# taz.de -- Geplanter Auftritt von Scooter: „Hyper, Hyper“, Krim | |
> Die deutsche Technoband Scooter will ein Konzert auf der Krim geben. Die | |
> ukrainische Justiz droht mit Strafe, der geplante Auftritt wird zum | |
> Politikum. | |
Bild: Statt Kirmestechno bald Krimtechno? H. P. Baxxter | |
Bislang mochte Andrij Melnyk, Botschafter der Ukraine in Berlin, die | |
deutsche Technoband Scooter. Als er in den 90er Jahren studierte, hörte er | |
die Partymusik, mit der die Gruppe europaweit in den Charts landete – von | |
„Hyper, Hyper“ bis „Back in the UK“. | |
Dann wurde in der vergangenen Woche bekannt, Scooter plane ein Konzert auf | |
der von Russland annektierten Halbinsel Krim. Das verletzt Gesetze der | |
Ukraine, Scooter droht ein Einreisestopp, theoretisch auch Haft. | |
Seitdem versuchen Andrij Melnyk und seine Mitarbeiter Scooter zu erreichen. | |
Ohne Erfolg. „Seit einer Woche rufen wir beim Management an und schreiben | |
E-Mails, denn wir würden gern mit Scooter ins Gespräch kommen“, sagt Melnyk | |
am Freitag. „So etwas habe ich bisher nicht erlebt, in der Zeit hätte ich | |
den Bundespräsidenten oder die Kanzlerin erreichen können.“ Er gebe die | |
Hoffnung aber nicht auf, dass noch eine Lösung zu erreichen sei, bei der | |
beide Seiten ihr Gesicht wahren könnten. | |
Mit ihren Plänen, am 4. August in dem kleinen Ort Balaklava aufzutreten, | |
hat Scooter nicht nur den ukrainischen Botschafter für sich interessiert. | |
Auch der stellvertretende ukrainische Generalstaatsanwalt Yevgen Enin | |
schreibt per Facebook-Messenger, sein Büro berate den Fall mit den | |
Sicherheitsdiensten des Landes, er könne sich vorstellen, Haft für Scooter | |
zu fordern. Wie würde er das durchsetzen wollen? Mit Hilfe von Interpol? | |
„Ich kann das nicht ausschließen“, schreibt Enin. | |
Russland hatte die Krim im März 2014 annektiert. Für die Vereinten Nationen | |
gelten die Russen deshalb als Besatzungsmacht. Die Europäische Union hat | |
Wirtschaftssanktionen verhängt, die sie am Montag für ein Jahr verlängerte. | |
## Es drohen drei Jahre Haft | |
Laut ukrainischem Recht muss jeder, der auf die Krim fahren will, über | |
ukrainisches Gebiet und mit Erlaubnis einreisen. So will das Land die | |
Integrität seiner Grenzen schützen und eine Legitimierung der Besatzung | |
verhindern. Zum Politikum wurde das erst vor ein paar Wochen als die | |
[1][russische Sängerin Julia Samoilowa] zum Eurovision Song Contest nach | |
Kiew wollte. Sie durfte nicht, weil sie 2015 zu einem Konzert auf der Krim | |
über russisches Gebiet eingereist war. | |
Im ukrainischen Strafgesetzbuch steht sogar, es drohten bis zu drei Jahre | |
Haft, wenn die Einreise- oder Ausreiseordnung des Landes mit dem Ziel | |
verletzt werden, „den Interessen des Staats Schaden zuzufügen“. Fünf Jahre | |
könnten es im Wiederholungsfall auch werden. Wenn dieses Ziel nicht | |
nachzuweisen ist, bleibt es bei Geldstrafen und Einreisestopps. In den drei | |
Jahren seit das Gesetz existiert, wurde keine Haftstrafe verhängt. | |
Auch der taz und anderen Medien antwortete das Management nicht. Es gibt | |
allerdings die Zitate, die Manager Jens Thele von Kontor Records und | |
Scooter-Frontman H. P. Baxxter am vergangenen Donnerstag der Bild gaben. | |
„Wir fahren nicht auf die Krim, um dort Politik zu machen, sondern weil wir | |
dort unsere Fanbase haben. Der wollen wir etwas bieten“, sagte H. P. | |
Baxxter. Und Manager Thele sagt: „Uns war gar nicht bewusst, dass wir uns | |
hier in einen politischen Konflikt hineinbewegen. Unsere Musik ist völlig | |
unpolitisch, und wir wollen uns aus politischen Dingen raushalten.“ | |
## Die Besetzung legitimieren | |
Scooters Konzertpläne wurden öffentlich, weil der russische Anwalt Mark | |
Feigin ein Ankündigungsplakat fotografiert und auf Twitter gepostet hatte. | |
Feigin, der einst unter anderem die Band Pussy Riot verteidigte, war auf | |
der Krim, um Ilmi Umerow vor Gericht zu vertreten, einen Politiker der | |
Minderheit der Krimtartaren. Die russische Justiz auf der Halbinsel hat | |
