# taz.de -- Streit um neuen „Freitag“-Herausgeber: Schreiben unter Todenhö… | |
> Jürgen Todenhöfer eckt als Herausgeber der linken Wochenzeitung an. | |
> Einige haben die Redaktion verlassen. Was sagt der Rest? | |
Bild: Todenhöfer: laut Augstein ein „Experiment auf der Suche nach der Zukun… | |
Es gibt eine Art Proklamation, die alle im Umfeld des Freitags | |
vorwegschicken, bei denen man sich nach Jürgen Todenhöfer erkundigt. Die | |
geht so: Die Redaktion mache hervorragende Arbeit, heißt es, es gebe eine | |
vertraute Atmosphäre. Man wolle nicht die Zeitung in den Dreck ziehen – das | |
sagen RedakteurInnen, Ehemalige, Freie. Aber. | |
Seit einem halben Jahr ist der Publizist Todenhöfer Herausgeber der linken | |
Wochenzeitung. Seitdem ringt die Redaktion um Haltung zur Entscheidung des | |
Verlegers Jakob Augstein – und findet keine. Wie viel Pluralismus | |
verkraftet ein linkes Meinungsblatt? Darf Todenhöfer unter linken | |
Pluralismus gefasst werden? Man ist gespalten. Inzwischen haben die Ersten | |
ihren Ausstieg erklärt. | |
Aber egal, mit wem man spricht, niemand will den Freitag als linkes Projekt | |
diskreditieren. Und das wäre auch ungerecht, denn es geht hier nicht bloß | |
um eine Zeitung. Es geht um ideologische Umwälzungen in der Linken. Der | |
Freitag ist nur ein Kapitel. | |
Das Ringen um Deutungshoheit im Ukraine-Konflikt. Die Neue Rechte. Die | |
„humanistische Allianz“ mit Kanzlerin Merkel in der Flüchtlingskrise – w… | |
links und was rechts ist, steht wieder zur Debatte: Wer ist Putinversteher, | |
wer Amerikafreund? Wer will Europa, wer den Nationalstaat? Was ist | |
Identität? | |
## Der Polarisierende | |
Einen „streitbaren Geist“ und „unabhängigen Kopf“, nannte Verleger Aug… | |
den ehemaligen CDU-Politiker und Burda-Manager Todenhöfer, als er im | |
Dezember die Personalie bekanntgab. „Seit Jahren kämpft er unermüdlich | |
gegen Militarismus und Krieg. Und gegen die Diskriminierung anderer | |
Kulturen.“ Damit passe er hervorragend zum Freitag. | |
Nicht alle waren dieser Meinung. Der stellvertretende Chefredakteur Michael | |
Angele nannte den Schritt ein „falsches Signal“. AutorInnen kündigten ihren | |
Rückzug an oder dachten darüber nach. Linke JournalistInnen zeigten sich in | |
den sozialen Medien entsetzt. Warum? | |
Todenhöfer kritisiert regelmäßig die „einseitige Berichterstattung | |
westlicher Medien“ und inszeniert sich als „Sucher nach Wahrheit“, wofür… | |
private Reisen in die Kriegsgebiete Syriens, Afghanistans und des Irak als | |
Beleg heranzieht. Um diese Erzählung von sich selbst zu verbreiten, nutzt | |
er fragwürdige Plattformen: das völkisch-verschwörungstheoretische | |
Compact-Magazin des exlinken Populisten Jürgen Elsässer, die neurechte | |
Wochenzeitung Junge Freiheit oder das kremlnahe Portal RT Deutsch, das | |
rechte Positionen zum Kontrapunkt gegen „Mainstream-Medien“ erklärt. | |
Inzwischen gehört zu dieser Liste auch der Freitag. | |
Viele befürchteten, der neue Herausgeber könnte die Zeitung in einen | |
unbehaglichen Graubereich zwischen links und rechts verschieben. Stichwort | |
„Querfront“. Für die einen ein treffender Begriff für gefährliche | |
Annäherungstendenzen bei Linken und Rechten. Für andere, darunter Augstein, | |
eine bürgerliche Kampfparole. | |
## Unterstützer von Erdoğan | |
Ob man den „Querfront“-Begriff mag oder nicht: Da ist jemand Herausgeber | |
einer linken Zeitung, der sich auf die Seite des türkischen Präsidenten | |
Erdoğan schlägt. Der das knappe und umstrittene Ergebnis des | |
