kommt nun zu einer Sondersitzung zusammen. | |
Embryonale Missbildungen: Duogynon-Opfer stehen allein | |
Ein hormoneller Schwangerschaftstest von Schering/Bayer schadete womöglich | |
Frauen. Der Bund will nicht aufklären oder zum Konzern vermitteln. | |
Hirntot nach Medikamententest: Versuche abgebrochen | |
Eigentlich sollte das Medikament Schmerzen lindern, doch schon die | |
Versuchsreihe endete tragisch: Sechs Teilnehmer wurden in eine Klinik | |
gebracht. Einer ist hirntot. | |
Probanden für medizinische Experimente: Kotzen für die Wissenschaft | |
In Deutschland nehmen jährlich 200.000 Menschen an medizinischen Versuchen | |
teil. Manche tingeln von Studie zu Studie. Sie riskieren ihr Leben des | |
Geldes wegen. |