die politische Selbstverwaltung der Krimtartaren, die Medschlis, zu einer | |
terroristischen Organisation erklärt, ihre Repräsentanten werden verfolgt. | |
Umerow saß mehrere Monate in einer psychiatrischen Klinik fest. | |
Der Vizepräsident der Medschlis, Akhtem Chiygoz, sitzt in Haft. Seit Langem | |
kämpfen Menschenrechtler in der Ukraine darum, dass Chiygoz seine | |
sterbende Mutter noch einmal sehen darf. Am Dienstag gewährte Russland den | |
Besuch. Für zehn Minuten. | |
„Wenn Scooter auf die Krim fährt, dann ist das nicht einfach nur ein | |
unschuldiges Vergnügen“, sagt Halyna Coynash von der Charkiwer | |
Menschenrechtsgruppe. „Ihr Auftritt würde Russland dazu dienen, die | |
Besetzung zu legitimieren und die Unterdrückung auf der Krim zu | |
vertuschen.“ | |
Coynashs Gruppe führt eine Liste mit den Menschen, welche die russische | |
Justiz im Zusammenhang mit der Krim-Frage inhaftiert hat. Sie zählen 41 | |
Menschen. Die meisten davon Krimtataren. „Der Grund ist, dass die | |
Krimtataren sich sehr deutlich gegen die Annexion durch Russland gestellt | |
haben“, sagt Halyna Coynash am Telefon. „Ohne ihre Demonstrationen und | |
öffentlichen Aktionen hätte Russland die Krim viel lautloser übernehmen | |
können.“ Dafür wolle die Regierung in Moskau Rache. | |
## Das Schicksal der Krimtataren | |
Leider interessierten sich im Westen nur wenige für das Schicksal der | |
Krimtartaren, weil sie Muslime seien. „Da schenkt man den absurden | |
russischen Terroranklagen vielleicht doch auch ein bisschen Glauben“, sagt | |
Coynash. | |
„Ich finde es bedauerlich, dass so eine gute Gruppe solch einen schweren | |
Fehler macht“, schreibt Tamila Tasheva per Skype. „Auf dem besetzten Gebiet | |
werden Menschen getötet und ins Gefängnis geworfen, und jeder Künstler, der | |
dort spielt, finanziert diese Verbrechen.“ | |
Tasheva ist selbst Krimtatarin und eine der Gründerinnen der Gruppe | |
CrimeaSOS. Kurz nachdem die sogenannten kleinen grünen Männchen, getarnte | |
russische Soldaten sind gemeint, im Februar 2014 Gebäude von Verwaltung und | |
Regierung auf der autonomen Krim besetzten, hat sie sich mit Freunden | |
vernetzt, um herauszufinden, was da passiert. Daraus entstand CrimeaSOS, | |
sie haben Journalisten geholfen, über die Ereignisse auf der Krim zu | |
berichten, sie haben Binnenflüchtlinge unterstützt. | |
Zehntausende sind vor der russischen Besetzung geflohen, auch davon viele | |
Krimtataren. Tamila Tasheva sagt, sie verstehe natürlich, dass die Gruppe | |
Fans auf der Halbinsel habe, für die Musik sicher wichtig sei. „Aber selbst | |
Dschamala singt nicht auf der Krim“, sagt Tasheva, „und die hat dort mit | |
Sicherheit auch viele Fans.“ Dschamala ist die krimtartarische Sängerin, | |
die den European Song Contest 2016 gewonnen hat. | |
## Scooter-Fans gefordert | |
Tasheva ist selbst nicht auf der Krim geboren, sondern in Usbekistan. Der | |
sowjetische Diktator Josef Stalin hatte die Krimtataren wegen angeblicher | |
Kollaboration mit den Deutschen im Zweiten Weltkrieg in verschiedene | |
Gegenden der Sowjetunion deportieren lassen. Erst nachdem die Ukraine ihre | |
Unabhängigkeit erklärt hatte, durften sie zurückkehren. Nach der Annexion | |
sind wieder viele geflohen. | |
Tasheva sieht die Gefahr, dass Auftritte wie der von Scooter diese | |
Geschichte vergessen machen sollen. Deshalb ist sie auch dafür, „keine | |
Ausnahmen für solche Künstler“ zu machen. „Wenn Scooter oder andere | |
ukrainische Gesetze verletzen, dann sollten sie auch das Land nicht mehr | |
betreten dürfen“, sagt sie. | |
Der ukrainische Botschafter glaubt indessen noch an eine Möglichkeit, den | |
Konflikt beizulegen. Er ruft die Anhänger der Gruppe dazu auf, Einfluss zu | |
nehmen: „Wir würden es begrüßen, wenn die Fans Scooter dazu bewegen | |
könnten, dieses Konzert abzusagen.“ | |
Am nächsten Dienstag wird Andrij Melnyk in Hamburg sein. Dort sitzt auch | |
das Scooter-Management. Er hofft auf ein Treffen. | |
25 Jun 2017 | |
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## AUTOREN | |
Daniel Schulz | |
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