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# taz.de -- Verfilmung von „Axolotl Roadkill“: „Atomkrieg oder was?“
> Eine Pubertätsvision: Helene Hegemann hat aus ihrem Bestsellerroman nun
> den Spielfilm „Axolotl Overkill“ gemacht. Er ist harmlos geworden.
Bild: Mifti (Jasna Fritzi Bauer) und Ophelia (Marvie Hörbiger)
Was hat man sich gestritten über Helene Hegemanns Roman „Axolotl Roadkill“.
Da waren nämlich mehr oder weniger abgeschriebene Stellen in ihrem
literarischen Debüt über ein 16-jähriges Mädchen, das sich wie eine lockere
Schraube im sozialen Gerüst durch das Berliner Tag- und Nachtleben windet –
abgeschrieben von dem Berliner Blogger Airen. Plagiat und Raubkopie oder
zeitgeistige Methode und ästhetisches Klarkommen mit einer Medienwelt, die
den analogen Urheberrechtsverwaltern eh schon längst den Vogel zeigt?
Wirklich zu Ende diskutiert ist das nicht.
Nun hat Hegemann jedenfalls diesen Roman-mit-Anschlussfragen ins Kino
umgezogen – und zwar eigenhändig: Sie adaptierte ihr Buch selbst und führte
auch Regie. „Axolotl Overkill“ heißt das Ganze jetzt und es fällt doch au…
wie wenig es ihr Film – gerade angesichts des Brimboriums um seine Vorlage
– auf den grenzensprengenden Gestus anlegt. Hegemanns Film ist so harmlos
wie der kleine Pinguin, der einmal für den Zwischendurchschmunzler durch
die Geschwister-WG watschelt und eine Szene weiter wieder verschwunden ist
– für immer.
Interessant ist das aber vor allem deshalb, weil sich dieser Film so nicht
mit der sprachanarchischen Scheißdraufpoesie der „Fack Ju Göhte“-Filme
einerseits und der punkig-aktionistischen attitude eines Films wie „Tiger
Girl“ andererseits vergleichbar macht. Hegemanns Pubertätsvision will ein
bisschen mehr Ernst produzieren – auch schon in erster Instanz.
Grenzen sprengen lohnt sich für die junge Mifti (Jasna Fritzi Bauer) gar
nicht, weil in der Welt um sie herum ohnehin schon alles unterschiedslos
ineinandergeflossen ist. Am deutlichsten wird das an der Betonbude, die ihr
abgespaceter Papa bewohnt: eine Mischung aus Bauruine und Luxusimmobilie.
Dort sitzt die zerfledderte Familie manchmal zusammen, futtert Fastfood und
schlaumeiert sich den internationalen Terrorismus zurecht.
## Resignierte Rektorin
Die Rektorin an Miftis Schule hat schon lange resigniert, kichert stumm
über einen Bück-dich-du-Schlampe-Witz ihrer Schülerin und schüttet
selbiger, wenn’s dann doch mal pädagogisch werden muss, ein bisschen Kaffee
in die Fresse. Mifti hat beim KZ-Besuch das Wort „Führer“ in den Mund
genommen – das geht natürlich gar nicht, deshalb auch die Kaffeedusche. Es
ist die Schlüsselszene von „Axolotl Overkill“, denn nirgends wird der
Zusammenhang von Sprache und Konsequenz, von Delikt und Sanktion deutlicher
als hier. Wenn die Heranwachsende in Hegemanns Buch und Film an etwas
leidet, dann daran, dass eh schon alles wurscht ist, dass es gar keine
Grenzen mehr gibt, die man sprengen könnte: ein randvolles Arsenal an
pubertärem Dynamit, aber nichts, was sich damit in die Luft jagen ließe. Es
ist eine Art umgekehrtes Restriktionsmodell – und zudem nichts Neues: Die
Qualen der Jugend entscheiden sich nicht mehr an der autoritären Erziehung
– so war das früher vielleicht mal –, sondern, ganz im Gegenteil, am Fehlen
derselben.
Wie ernst Hegemann das nimmt, sieht man auch am Fehlen der Mutter – die ist
nämlich kürzlich gestorben. Miftis lesbische Obsession für die sehr viel
ältere Alice (Arly Jover) ist da im Grunde freilich nichts anderes als die
Suche nach einem Ersatz. In solchen Konstellationen formuliert „Axolotl
Overkill“ einen etwas arg diagnostischen Klugheitsanspruch und wertet damit
auch diejenige seiner Ebenen um, um die es eigentlich hätte gehen können
und die auch die interessanteste ist, nämlich die von Sprache und
Sprachlichkeit.
Anika (Laura Tonke), die Halbschwester, schaut genervt vom Küchentisch auf,
als sie merkt, dass Mifti schon wieder Schule schwänzt. Draußen lägen alle
ohnmächtig auf der Straße, meint Mifti entschuldigend. „Wie jetzt,
Atomkrieg oder was?“, antwortet Anika. Eine Szene weiter sehen wir
postapokalyptische Straßenzüge: Menschen liegen auf dem Bordstein oder
hängen leblos von ihren Autositzen herab. Mit Sprache lässt sich so eine
Vorstellung erzeugen: die Fantasie vom ultimativen Effekt auf die Menschen
und die Welt – die Fantasie genau davon, woran es mangelt. Wo es keine
Sanktionen gibt, gibt es auch keine Delikte, wo es keine Effekte gibt, gibt
es auch kein Handeln. In dieser pubertären Hilflosigkeit bleibt einem gar
nichts anderes übrig, als vom Atomkrieg zu träumen.
Ganz selten bekommt die Sprache in Hegemanns Film diese illusionäre Kraft,
ganz selten wird sie tatsächlich zur Zaubermethode ihrer Protagonistin, um
ein bisschen klarzukommen in der Welt. Sehr viel öfter aber bleiben die
Wörter und Schimpfwörter, die Entgleisungen und Klugscheißereien, das
ständig eingeworfene unnütze Wissen (über Schwanzlurche namens Axolotl, zum
Beispiel) und das Sprücheklopfen auf dem Niveau einer ziemlich souveränen
und diagnostisch-überblickenden Drehbuchliteratin. Das macht den Film so
harmlos: In den meisten Fällen hätten wir auch lesen können, was wir sehen.
30 Jun 2017
## AUTOREN
Lukas Stern
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