Verfassungsreferendums als „Selbstbestimmungsrecht des türkischen Volkes“ | |
bezeichnet. Der auf Facebook die Erzählung nährt, „die Medien“ seien | |
gleichgeschaltet – und er sei ein Gegenmittel. Der ein Lied von Xavier | |
Naidoo promotet, in dem es heißt: „Muslime tragen den neuen Judenstern.“ | |
Das ist alles von der Meinungsfreiheit gedeckt. Aber ist es eine Stimme, | |
die einer linken Zeitung guttut? | |
Nein, sagt Katja Kullmann, seit dreieinhalb Jahren beim Freitag, seit 2016 | |
stellvertretende Chefredakteurin. Jetzt ist sie ausgestiegen. Unter | |
Todenhöfer habe sie nicht weiter in der Zeitung arbeiten wollen: „Ich halte | |
es für politisch fahrlässig bis gefährlich, den Freitag unter diese | |
Herausgeberschaft zu setzen.“ Ihre Bedenken habe sie Augstein gegenüber | |
geäußert. Es sei zu keinem Streit gekommen, aber sie habe ihm mitgeteilt: | |
„Es ist Zeit, getrennte Wege zu gehen.“ | |
Vor allem das „publizistische Umfeld“ Todenhöfers schrecke sie ab, so | |
Kullmann. Im gegenwärtigen politischen Klima sei die Entscheidung | |
grundfalsch: „Genau jetzt käme es darauf an, eine klare Grenze zum | |
rot-braunen Lager zu ziehen.“ | |
Ebenfalls ausgestiegen sind Textchef Thomas Kaiser, Art Director Max | |
Sauerbier und eine Reihe freier AutorInnen, wie die Filmkritiker Ekkehard | |
Knörer und Lukas Foerster, die SportjournalistInnen Elke Wittich und Martin | |
Krauß, die Schriftstellerin Sarah Khan. So weit diejenigen, die offen | |
sagen, dass ihr Ausstieg mit Todenhöfer zu tun hat. Doch auch unter den | |
Abtrünnigen besteht keine Einigkeit über den Namen des Problems. | |
„Rot-braun“, „Querfront“? Sauerbier distanziert sich von derlei Begriff… | |
„Für mich gibt es kein ,rot-braunes-Lager'.“ Ein rechtes Projekt könne nie | |
links sein, somit könne es kein Gemeinsames geben, keine Querfront. | |
## Sind die USA schuld an der Entstehung des IS? | |
Geht es also einfach um einen Rechten bei einer linken Zeitung? Für | |
Augstein jedenfalls ist Todenhöfer ein meinungsstarker Kritiker des Kriegs | |
und der US-Außenpolitik. Er bedient reflexhaften Antiamerikanismus, | |
entgegnen KritikerInnen wie Kullmann. Er ist ein unabhängiger Publizist mit | |
gewaltiger Internetpräsenz, sagt Augstein. Er ist ein Populist, kommt es | |
von der anderen Seite. | |
In der Redaktion kursieren seit Dezember Screenshots von Äußerungen, die | |
Todenhöfer-Fans auf dessen Facebook-Seite getätigt haben. Dort ist von | |
Israel als „Schurkenstaat“ die Rede. Davon, dass die Machthaber Israels | |
Hitler dafür bezahlt hätten, den Genozid am eigenen Volk durchzuführen. | |
Antisemitismus reiht sich an holzschnittartige Weltsichten und | |
Verschwörungstheorien, dazu kommt das Motiv von der „fehlenden | |
Souveränität“ und von der Bundesrepublik als „Firma“: Reichsbürger-Spr… | |
Seine Fans kann man sich nicht aussuchen. Aber man muss sie – zumindest auf | |
Facebook – nicht uneingeschränkt gewähren lassen. | |
Doch Todenhöfer selbst verschafft sich Aufmerksamkeit durch konträre | |
Positionen zu allem, was gerade gesellschaftlich konsensfähig erscheint. | |
Kritik am Türkei-Referendum verwirft er als westlichen Paternalismus. Den | |
„Islamischen Staat“ nennt er verkürzt ein Produkt US-amerikanischer | |
Einmischung im Nahen Osten. Todenhöfers scheinbar linke Haltung gegen | |
Islamophobie kippt derweil in mystifizierende Verehrung: „Der Orient“ sei | |
bei der Suche nach Lebensglück weiter als „der Westen“, so Todenhöfer in | |
Compact. | |
