# taz.de -- Debatte Digitalisierung der Städte: Der Hype um die Smart City | |
> Städte werden zunehmend digitalisiert, um sie lebenswerter zu machen. | |
> Deutschland verfolgt den Trend kritisch – aus guten Gründen. | |
Bild: In Dubai plant man, das Wohlergehen der Bürger anhand ihrer Gesichtszüg… | |
Zunehmend wird unter dem Schlagwort „Smart City“ vom enormen Potenzial für | |
unsere Städte geschwärmt. Immer häufiger wird auch davor gewarnt, dass die | |
Deutschen aufgrund ihrer Datenschutzangst die Chancen dieser Entwicklung | |
verschlafen. Die pauschale Forderung nach mehr Datensammlung und weniger | |
Datenschutz im öffentlichen Raum hilft aber nicht weiter, unsere Städte | |
mithilfe von Technologie lebenswerter zu machen. Denn oft profitieren von | |
vernetzten Städten eher große Unternehmen als die Bürger. | |
Grundsätzlich gibt es eine Menge Möglichkeiten, mit Daten das Leben von | |
Menschen in der Stadt zu vereinfachen. Dies geschieht bereits. Insbesondere | |
im urbanen Raum können Daten für eine bessere Verkehrsführung sorgen und so | |
die Verbreitung des öffentlichen Nahverkehrs fördern. Sie können die | |
Energieversorgung optimieren. | |
Daten können genutzt werden, um Städte besser zu planen. Wo gute Daten | |
vorliegen, lässt sich leichter sagen, wo man den nächsten Biosupermarkt | |
oder eine Kita braucht. Und gewiss, mit Daten kann das ganz alltägliche | |
Chaos pulsierender Städte bekämpft werden. Wie in Barcelona, wo | |
intelligente Mülleimer sich melden, wenn sie voll sind. | |
## Von IT-Unternehmen propagiert | |
Das Problem mit der Datennutzung ist aber, dass oft nicht die Bürger, | |
sondern die großen IT-Konzerne selbst vorgeben, was eine Stadt an | |
Technologie benötigt. Der Autor Anthony M. Townsend hat in seinem Buch | |
„Smart Cities: Big Data, Civic Hackers, and the Quest for a New Utopia“ | |
anschaulich dargelegt, wann der Trend der Smart City losgetreten wurde. | |
In 2008 brachen im Zuge der Wirtschaftskrise den großen | |
Software-Herstellern die Kunden weg. Denn die Privatwirtschaft hatte andere | |
Nöte als die Einführung neuer Prozessoptimierungssysteme. So wandten sich | |
Oracle, IBM und Co. an die Bürgermeister dieser Welt. In Public Private | |
Partnerships eroberten sie die Stadtverwaltungen – mit Vorliebe in den | |
Megacities in Lateinamerika, Asien und Afrika – um dort ihre Systeme für | |
die Optimierung von Städten einzusetzen. | |
Barcelona ist eine dieser Städte. Doch erst kürzlich ruderte die | |
Stadtregierung bei der flächendeckenden Vernetzung zurück. Zu lange, so die | |
Aussage der Zuständigen, hätten sie sich von den großen Konzernen die | |
Richtung ihrer Stadtentwicklung diktieren lassen. Die Bürger hätten von den | |
technologischen Neuerungen nur bedingt profitiert, die erhoffte Nähe | |
zwischen Bürger und Regierung hätte man nicht erreicht. Das ist also die | |
erste wichtige Erkenntnis aus dem Ausland: Städte können nicht wie | |
Unternehmen optimiert werden. Sie sind zu komplex. Und all die Daten helfen | |
wenig, wenn sie nur von einigen wenigen genutzt werden und der Mehrwert für | |
den Bürger nicht erkennbar ist. Oft ist es eben gar nicht die große | |
allumfassende technische Neuerung, die den Bürger beglückt, sondern die App | |
der Stadt, über die er oder sie Feedback direkt an die Zuständigen geben | |
kann und sich so Gehör verschafft. | |
