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# taz.de -- Prozess gegen Antifaschistin in Göttingen: Führer war mehr Lametta
> Eine Antifaschistin steht vor Gericht, weil sie den Chef der
> Neonazi-Vereinigung mit Glitzer bestreut haben soll. Außerdem stellte sie
> sich einer Abschiebung in den Weg
Bild: Autsch! Glitzerschnipsel können ganz schön schmerzhaft sein, wenn sie a…
Göttingen taz | Jens Wilke bekam gestern doppelten Geleitschutz. Acht
Gesinnungsfreunde begleiteten den Chef der rechtsextremen „Volksbewegung
Niedersachsen“ – bis vor Kurzem noch bekannt und berüchtigt als
„Freundeskreis Thüringen/Niedersachsen“ – am Vormittag vom Göttinger
Bahnhof zum örtlichen Amtsgericht. Vor dem Gebäude sorgten gut gerüstete
Polizistinnen und Polizisten dafür, dass Wilke und seine Truppe nicht mit
linken Gegendemonstranten aneinander gerieten.
Wilke, von Beruf Versicherungsmakler, war in einem Verfahren gegen eine
Göttinger Antifaschistin als Zeuge geladen. Gewissermaßen in eigener Sache:
Denn die 60-Jährige soll ihm im Juli vergangenen Jahres im Göttinger
Kreishaus rote Glitzersterne über den Kopf gekippt beziehungsweise ihn
damit beworfen haben. Ein Foto seines bepuderten Kopfes hatte Wilke ins
Internet gestellt.
Der Rechtsextremist hatte zur Kommunalwahl im September 2016 auf der Liste
der NPD als „Unabhängiger“ für das Amt des Landrates kandidiert. Am
fraglichen Tag war der Kreiswahlausschuss zusammengetreten, um die
eingereichten Vorschläge zu prüfen. Eine Gruppe Nazi-Gegner begrüßte Wilke
im Kreishaus mit Pfiffen.
## Gab es mit den Glitzerschnipseln einen Schlag auf den Kopf?
Wilke will bei der Glitzerattacke auch einen Schlag auf den Kopf verspürt
haben. Er zeigte seine Widersacherin an, Polizei und Staatsanwaltschaft
ermittelten wegen des Verdachts der Körperverletzung. Gestern nun
verhandelte das Amtsgericht über die Sache. Während Wilke im Zeugenstand
noch einigermaßen verständlich seine Sicht der Dinge wiederholte, erweckte
sein ebenfalls als Zeuge geladener NPD-Kumpel Leif-Aaron Scharnhorst den
Eindruck, schon zu viel Alkohol intus zu haben. Er habe im Kreishaus ein
„Patschgeräusch“ gehört, gab er leicht lallend zu Protokoll.
In dem bis zum Nachmittag nicht beendeten Prozess muss sich die Angeklagte
auch noch gegen andere Vorwürfe verteidigen. So hatte sie im April 2014
gemeinsam mit etwa 60 anderen AktivistInnen die Abschiebung eines Somaliers
verhindert. Die Demonstranten hatten den Eingang eines Hauses in der
Göttinger Weststadt blockiert, in dem der Geflüchtete lebte.
## Widerstand gegen Abschiebung
Beim Versuch, die Blockade zu brechen, habe die wegen ruppiger Einsätze in
der Kritik stehende Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) der
Göttinger Bereitschaftspolizei die Situation eskalieren lassen, berichteten
Augenzeugen damals der taz. „Die BFE drang nicht nur durch eine
Parterrewohnung in das Haus ein, sondern sie schleppte auch Dutzende zum
Teil verletzte und bewusstlose Menschen durch das Fenster des Kinderzimmers
hinaus, in dem sich sowohl Mutter als auch Kind zu dieser Zeit befanden“,
erklärte die Rote Hilfe.
Die Grüne Jugend Göttingen beschrieb den Einsatz als „beängstigend und
vollkommen skrupellos“. Protestierende seien „geschubst, geschlagen, mit
Schmerzgriffen traktiert und in mehreren Fällen die Kellertreppe
heruntergeworfen“ worden. Mehrere hätten Beulen, Prellungen und Blutergüsse
davongetragen.
Bei dem Einsatz wurden laut Polizei vier Beamte verletzt, einer sei
vorübergehend dienstunfähig gewesen. Zwei Frauen und ein Mann, darunter die
heute 60-Jährige, wurden angeklagt, Beamten in die Hand gebissen und in
einem Fall auch geschlagen zu haben. Eine der Frauen soll einem Polizisten
im Getümmel den Armschutz aus Plastik abgerissen haben.
## Sachbeschädigung an der Fahrbahndecke
Die 60-Jährige hat der Staatsanwaltschaft zufolge zudem mehrere
Sachbeschädigungen begangen: Sie soll etwa den Schriftzug „Göttingen
welcomes Refugees“ auf eine Straße und eine Plastikplane gemalt und ein
Bundeswehr-Werbeplakat mit der Parole „Kein Werben fürs Sterben“ versehen
haben.
Die Neonazis schlossen an ihren gestrigen Ausflug zum Gericht noch einen
Stadtbummel an. Abgeschirmt durch zwei Züge Polizei und beobachtet von
einer Gruppe Antifaschisten, streiften sie Eis schleckend durch die
Fußgängerzone. „Recht langweilig heute“, posteten die Rechten am
Nachmittag: „Kaum Zecken, kein Glitter, keine Pfiffe.“
8 Jun 2017
## AUTOREN
Reimar Paul
## TAGS
Schwerpunkt Neonazis
Abschiebung
Schwerpunkt Antifa
Rechte Gewalt
Schwerpunkt Neonazis
Schwerpunkt Neonazis
Asylpolitik
Mord
Schwerpunkt Afghanistan
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