| # taz.de -- Fritz Benschers Biografie: Nachkriegsstar und Überlebender | |
| > Fritz Benscher war Tänzer, Conférencier, später Sargtischler. Er kam ins | |
| > KZ, überlebte und wurde ein führender Radiomann im Nachkriegsdeutschland | |
| Bild: Mit Hut und Stock: Fritz Benscher in Hamburger Grindelviertel. | |
| Bei Youtube findet sich nur die Fernsehklamotte „Das Streichquartett“ aus | |
| dem Jahr 1962, in dem Fritz Benscher zusammen mit Dieter Hildebrandt und | |
| Klaus Havenstein auftritt. Ansonsten ist da noch ein heute karg wirkender | |
| Werbespot, in dem er für das Reinigungsmittel Ajak wirbt. Ein schmaler | |
| Wikipedia-Eintrag mit falschem Geburtsdatum wiederum verweist nur indirekt | |
| darauf, dass Benscher Jude war, und lässt sein politisches Engagement im | |
| Nachkriegsdeutschland unter den Tisch fallen. | |
| Die Hamburger Historikerin Beate Meyer erklärt hingegen: „Sein | |
| Alleinstellungsmerkmal nach dem Krieg war: Jude und KZ-Überlebender und | |
| Linker und Hamburger.“ Meyer hat dem Conférencier und Kabarettisten, dem | |
| Radiomacher und späterem Fernsehquizmaster nun eine Biografie gewidmet. | |
| Meyer stößt in den 1980er-Jahren auf Benschers Namen, da ist sie unterwegs, | |
| um in Hamburg Zeitzeugen zu interviewen, die über den Nationalsozialismus | |
| berichten können. Sie lernt Hubert und Ingrid Riemann kennen, Kinder einer | |
| jüdischen Mutter, bei denen Fritz Benscher seinerzeit zur Untermiete | |
| wohnte. | |
| „Hubert Riemann“, sagt Meyer, „zeigte mir so kleine Bildchen, die er nach | |
| dem Krieg, in den Sechzigerjahren, aus der Hörzu ausgeschnitten hatte: Das | |
| sei der Prominente, der seinerzeit bei ihnen gewohnt hätte; der politisch | |
| links gewesen sei und mutig.“ Und der ein wenig Licht in diese für sie | |
| düsteren Zeiten gebracht hätte. | |
| Meyer sagt sich damals: „Über den möchte ich mal was machen!“ Allein, es | |
| kommen andere Projekte dazwischen. Doch der Name bleibt hängen. Erst 2011 | |
| drängt er sich wieder in den Vordergrund, als sie in München im Jüdischen | |
| Museum die Ausstellung über „Jüdisches in der deutschen | |
| Fernsehunterhaltung“ besucht – wo Fritz Benscher eine Nische gewidmet ist. | |
| Sie kauft sich den Ausstellungskatalog: „In dem stand nun leider gar nichts | |
| über Benscher.“ Auf Nachfrage erklärt die Kuratorin, dass die Recherchelage | |
| dünn sei, dass man nicht viel über seinen Werdegang beim Bayrischen | |
| Rundfunk sagen könne; man sich etwa bei einigen Fotos auch nicht sicher | |
| sei, ob er tatsächlich der Abgebildete sei. Doch sie stellt Meyer ihre | |
| wenigen Unterlagen zur Verfügung und die macht sich an die Arbeit. | |
| Das Problem: Benscher ist bereits 1970 gestorben, Zeitzeugen sind rar. „Es | |
| gibt keinen geordneten Nachlass. Seine Personalakte beim Bayrischen | |
| Rundfunk ist längst geschreddert, auch Angaben über seine Tätigkeit beim | |
| amerikanischen Vorläufer-Sender Radio Munich sind nicht erhalten“, erzählt | |
| Meyer. „Und wenn es Akten gab, dann nur, weil sie einst gerichtsrelevant | |
| waren.“ Wie bei seiner Auseinandersetzung mit der rechtsradikalen Deutsche | |
| Soldatenzeitung, die ihn 1950 erfolglos verklagte, weil er sich in einer | |