Das Problem bei Smart Cities ist aber nicht nur, dass den Städten etwas | |
verkauft wird, was die Bürger nicht brauchen. Es werden auch Unmengen | |
persönlicher Daten und Bewegungsprofile der Bevölkerung gesammelt. Der | |
Widerstand der Datenschützer ist hier durchaus nachzuvollziehen. Er richtet | |
sich nicht gegen die Veröffentlichung von Busplänen, Wetterdaten, | |
Straßendaten, Daten über öffentliche Gebäude oder Haushaltspläne. Diese | |
sollten unbedingt von Städten genutzt und frei zur Verfügung gestellt | |
werden. Kritisiert wird die Sammlung und Nutzung der Bürgerdaten. | |
Die Forderung nach mehr Privatsphäre in der vernetzten Stadt ist keine | |
Angstreaktion, sondern eine Entscheidung gegen mögliche Entwicklungen, die | |
in anderen Ländern bereits heute Realität sind. In Singapur ist man im | |
Begriff, ein umfangreiches System einzuführen, das erlaubt, anhand der | |
Bewegungsprofile und Social Media zu beobachten, wie Bürger auf | |
Veränderungen in der Stadt reagieren. In Dubai plant man, das Wohlergehen | |
der Bürger anhand ihrer Gesichtszüge über Facial Recognition zu ermitteln. | |
## Selbstbestimmung verteidigen | |
Für Deutschland mag dies vielleicht wie weit hergeholte Schreckensszenarien | |
klingen. Doch so weit muss man gar nicht schauen. In London werden Daten, | |
die im Rahmen von Smart-City-Projekten gesammelt werden, an Werbetreibende | |
verkauft, sodass diese dem Bürger etwa individualisierte Werbung auf dem | |
Weg zur Arbeit schalten können. Es sind die zahlreichen Zwischenhändler, | |
Data Broker, die mit Freude auf Daten aus öffentlichen WLANs oder anderen | |
Quellen warten, um diese zu verknüpfen und an Werbetreibende und andere | |
Akteure zu verkaufen. | |
Dafür zu plädieren, dass die Bürger breitflächig ihre Daten in der | |
vernetzten Stadt teilen sollen, nur weil dies in anderen Ländern geschieht, | |
ist ein Fehler. Vieles ist heute mit Daten möglich, ebenso wie vieles im | |
Bio-Engineering-Bereich möglich ist. Dennoch haben wir uns darauf geeinigt, | |
nicht alles zuzulassen. Wir sollten Ideen entwickeln, wie der Schutz der | |
Privatsphäre Teil der zukünftig vernetzten Stadt werden kann. Denn das | |
Recht auf Privatsphäre und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung | |
sind über Jahrzehnte ausgehandelte Grundwerte, die in Deutschland nach wie | |
vor wichtig sind. | |
Deutschland tut gut daran, den globalen Smart-City-Trend kritisch zu | |
hinterfragen. Denn die Idee der vernetzten Stadt entstammt zu einem großen | |
Teil dem, was große Tech-Unternehmen in Lateinamerika oder Asien entwickelt | |
haben. In diesen Regionen mit enormer Urbanisierung und wenig Regulierung | |
entwarfen sie Produkte, die sie nun bei uns vermarkten. Wenn wir nicht bald | |
im Sinne europäischer regulativer Leitplanken eigene technische Standards | |
setzen, bleibt uns fast nichts anderes übrig, als die dort entwickelten | |
Technologien zu nutzen. Dabei geht es nicht um Protektionismus, sondern um | |
den Versuch der Mitgestaltung unserer digitalen Welt auf Basis der Werte, | |
die wir in Europa in den letzten 60 Jahren als Gesellschaft ausgehandelt | |
haben. | |
Diese Werte gilt es zu verteidigen, um den Bürger zurück in den Mittelpunkt | |
unserer Städte zu rücken. | |
4 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Julia Manske | |
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