Glasklar rechte Positionen sind das nicht. Positionen einer | |
antiimperialistischen Linken – so weit simplifiziert, dass sie auch für die | |
Anti-Establishment-Fraktion der Neuen Rechten attraktiv sind. Aber kaum | |
angreifbar. Das gilt auch für Todenhöfers antisemitische Äußerungen. Israel | |
als „Herrenvolk“ zu bezeichnen – antisemitisch, aber nicht strafbar. | |
## PR-Berater in der Redaktionskonferenz | |
„Todenhöfer bewegt sich an roten Linien, und überschreitet sie auch mal“, | |
sagt Kaiser. Für ihn und andere KritikerInnen ist klar: Eine linke Zeitung | |
müsste sich abgrenzen von einer solchen Figur. Aber nicht alle sehen das | |
so. Ein Redakteur sagt, er stehe nicht hinter Augsteins Entscheidung, aber: | |
„Der Freitag ist eine pluralistische Zeitung und muss auch Positionen wie | |
die Todenhöfers verkraften.“ Die Herausgeberschaft sei ohnehin bloß | |
symbolisch. | |
Tatsächlich nimmt Todenhöfer bisher kaum Einfluss auf die Arbeit der | |
Redaktion. Einmal im Monat kämen er und sein Sohn und PR-Berater Frederic | |
in die Konferenz, heißt es. Selbst unter den KritikerInnen hat niemand den | |
Eindruck, dass bestimmte Meinungen neuerdings forciert oder unterdrückt | |
würden. Drei Texte hat der Herausgeber bislang im Freitag veröffentlicht. | |
Eine Zeitung umkrempeln sieht anders aus. | |
Es scheint, dass, solange das so bleibt, alle darauf bedacht sind, einen | |
Eklat zu vermeiden, der der Zeitung schaden könnte. Ein offener Brief der | |
Redaktion an Augstein, den einige RedakteurInnen Ende 2016 schreiben | |
wollten, kam nie zustande. Nicht genügend KollegInnen hätten ihn | |
unterzeichnen wollen, sagen Beteiligte. Angst vor beruflichen Konsequenzen | |
oder einer Spaltung des Freitags hätten eine Rolle gespielt. | |
Offenbar hält Loyalität die Redaktion trotz großem Unbehagen zusammen. Und | |
die Überzeugung, dass das Projekt Freitag weiterhin in die richtige | |
Richtung geht. Sollten sich aber die Zweifel daran erhärten, könnten noch | |
mehr aussteigen. Exredakteur Nils Markwardt meint: „Die Entscheidung, Herrn | |
Todenhöfer zum Herausgeber des Freitags zu machen hat die bis dato hohe | |
Identifikation mit der Zeitung bei manchen KollegInnen spürbar geschwächt.“ | |
## 700.000 Facebook-Freunde | |
Markwardt kritisiert auch Augstein, der sich mit Positionen zu Heimat und | |
Identität wie in seiner Spiegel-Kolumne von Ende März bei der Rechten | |
anschlussfähig mache. Auch für andere Ehemalige ist der Text | |
ausschlaggebend. | |
Zuletzt hat Augstein seine Entscheidung immer wieder mit dem Verweis auf | |
Todenhöfers Fangemeinde verteidigt: 700.000 Facebook-Freunde – ein | |
möglicher Zugewinn für das Blatt? Nur: Todenhöfer hat nicht oft Werbung auf | |
Facebook gemacht. Texte aus dem Freitag – ausgenommen seine eigenen – | |
postet er kaum. Wie er selbst seine Rolle in der Zeitung begreift? Jürgen | |
Todenhöfer lässt sich entschuldigen – er steckt in den Vorbereitungen für | |
seine nächste große Reise. | |
Auch Jakob Augstein wollte sich gegenüber der taz dieses Mal nicht äußern – | |
weder zu den Abgängen beim Freitag noch zur zukünftigen Rolle seines | |
Herausgebers. Und so bleibt nur, sich seine Äußerungen vom Dezember | |
anzuschauen: „Seine Benennung ist für uns auch ein Experiment auf der Suche | |
nach der Zukunft des Journalismus.“ Ein Todenhöfer als Experiment – mutig? | |
Töricht? | |
7 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Peter Weissenburger | |
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