# taz.de -- Sie wollte helfen: Zur Gafferin erklärt | |
> Miriam H. machte ein Selfie im G-20-Chaos, um ihre Schwester zu beruhigen | |
> und landete damit im Hamburger Abendblatt. | |
Bild: Vom Hamburger Abendblatt als Voyeurin abgestempelt: Miriam K. | |
HAMBURG taz | Sie wollte helfen. Und zeitgleich ihre Meinung über den | |
G-20-Gipfel kundtun. Am vergangenen Freitag brach die Eimsbüttlerin Miriam | |
H. in Richtung Schanze auf, dabei hatte sie einem Rucksack voller | |
Verbandszeug und Kochsalzlösung, um die Augen von DemonstrantInnen spülen | |
zu können, die mit Tränengas und Pfefferspray in Berührung gekommen waren. | |
Sie half am Rande der Proteste und Ausschreitungen, wo sie konnte, kam auch | |
dahin, wohin die Polizei offizielle Sanitäter nicht durchlassen wollte. Um | |
selbst nicht von den Reizstoffen, die Polizei am Schulterblatt einsetzte, | |
außer Gefecht gesetzt zu werden, hatte H. sich ihr altes Palästinenser-Tuch | |
vor Mund und Nase gebunden. | |
Am frühen Freitagabend meldete sich ihre Schwester per Handy, fragte, ob | |
alles okay sei und wie es denn aussehe, da im Auge des G-20-Orkans. Miriam | |
H. machte ein Selfie, um ihre Schwester zu beruhigen und um ihr die | |
Situation zu illustrieren, in der sie versuchte, erste Hilfe zu leisten. | |
Dann setzte sie ihren Einsatz fort. Sie hatte nicht bemerkt, dass der | |
Pressefotograf Leon Neal sie abgelichtet hat, als sie sich selbst | |
fotografierte. | |
Drei Tage später erschien genau das Foto großformatig im Hamburger | |
Abendblatt. „Selfie vor brennenden Barrikaden – viele Schaulustige | |
erschweren so die Arbeit der Polizei“, lautete die Bildunterschrift. „Die | |
Stunde der Voyeure – für sie sind Krawalle ein Happening“, lautete die | |
Schlagzeile. „Sie sind keine Demonstranten, sie sind keine Chaoten, sie | |
sind – Gaffer“ lautete der dritte Satz des Artikels. | |
Seitdem hat Miriam H. keine ruhige Minute mehr. In ihrem Facebook-Profil | |
geht ein Shitstorm über sie hernieder, wie sie ihn bislang noch nicht | |
kannte. Sie wird vor allem von den Freunden ihrer wenigen | |
Facebook-Freunde, die sie kaum kennen, als Rabenmutter beschimpft, weil | |
sie als zweifache Mutter einfach demonstrieren gegangen ist. Dass sie ihre | |
zwei kleinen Töchter extra bei der weit vom Geschehen außerhalb Hamburgs | |
lebenden Oma untergebracht hat, interessiert niemanden. | |
„Hätte ich Kinder wie du, schreibt ein Pascale S., „würde ich zuhause | |
sitzen und Angst um sie haben vor den Randalierern … und nicht vor einem | |
Feuer Selfies machen.“ Eine Sarah pestet nur: „Schämen solltest du dich.“ | |
Und das ist nur ein kleiner Teil des Shitstorms, die schlimmsten | |
Beleidigungen hat die Eimsbüttlerin längst gelöscht. | |
Als Reaktion bedankt sich Miriam H. ironisch bei all ihren KritikerInnen, | |
„die wohl ein makelloses Leben führen“. Doch mehr noch als die Kommentare | |
ärgert die zweifache Mutter, „wie ich in der Zeitung als Selfie-Queen und | |
Gafferin gebrandmarkt werde“. | |
Rechtlich, aber ist das im Hamburger Abendblatt erschienene Foto ein | |
Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte. Und solche, so bestimmt es das | |
Kunsturhebergesetz, dürfen ohne die sonst „erforderliche Einwilligung“ der | |
Abgelichteten „verbreitet und zur Schau gestellt werden“. | |
Da die in dem Artikel formulierten Vorwürfe sich zudem nicht explizit auf | |
die im Aufmacherfoto abgebildete Person beziehen, gibt es auch hier keine | |
Handhabe. Sie muss Miriam H. es sich also gefallen lassen, dass das Foto | |
von ihr in diesem Kontext erscheint. | |
11 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Marco Carini | |
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