# taz.de -- Gasturbinen für die Krim: Siemens’ russischer Sumpf | |
> Trotz Embargo gelangten Siemens-Turbinen auf die Krim. Russischen Medien | |
> zufolge ist es unwahrscheinlich, dass die Konzernchefs nichts davon | |
> wussten. | |
Bild: 11. Juli 2017: Ankunft von Gütern im Hafen von Feodosia auf der Krim | |
MOSKAU taz | Seit zwei Wochen ist der Münchner Konzern Siemens wieder ein | |
medialer Dauerbrenner in Russland. Nach einer Odyssee vom russischen | |
Festland übers Schwarze Meer tauchten erst zwei, dann vier Gasturbinen aus | |
dem Hause Siemens auf der Halbinsel Krim auf. Das war ein Verstoß gegen | |
Sanktionen, die der Westen nach Annexion der Krim gegen Russland verhängt | |
hatte. | |
Russische Beobachter sehen den Fall als Lehrstück, wie unter Wladimir Putin | |
„Entscheidungen gelenkt und getroffen werden“. Der Fall Siemens, so | |
republic.ru, dürfte sich zu einem Lehrbeispiel für die jüngste Geschichte | |
Russlands entwickeln. Republic ist eine der führenden kritischen | |
Debattenseiten in Russland. | |
Siemens habe demnach von vornherein gewusst, dass die Turbinen für die Krim | |
bestimmt sind. Der Münchner Multi habe sich auf das Stillschweigen des | |
Käufers verlassen, der den Turbinenbauer wegen des Sanktionsverstoßes schon | |
decken würde, so Republic. | |
Im Zentrum des Konflikts steht die Siemens-Tochter Siemens Technologii | |
Gasowych Turbi“ (STGT). Die Münchner halten 65 daran Prozent, 35 Prozent | |
entfallen auf den russischen Partner Silowye Maschiny (SM). STGT stellte | |
die Gasturbinen her und lieferte sie an ein Tochterunternehmen des | |
staatlichen Konzerns Rostec. | |
## Opfer oder Täter? | |
Rostec untersteht keiner Behörde und wird von Wladimir Putin persönlich | |
kontrolliert. Der Kremlchef übertrug seinem alten Kollegen Sergei | |
Tschemesow aus Dresdner KGB-Zeiten die Konzernleitung. Siemens habe sich | |
darauf verlassen, dass die Details des Geschäfts nicht an die | |
Öffentlichkeit gelangten, so Republic. Um das Projekt auf der Krim zu Ende | |
zu bringen, habe Rostec sich entschieden, Siemens fallen zu lassen. | |
Siemens, „das alle überlisten wollte, saß am Ende selbst in der Falle“, | |
schreibt Republic. | |
Der deutsche Weltkonzern stellt sich jedoch als Opfer dar und fühlt sich | |
hintergangen: 2015 sei vertraglich vereinbart worden, dass keine Turbinen | |
auf die Krim geliefert würden, hieß es im Münchner Mutterhaus. Stattdessen | |
war angeblich die Errichtung eines E-Werks auf der russischen Halbinsel | |
Taman geplant, die der Krim gegenüber liegt. | |
## Siemens verklagt Tochter | |
Das allerdings erschien schon damals aus wirtschaftlichen Gründen | |
unwahrscheinlich. Es sei denn, der Strom sollte auf die Krim weitergeleitet | |
werden. Das Werk wurde auch nicht gebaut, die Turbinen gelangten auf die | |
Krim, wo die Russen sie in ein Kraftwerk einbauen wollen. | |
Letzte Woche reichte Siemens nun gegen das eigene Tochterunternehmen STGT | |
Klage wegen Vertragsbruchs ein. Wenn das Moskauer Gericht den Vertragsbruch | |
bestätigt, müsste Siemens nicht mehr fürchten, wegen eines Verstoßes gegen | |
die Sanktionen zur Rechenschaft gezogen zu werden. Auch der Vorwurf | |
westlicher Unternehmen wäre vom Tisch, die Münchner machten mit dem Kreml | |
gemeinsame Sache. Die Siemens-Zentrale denkt ohnehin darüber nach, sich von | |
russischen Geschäftspartnern zu trennen. | |
Viele Beobachter in Russland halten diese Manöver für Nebelkerzen aus dem | |
Hause Siemens. Dass der Multi ein Moskauer Wirtschaftsgericht anruft, deute | |
darauf hin, dass Fall im Sande verlaufen soll. Normalerweise tragen | |
russische und internationale Konzerne Streitfragen vor internationalen | |
Gerichten aus. Diesmal wurde das Prinzip erhöhter Rechtssicherheit | |
durchbrochen, meint der frühere stellvertretende Energieminister und Leiter | |
des Moskauer Instituts für Energiepolitik, Wladimir Milow. | |
## Ermittlung wegen Verrat von Staatsgeheimnissen | |
Der Streit zwischen Siemens und Rostec könnte einen zweiten Grund haben: | |
Rostec, so vermutet Republic, würde sich gerne Siemens-Partner Silowye | |
Maschiny unter den Nagel reißen. Der Generaldirektor der Firma, Roman | |
Philippow, wurde letzte Woche kurzzeitig vom Geheimdienst vernommen. Die | |
Fahnder wollten wissen, wie Einzelheiten über Geschäft und Verschiffung der | |
Turbinen auf die Krim an die Öffentlichkeit gelangen konnten. Jetzt wird | |
wegen Verrats von Staatsgeheimnissen ermittelt. | |
Nach russischer Lesart gibt es keine Unklarheiten. Die Turbinen seien | |
umgerüstet worden, verlautete aus dem Kreml. Russland wird die Turbinen | |
nicht mehr herausrücken, wie es Siemens offiziell fordert. Das dürfte die | |
Münchner Unternehmensleitung auch nicht erwartet haben. | |
Siemens hat 160 Jahre Erfahrung in Russland. Die Beziehungen sind glänzend. | |
Kurz nach der Einverleibung der Krim sprach Siemens-Chef Joe Kaeser bei | |
Präsident Putin vor. Der Westen stand nach der Krim-Annexion unter Schock. | |
Was die westliche Welt als größten Schlag gegen die europäische | |
Friedensordnung seit 1945 wertete, nannte der Siemenschef „kurzfristige | |
Turbulenzen“. Im Juni 2015 meldete Wedomosti: „Siemens liefert Turbinen für | |
Elektrizitätswerke auf der Krim“. Siemens dementierte. Der Beitrag nahm im | |
Detail voraus, wie sich der Turbinendeal entwickelte. | |
18 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Klaus-Helge Donath | |
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