| seiner Sendungen über deutsche Marschmusik lustig gemacht hatte. | |
| ## Tiefe psychologische Einblicke | |
| Meyer fällt bald auf, dass es eine Diskrepanz gibt zwischen Benschers Ruf | |
| und den wenigen fassbaren Fakten: „Dieter Hildebrandt etwa schreibt in | |
| seinen Lebenserinnerungen sinngemäß: ‚Mit dem Benscher haben wir tolle | |
| Geschichten erlebt!‘ Aber was das für Geschichten waren, erzählt er nicht.�… | |
| Einen tieferen, auch psychologischen Einblick erhält Meyer erst, als sie | |
| seine Witwe ausfindig macht. | |
| Fritz Benscher wird 1904 in Hamburg geboren. Die Familie führt einen | |
| Ledergroßhandel, wohnt in Blankenese. Er soll eine kaufmännische Ausbildung | |
| absolvieren, doch es zieht ihn zum Missfallen seines Vaters zur Kunst. | |
| „Mein Vater hatte etwas gegen das Theater und darum ging ich hin“, ist ein | |
| dazu passendes Benscher-Zitat. | |
| Er geht 1921 nach Oldenburg ans Stadttheater, 1924 zurück nach Hamburg, ist | |
| zunächst Statist an der Volksoper, spielt dann am Schiller-Theater Brecht | |
| und Weill. Parallel lernt er beim noch jungen Medium Radio als Ansager, | |
| Sprecher und Moderator das Radiomachen. Zwischendurch zieht es ihn nach | |
| Berlin. | |
| Sein Metier ist die vordergründig leichte Unterhaltung: die Operette, der | |
| heitere Liederabend, das Kabarett. Er wirkt als Tanzbuffo und Choreograf, | |
| spielt an der Komischen Oper mit Hans Albers. Er festigt sein Talent als | |
| Conférencier, liegt ihm doch die spontane Begegnung mit dem Publikum. Das | |
| mag seine schlagfertige bis spöttische Art. Er wird das, was man einen | |
| Publikumsliebling nennt. | |
| 1933 wird es schwierig aufzutreten. Benscher engagiert sich im Jüdischen | |
| Kulturbund Hamburg, während die Nazis nach dem Unternehmen seines Vaters | |
| greifen. Später, als die Auftrittsmöglichkeiten weniger werden und dann | |
| ganz versiegen, schlägt er sich als Sargtischler durch. | |
| Im Sommer 1943 wird Benscher ins Ghetto Theresienstadt deportiert, wo er | |
| Theater spielt. Er kommt nach Auschwitz, nach Dachau-Kaufering, wo er | |
| „bunte Abende“ organisiert: „Ich habe Berichte von Überlebenden aus | |
| Kauferingen lesen können, die auswendige Passagen von Gedichten enthielten, | |
| die Benscher damals für sie schrieb“, erzählt Meyer. Er selbst wird es | |
| später vordergründig flapsig so sagen: „Wie ich vorher an allen großen und | |
| bekannten Theatern war, so war ich hernach in allen großen und bekannten | |
| KZs.“ | |
| Die Befreiung erlebt er am 1. Mai 1945, kurze Zeit später stellt er sich | |
| beim amerikanischen Militärsender in München vor, man brauchte unbelastete | |
| Radioleute. In den kommenden Jahren wird er sich gänzlich der Arbeit | |
| verschreiben: erst beim Hörfunk, später kommt das junge bundesdeutsche | |
| Fernsehen hinzu: „Er hat jahrzehntelang Sendungen produziert und die liefen | |
| zum Teil bis zu zehn Jahre lang. Und wenn eine Sendereihe auslief, hat er | |
| sich schnell etwas Neues überlegt“, sagt Meyer. | |
| Benscher hat ein Gespür für Trends. So kreiert er mit „Nimmt’s Gas weg“… | |
| allererste Autofahrersendung, die die wachsende Mobilität der | |
| bundesdeutschen Gesellschaft aufgreift: „Diese Sendung ist von 1955 bis zu | |
