# taz.de -- Am südlichen Zipfel Andalusiens: Kunst im Grünen | |
> An der Meerenge von Gibraltar ist ein ungewöhnliches internationales | |
> Projekt geschaffen worden. Es thematisiert vor allem die Grenzsituation | |
> der Region. | |
Bild: Aus der Serie „1002. Nacht“ von Pilar Albarracín | |
Skulpturenparks haben in Spanien eine höchst wechselvolle Geschichte. Als | |
der bereits schwer erkrankte Eduardo Chillida vor 17 Jahren den grandiosen | |
Park Chillida-Leku oberhalb der kantabrischen Küste eröffnete, galt er als | |
Sensation. | |
Auch der Rheinländer Wolf Vostell gehört in Spanien zu den wichtigsten | |
Pionieren der Bewegung „Arte y Naturaleza“. Bei Malpartida de Cáceres, | |
inmitten der touristenverwöhnten Costa de Luz präsentiert er jetzt, | |
unmittelbar an der Meerenge von Gibraltar, Kunst unter freiem Himmel. Der | |
Skulpturenpark nennt sich Centro de Arte Montenmedio Contemporáneo de Vejer | |
de la Frontera, kurz NMAC. | |
Zwar hat in den letzten Jahren Málaga gleich drei neue Kunstzentren | |
geschaffen und damit das Image des ökonomisch und kulturell schwach | |
entwickelten Andalusiens etwas aufgepäppelt. Doch im provinziellen Vejer de | |
la Frontera verfolgt man andere Ziele. Wo einst eine Militäranlage die | |
natürliche Grenze zu Marokko sicherte, wird heute in Kunst investiert. Doch | |
nicht nur der Ortsname, sondern auch die Kunstinstallationen erinnern an | |
die heikle Grenzsituation hier. | |
## Militärische Vergangenheit | |
Der Kunstpark gehört zu einer 500 Hektar großen Anlage namens Finca Dehesa | |
Montenmedio. Das NMAC erstreckt sich in einem Pinienhain, in dessen | |
Schatten sich lang gestreckte und filigran geformte Tonnengewölbe erheben. | |
Wer hierbei an Bunkeranlagen denkt, liegt zumindest nicht ganz falsch. Die | |
Halbzylinder aus feinen Betonverschalungen halten zwar die Vergangenheit | |
des Terrains wach, aber sie eignen sich ebenso gut als baukünstlerische | |
Objekte. | |
Es sind Hallen, in denen die eingeladenen Künstler ihre Werke ausstellen. | |
Selbst der Empfangspavillon wurde kurzerhand zum Kunstraum erklärt: Der | |
Japaner Michael Lin verwandelte ihn in einen schwelgenden Paradiesgarten | |
mit Ornamenten aus der traditionellen chinesischen Kunst. „Garden Passage“ | |
nennt er den entstandenen Raum, der er an asymmetrisch angelegte | |
chinesische Gärten erinnert. An einen Bunker wird dabei niemand mehr | |
denken. | |
## Die Geschichte des Orts | |
Andere Künstler scheuten nicht die künstlerische Auseinandersetzung mit der | |
Geschichte des Orts, die zu den wichtigsten Aufgaben der NMAC-Stiftung | |
gehört. Der Chinese Huang Yong Ping nahm sich zweier Tonnengewölbe an, um | |
sich mit der Entfremdung zwischen den beiden Kulturen diesseits und | |
jenseits der Meeresenge auseinanderzusetzen. Sein Werk nennt er „Hammam“, | |
nach den Bädern, die es im Córdoba der Umayyaden einst zu Hunderten gab. | |
Vor nahezu 450 Jahren, durch Befehl Philipps II, wurden sie dem Erdboden | |
gleichgemacht. | |
Eines dieser Gewölbe weckt Erinnerungen an die westliche Bunkerarchitektur, | |
während der zum Hammam ausgebaute Nachbarpavillon die Aura eines sakralen | |
Orts ausstrahlt. Mit diesem Coup gelang dem Chinesen am geostrategischen | |
Punkt zwischen den Kontinenten ein stark symbolhaftes Werk, das die | |
Gegensätze unserer heutigen Welt extrem verdichtet. | |
Auch die zweiteilige Videoinstallation „Home and Away“ des Südafrikaners | |
