| # taz.de -- Embryonale Missbildungen: Duogynon-Opfer stehen allein | |
| > Ein hormoneller Schwangerschaftstest von Schering/Bayer schadete | |
| > womöglich Frauen. Der Bund will nicht aufklären oder zum Konzern | |
| > vermitteln. | |
| Bild: Bayer stellt sich taub, auch die Regierung will den mutmaßlichen Duogyno… | |
| BERLIN taz | Die Bundesregierung sieht sich außer Stande, den mutmaßlichen | |
| Opfern des ehemaligen Schering-Medikaments Duogynon bei ihrer Suche nach | |
| Aufklärung zu helfen. Das teilte der Patientenbeauftragte der Regierung, | |
| der CDU-Staatssekretär Karl-Josef Laumann, den Betroffenen jetzt per Brief | |
| mit. | |
| „Ich kann Ihr Unverständnis über fehlende Reaktionen des Herstellers gut | |
| verstehen. Ich muss Ihnen allerdings mitteilen, dass es mir nicht möglich | |
| ist, den von Ihnen geschilderten Sachverhalt zu prüfen und zu bewerten“, | |
| heißt es in Laumanns Schreiben an den Grundschullehrer André Sommer aus | |
| Bayern, das der taz vorliegt. Sommer ist selbst mutmaßlich | |
| medikamentengeschädigt und vertritt die Interessen vieler Leidensgenossen | |
| in Deutschland. Sommer kommentierte das Schreiben gegenüber der taz als | |
| „sehr enttäuschend“. | |
| Das ehemalige Hormonpräparat Duogynon des Berliner Pharmaunternehmens | |
| Schering wurde in den 1950er, 1960er und 1970er Jahren in Deutschland und | |
| zahlreichen anderen Ländern innerhalb und außerhalb Europas als Dragee oder | |
| Injektion bei ausbleibender Menstruation, aber auch als | |
| Schwangerschaftstest gegeben. Es [1][steht seit Anfang der 1960er Jahre im | |
| Verdacht], Missbildungen an inneren Organen sowie an Gliedmaßen bei | |
| Ungeborenen verursacht zu haben. | |
| Ein kausaler Zusammenhang zwischen der Einnahme und den Fehlbildungen | |
| konnte indes nie nachgewiesen werden, auch, weil entsprechende klinische | |
| Tests an Frauen sich ethisch verboten und an Affen nie durchgeführt wurden. | |
| Die Bayer AG, die Schering 2006 übernahm, schließt Duogynon nach Angaben | |
| ihrer Pressestelle „nach wie vor als Ursache für embryonale Missbildungen | |
| aus“. | |
| ## Überprüfung nur halbherzig – wenn überhaupt | |
| Interne Unterlagen des Schering-Konzerns, die über Jahrzehnte im | |
| Landesarchiv Berlin eingelagert waren und seit kurzem der Öffentlichkeit | |
| zugänglich sind, legen nahe, dass der schwere Verdacht, der auf Duogynon | |
| lastet, [2][Schering bereits in den 1960er Jahren bekannt war]. Die | |
| firmeninternen Überprüfungen indes erfolgten, wenn überhaupt, halbherzig. | |
| In Deutschland blieb der Wirkstoff bis 1981 auf dem Markt. | |
| Der Grundschullehrer André Sommer, der 1976 mit Missbildungen an Blase und | |
| Penis geboren wurde, [3][zog mehrfach vor Gericht, um Akteneinsicht auch in | |
| die Bayer-Archive zu erlangen]. Erfolglos. Anfang des Jahres wandte er sich | |
| daraufhin an den Patientenbeauftragten der Bundesregierung. | |
| Doch Karl-Josef Laumann sieht keine Möglichkeit, auf den Bayer-Konzern | |
| einzuwirken, die firmeninternen Archive zu öffnen und mit den mutmaßlich | |
| Geschädigten in einen Dialog einzutreten: „Ich kann im Zusammenhang mit | |
| durch Medikamente möglicherweise hervorgerufenen Schädigungen nur an | |
| größtmögliche Transparenz und Offenheit aller Beteiligten appellieren“, | |
| schrieb Laumann an Sommer. | |
| ## Bundesinstitut kann nichts nachvollziehen | |
| Ähnlich äußerte sich das Bundesinstitut für Arzneimittel und | |
| Medizinprodukte (BfArm), die deutsche Zulassungsbehörde für Medikamente, | |
| auf Anfrage der taz. Im nachhinein sei behördenintern nicht mehr | |
| nachvollziehbar, welche Kenntnisse die damalige Aufsichtsbehörde, das | |
| Bundesgesundheitsamt (BGA), dessen Nachfolgerin das BfArM ist, gehabt habe: | |
| „Die entsprechenden Akten des damaligen Bundesgesundheitsamtes befinden | |
| sich im Bundesarchiv in Koblenz“, teilte das BfArM der taz mit. | |
| „Gleichwohl“ habe das BfArM 2011 das Pharmakovigilanzzentrum für | |
| Embryonaltoxikologie der Charité-Universitätsmedizin Berlin „mit der | |
| Durchführung einer Analyse und Bewertung der dem BfArM vorliegenden | |
| Verdachtsmeldungen (zu Duogynon, d. Red.) beauftragt“. Die Studie, | |
| basierend ausschließlich auf historischen Beobachtungsdaten von insgesamt | |
| 296 Patientinnen und Patienten mit angeborenen Fehlbildungen aus dem | |
| Zeitraum zwischen 1957 und 1983, sollte insbesondere die Frage beantworten, | |
| ob ein Zusammenhang zwischen dem Vorkommen angeborener | |
| Entwicklungsanomalien und der mütterlichen Duogynon-Einnahme in der frühen | |
| Schwangerschaft plausibel erscheine. | |
| Das Ergebnis der Analyse wurde 2012 veröffentlicht – und überraschte allein | |
| aufgrund der zugrunde liegenden Datenbasis wenig: „Ein teratogener | |
| (Missbildung bewirkender, d. Red.) oder embryotoxischer Effekt von | |
| Duogynon, zu welchem Zwecke auch immer angewendet, ist unwahrscheinlich.“ | |
| ## Warum nicht schon damals Studien? | |
| Auf die Frage, weshalb das Bundesgesundheitsamt entsprechende Studien nicht | |
| schon in den 1960er oder 1970er Jahren veranlasste oder das Medikament | |
| damals bis zur Klärung des Verdachts zumindest nicht vom Markt nahm, | |
| schrieb das BfArM der taz: „Grundsätzlich muss bei der Betrachtung der | |
| damaligen Abläufe im Bundesgesundheitsamt berücksichtigt werden, dass die | |
| gesetzlichen Regelungen vor 1978 mit Blick auf die Arzneimittelsicherheit | |
| noch nicht mit den heutigen umfassenden Regelungen vergleichbar waren.“ | |
| So sei etwa das Institut für Arzneimittel im damaligen Bundesgesundheitsamt | |
| – zuständig für die Prüfung auf Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines | |
| Arzneimittels im Rahmen des Zulassungsverfahrens – überhaupt erst 1978 | |
| eingerichtet worden. Zuvor hätten die Aufsichtsbehörden gegenüber | |
| Pharmaunternehmen praktisch kaum Handhabe gehabt. | |
| 13 Mar 2016 | |
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| ## AUTOREN | |
| Heike Haarhoff | |
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