| seinem Tod gelaufen; erst nur sonntags, dann zusätzlich mittwochs.“ Und: Es | |
| ist für ihn kein Widerspruch, sowohl eher seichte Musiksendungen und | |
| zugleich ernste Gedenksendungen für die Überlebende zu produzieren und zu | |
| moderieren. | |
| ## Der inszenierte Außenseiter | |
| Nicht zuletzt kann er dabei immer wieder von seiner norddeutschen Herkunft | |
| profitieren: „Er konnte als Hamburger in Bayern Sendungen über den | |
| Hamburger Hafen machen und auch Literarisches einbringen. Er inszenierte | |
| sich damit als Außenstehender, der das, was in Bayern passierte, noch mal | |
| anders anschauen und beurteilen und zu dem Geschehen auch eine spöttische | |
| Distanz bewahren konnte. Das macht er bis zum Schluss.“ | |
| Beate Meyer erzählt dieses Leben so anregend wie spannend, ergänzt es um | |
| Beschreibungen der jeweiligen politischen Phasen von der Weimarer Zeit bis | |
| zur Bonner Republik. Was ihr Buch darüber hinaus besonders lesenswert | |
| macht, ist, wie sie Benschers Leben auch mit dessen schwierigen und | |
| verstörenden Seiten konfrontiert, gibt es doch zwei Pole zu beleuchten: | |
| einerseits der erfolgreiche, quasi arbeitswütige Entertainer, der vom | |
| Publikum geliebt wurde, sich nicht unterkriegen ließ und auf einen | |
| unbändigen Lebenswillen setzen konnte – und andererseits einer, der kaum | |
| Freundschaften pflegen konnte, der Geselligkeit aus dem Weg ging, seinen | |
| ersten Hund „Führer“ nannte und sein Geburtsdatum ebenso variierte wie die | |
| Jahresangaben zu seiner Lagerhaft. | |
| Besonders komplex ist Benschers Ehe mit der Schauspielstudentin Annemarie | |
| Moser ab 1953. Denn kaum sind die beiden verheiratet, verbietet Benscher | |
| seiner 23 Jahre jüngeren Frau zu arbeiten – was er als Ehemann nach der | |
| damaligen Gesetzeslage kann. Sie fügt sich, ist ihm eine Art Assistentin | |
| und verfasst in seinem Namen Sendemanuskripte als er im Winter 1957 eine | |
| schwere, nicht nur gesundheitliche Krise erlebt und für Monate ausfällt. | |
| „Es war für sie eine sehr schwierige Ehe“, sagt Meyer. Gleichzeitig gilt: | |
| „Er hätte sein erfolgreiches und rastloses Künstlerleben nicht führen | |
| können, wenn es sie nicht gegeben hätte. Sie kam mit seiner Schlaflosigkeit | |
| und seinen Albträumen zurecht, konnte ihn auffangen, wenn er einen | |
| Zusammenbruch erlitt, weil ihn irgendetwas an seine Lagerzeit erinnert | |
| hatte.“ | |
| Meyer sieht am Ende in seiner Biografie den gar nicht untypischen | |
| Lebenslauf eines künstlerisch engagierten Überlebenden: „Es gab die | |
| Überlebenden, die nach der Befreiung aufgrund der erlittenen Qualen und | |
| Verletzungen nicht mehr in der Lage waren, ihren Beruf weiterzuführen. Und | |
| es gab die, die sich voller Elan für ein neues, demokratisches Deutschland | |
| engagierten, die an das Projekt Reeducation glaubten, aber dann nach etwa | |
| zehn Jahren auch durch den Kalten Krieg und die gesellschaftliche | |
| Restauration desillusioniert waren und zusammenbrachen.“ Sie sagt: „Bei ihm | |
| waren es 12 Jahre.“ | |
| 27 Jun 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Frank Keil | |
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