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# taz.de -- „Ylegate“ beim finnischen Rundfunk: Grundkurs in Pressefreiheit
> Finnlands öffentlich-rechtlicher Rundfunk umschmeichelt seit Jahren die
> Politik. Nun muss Chefredakteur Jääskeläinen zurücktreten.
Bild: Hand drauf! Chefredakteur Atte Jääskeläinen (links) und der finnische …
Stockholm taz | Montag kam der Befreiungsschlag. Atte Jääskeläinen,
Chefredakteur der Nachrichtenredaktion von Yle, dem öffentlich-rechtlichen
Rundfunk und Fernsehen Finnlands, musste seinen Posten räumen. Man sei
„nach einer umfassenden Evaluierung gemeinsam zu diesem Beschluss gelangt“,
umschrieb Thomas Wilhelmsson, Vorsitzender des Yle-Verwaltungsrats den
Hinauswurf. Der war überfällig.
Jääskeläinen personifizierte, was seit Monaten unter dem Stichwort
„Ylegate“ die finnische Mediendebatte beherrscht: eine schwere
Vertrauenskrise, in die der Journalismus der öffentlich-rechtlichen Anstalt
gerutscht war. Es hatte sich herausgestellt, dass die redaktionell
Verantwortlichen führende PolitikerInnen vor unbequemen Fragen schützten,
anstatt über deren Aktionen zu informieren und sie zu kontrollieren.
Ylegate hatte im November letzten Jahres als „Sipilägate“ begonnen. Die
Yle-Chefredaktion wies damals die RedakteurInnen an, das Thema der
Verwicklung des Regierungschefs Juha Sipilä und seiner Familie in private
Geschäfte mit einem vom Staat vor dem Konkurs geretteten Unternehmen nicht
weiterzuverfolgen. Bereits weitgehend fertig produzierte Beiträge wurden
nicht mehr ausgestrahlt. Multimillionär Sipilä, der als Quereinsteiger in
die Politik gekommen war und dem mehrere Kommentare das Etikett „Finnlands
Trump“ angehängt haben, hatte höchstpersönlich interveniert. Und das
[1][offenbar erfolgreich].
Mitte Mai kritisierte ein von Yle selbst in Auftrag gegebener Rapport die
Eingriffe der Chefredaktion in die damalige Berichterstattung, zumal diese
weder fehlerhaft noch journalistisch angreifbar gewesen sei. Insgesamt
konstatiert diese Untersuchung, es sei notwendig, die Unabhängigkeit von
Yle zu stärken und zu verdeutlichen. Und sieht offenbar Veranlassung, an
Selbstverständliches zu erinnern: Statt Redakteuren einen Maulkorb zu
verpassen, müsse man sie ausdrücklich ermuntern, jeden Fall einer
Einflussnahme auf ihre Arbeit öffentlich zu machen.
## Yle abhängig von der Politik
Gleichzeitig macht nun ein von ehemaligen Yle-JournalistInnen verfasstes
Buch deutlich, dass der Eingriff in die Berichterstattung über den
Ministerpräsidenten offenbar kein Einzelfall gewesen war. Bei Yle, so der
Vorwurf, herrsche seit Jahren eine Kultur, die von einer außerordentlichen
Vorsicht geprägt sei, wenn es darum gehe, einflussreiche Politiker genauer
unter die Lupe zu nehmen. Berichterstattung, die diesen gefährlich werden
könnte, sei systematisch gestoppt worden. Womöglich hänge dies damit
zusammen, dass die Finanzierung von Yle vom Wohlwollen und von Beschlüssen
genau dieser Politiker abhängig sei.
Schon im März hatte die dem deutschen Presserat vergleichbare finnische
Ethikkommission für Massenmedien konstatiert, bei Yle sei man offenbar für
politischen Druck empfänglich und lasse die Berichterstattung davon
beeinflussen. Auf diese Kritik angesprochen, hatte Atte Jääskeläinen in
einem am Sonntag in der Tageszeitung Helsingin Sanomat veröffentlichten
Interview angekündigt, Yle könne diese Kommission verlassen, wenn diese
„weiterhin so eine andere Einschätzung unseres Journalismus hat“.
Vielleicht sei es für den Sender besser, ein eigenes Überwachungsorgan zu
gründen. Ein wahnwitziger Vorschlag, der dnm Chefredakteur – auch wenn er
ihn am gleichen Tag als „Fehler“ zurücknahm – endgültig den Posten geko…
haben dürfte.
## Strukturveränderungen notwendig
Ein bloßer Führungswechsel bedeute natürlich nicht automatisch, dass sich
etwas bessert, sagt Anu Kantola, Medienprofessorin an der Universität
Helsinki: Dazu bedürfe es vermutlich umfassender Strukturveränderungen.
Jussi Erhohnen, eine von drei JournalistInnen, die im Zusammenhang mit der
im Fall Sipilä ausgeübten Zensur bei Yle gekündigt hatten, hofft aber,
„dass nun die Pressefreiheit wieder schwerer wiegen wird als der Schutz von
Politikern vor als zu kritisch empfundener Kontrolle“.
Jedenfalls hat Ylegate erst einmal dazu geführt, dass Finnland im April
seinen langjährigen Spitzenplatz auf dem von „Reporter ohne Grenzen“ (RoG)
erstellten jährlichen „Pressefreiheitsindex“ verloren hat. Was laut
RoG–Generalsekretär Christophe Deloire das „wichtigste Einzelergebnis“ a…
der diesjährigen Rangliste war. Verwunderlich sei das nicht, sagt Ilkka
Nousiainen, Vorsitzender der finnischen RoG-Abteilung: Zu Recht würden
Eingriffe in die Arbeit einzelner Journalisten in Finnland und
international als Einschränkung der Pressefreiheit bewertet.
Wie man in Finnland damit umgegangen sei, beweise allerdings auch, dass die
Meinungsäußerungsfreiheit funktioniere: „Aber sie muss täglich neu erkämp…
werden.“ Helsingin Sanomat hat in diesem Zusammenhang einen konkreten
Vorschlag: „Spendiert allen Politikern einen Grundkurs zum Thema
Pressefreiheit.“
1 Jun 2017
## LINKS
[1] /Versuchte-TV-Zensur-in-Finnland/!5364636
## AUTOREN
Reinhard Wolff
## TAGS
Finnland
Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk
Medien
Wahre Finnen
Zensur
Feinde der Pressefreiheit
Recep Tayyip Erdoğan
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