# taz.de -- Mythos Hanse: Der hansische Patient | |
> Das Deutsche Schiffahrtsmuseum in Bremerhaven präsentiert in der | |
> modernisierten Halle um die Kogge Ergebnisse aktueller Forschung. | |
Bild: In renovierter Halle: Das Wrack der 1962 in der Weser gefundenen Kogge au… | |
Die Faszination, die das über 600 Jahre alte Schiff auf viele Menschen | |
immer noch auszuüben scheint, ist erstaunlich. Ja, es ist alt. Und ja, | |
seine Entdeckung war damals, im Jahr 1962, eine Sensation. Seinetwegen | |
wurde das Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven gebaut. Und doch: Dass dieses | |
morsche und deshalb inzwischen längst chemiegetränkte, weder in Bauweise | |
noch Erscheinungsbild filigrane Schiff immer noch auf Besucherinteresse | |
stößt, liegt sicher nicht am Schiff allein. | |
Die Eröffnung der neuen Kogge-Halle im Frühjahr sollte der Auftakt sein für | |
den „Weg in die Zukunft“ des Schifffahrtsmuseums. Im Zentrum der Halle | |
steht die Kogge, das schwarze Ungetüm, gestützt und zusammengehalten von | |
unzähligen Schraubzwingen. | |
Darum herum gruppiert sich auf drei Etagen die neugestaltete | |
Dauerausstellung „Kogge, Mensch und Meer“. Das Besondere daran ist die enge | |
Verknüpfung mit aktuellen Forschungsprojekten – daher ist die Ausstellung | |
auch „semi-permanent“. Inhalte können und sollen sich je nach aktuellem | |
Forschungsstand ändern, Schwerpunkte können sich verlagern. Damit soll der | |
Anspruch eingelöst werden, den das Label „Leibniz-Forschungsmuseum“, zu dem | |
das Schifffahrtsmuseum zählt, mit sich bringt. | |
Der interessanteste Abschnitt der Ausstellung ist gleichzeitig der noch am | |
wenigsten entwickelte: In der dritten Etage geht es um die Kogge als | |
Symbol. Denn viel wirkmächtiger als das Schiff ist ihr Name: Die Kogge wird | |
mit der Hanse verbunden und die war schon immer gut fürs Marketing, sie ist | |
der mittelalterliche Exportschlager, der nicht nur Grenzen, sondern ganze | |
Epochen überwunden hat. Dabei ist die Hansegeschichte voll von | |
Instrumentalisierungen, nationalistischer Aneignung und Missbrauch. „Die | |
Kogge ist ein nationaler Mythos“, sagte der Magdeburger Hansehistoriker | |
Matthias Puhle zur Eröffnung der neuen Halle, „ein ganz stark aufgeladenes | |
Stück deutscher Geschichte.“ | |
Die Kogge als Sinnbild für die Hanse, die Nord- und Ostsee beherrscht hat – | |
darauf hat nicht nur Wilhelm II. gern zurückgegriffen, als es um den Ausbau | |
der kaiserlichen Flotte ging. „In der Kaiserzeit hat man versucht, die | |
Seefahrt aufzuwerten“, sagt Kuratorin Ruth Schilling. Plötzlich wurden | |
Matrosenanzüge für Kinder populär, und auch der Rückgriff auf die Hanse und | |
die sie prägenden Schiffe findet sich als Symbol auf allerlei Plakaten, | |
Produktverpackungen und Werbebroschüren – von Niederegger-Marzipan über | |
Flensburger Pilsener bis hin zum Vereinswappen des FC Hansa Rostock. Auch | |
die Nationalsozialisten, ohnehin – aus den falschen Gründen – | |
Mittelalter-Fans, haben die Hansegeschichte überhöht, um daraus eine Art | |
nordische Überlegenheit abzuleiten. | |
Zu diesem spannenden Forschungsfeld jedoch klafft im Schifffahrtsmuseum | |
noch eine Lücke. Die Hardware – in Form historischer Abbildung – steht | |
bereit. Es fehlen nur noch ein paar DoktorandInnen, die sich dieses Themas | |
bald annehmen. Aber es ist ja auch ein Forschungsmuseum und damit „ein | |
Museum im Wandel“, wie Leiterin Sunhild Kleingärtner sagt – da ist also | |
auch in der dritten Etage der neuen Kogge-Halle noch ordentlich Luft nach | |
oben. | |
Im Untergeschoss wiederum dreht sich alles um die archäologische | |
Erforschung des Wracks selbst. Hier können BesucherInnen die Schiffsreste | |
von Nahem erleben, herantreten an den Koloss und die Spuren sehen, die die | |
wechselvolle Geschichte der Kogge und ihre Erforschung an dem | |
unvollständigen Schiffskörper hinterlassen haben. „Materialität“ ist der | |
Sammelbegriff für diese untere Etage, in der die Bergungs- und | |
Konservierungsgeschichte sowie aktuelle Methoden dargestellt werden, aber | |
auch die Geschichte des Schiffbaus im Mittelalter erzählt wird. | |
Von der Etage darüber haben die BesucherInnen einen Blick in den Bauch des | |
Schiffes. Folgerichtig geht es hier um einen eher alltagsgeschichtlichen | |
Zugang, der Fragen zu den Reisen, dem Handel und dem Leben an Bord | |
beantwortet. Die Themen werden jeweils kurz angerissen, und | |
erstaunlicherweise zeigt sich ausgerechnet hier die „semi-permanente“ | |
Ausstellungsgestaltung am deutlichsten – immerhin in einem Forschungsfeld, | |
das im Vergleich zu den anderen am wenigsten Neues erwarten lässt, weil | |
alles Dargestellte vergleichsweise gut erforscht ist. | |
Die Vitrinen, in denen Karten, Texttafeln und Exponate ausgestellt werden, | |
sind variabel und mobil. Vieles ist zum Anfassen und damit auch für Kinder | |
interessant. Neben dem getrockneten Stockfisch etwa, dem vor allem | |
lübischen Importbestseller zu Hansezeiten, steht eine Dose mit | |
Stockfischaroma zum Riechen. | |
Bei aller Anschaulichkeit war es Kuratorin Schilling aber wichtig, „kein | |
Mittelaltertheater“ zu inszenieren. Anstatt die einzelnen Funde also in | |
einer kompletten Kulisse zu präsentieren, haben sich die | |
AusstellungsmacherInnen auf einige wenige Schlaglichter beschränkt – wie | |
eben den Stockfisch und sein zweifelhaftes Aroma. | |
„Eine feste Szenerie stände außerdem dem Wandel entgegen“, sagt Schilling. | |
Dass den BesucherInnen insgesamt wenig Text präsentiert wird, der | |
Hintergründe erläutern oder einen Rahmen schaffen würde, erklärt Schilling | |
damit, das Schifffahrtsmuseum wolle ein „Familienmuseum“ sein. | |
„Die Aufmerksamkeitsspannen sind heute sehr klein“, sagt die Historikerin, | |
„also wollten wir eine enge Verbindung zwischen Objekt und Text schaffen“ | |
und gerade Kinder, aber auch Erwachsene dazu anhalten, „durch Ausprobieren | |
Dinge selber nachzuvollziehen“. | |
26 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Karolina Meyer-Schilf | |
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