Berni Searle widmet sich der Konfrontation beider Kulturen: Eine im | |
Meerwasser treibende Ophelia schwimmt im Nirgendwo zwischen Küste und | |
Motorboot, von dem nur das aufbrausende Kielwasser sichtbar ist. Trotz der | |
ambivalenten Assoziationen von „Home and Away“ denken die spanischen | |
Besucher unweigerlich an die heimische Küste, wo jährlich ungezählte | |
afrikanische Flüchtlinge ihr Leben lassen. | |
## Kunst provoziert | |
Auch Santiago Sierra liefert keine plakative Politkunst. Aber seine | |
Fotoserie belegt ein weiteres Mal seinen künstlerischen Zynismus. Der | |
sachliche Titel „3.000 Löcher mit jeweils 180 + 70 + 70 cm“, der sich | |
bewusst des Verwaltungsjargons bedient, weist auf die Distanz zwischen | |
objektiver Sprache und provozierender Aktion.Künstlerische Provokationen. | |
Der Künstler erläutert in einem Kommentar, dass er eine Gruppe von | |
schwarzen Tagelöhnern anheuerte und sie auf der spanischen Seite der | |
Meerenge in mehreren Reihen und in strikter Aufeinanderfolge 3.000 Löcher | |
mit den angegebenen Ausmaßen buddeln ließ. Jedes Loch sollte genau dem | |
anderen gleichen. Nach getaner Arbeit erhielten die Tagelöhner den ihnen | |
gesetzlich zustehenden Lohn für einen 8-Stunden-Tag – 54 Euro. | |
Schaut man sich das vollbrachte Werk aus der Vogelperspektive an, denkt man | |
vielleicht an Land Art oder den puristischen Grafismus der Minimal Art. | |
Doch jenseits von Kunstanalogien drängen sich vor allem die Gräberfelder | |
von Soldatenfriedhöfen auf. „Jeder schaufelt sein eigenes Grab“ – das ist | |
die starke Metaphorik von Sierras Aktionskunst, die unverhohlen die | |
ungelöste Tragödie des Flüchtlingsproblems aufgreift. | |
Auf die Frage, warum er ausgerechnet 3.000 Löcher ausheben ließ, antwortete | |
Sierra: „Sind das zu wenige?“ | |
Dagegen wühlen Marina Abramović und Pilar Albarracín im Mythenreservoir | |
Andalusiens. Abramović’ Video „Der Held“ lässt aus dem Off heroische | |
Gesänge ertönen und zeigt die Künstlerin als aufrechte Jeanne d’Arc, in | |
stolzer Haltung auf einem Schimmel, in der Rechten eine wehende weiße | |
Fahne, mit herausforderndem Blick in die Zukunft. | |
## Andalusische Mythen | |
Skrupelloser geht die Künstlerin Pilar Albarracín mit den mythischen | |
Bildern ihrer andalusischen Heimat um. Sie verspürt eine unbändige Lust, | |
die zählebigen spanischen Mythen zu demontieren. Im Centro Montenmedio | |
präsentiert Albarracín die Fotoserie „1002. Nacht“ – Variationen zu dem | |
Thema „Der gefangene Körper der islamischen Frau“. Eines dieser Bilder | |
zeigt einen am Meeresstrand geparkten Mercedes, auf dem Dach die | |
zusammengeschnürten Habseligkeiten und darunter herauslugend die verstaute | |
Ehefrau. | |
In den steilen Wänden eines ausgedienten Steinbruchs ließ die serbische | |
Künstlerin „Menschliche Nester“ eingraben, von denen Strickleitern bis zum | |
Boden hinabführen. | |
Lange Zeit hat man die touristenverwöhnte Atlantikküste dem traditionell | |
andalusischen Pferdesport, dem Motocross-Rennen und dem Golfen überlassen. | |
Gleichzeitig betonierten die Gewinner des Immobilienbooms die Küstenhänge | |
mit scheußlichen Villen zu. Allein aus diesen Gründen ist der | |
NMAC-Skulpturenpark, nahe der Todeszone, eine echte Bereicherung. | |
11 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Klaus Englert | |
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