# taz.de -- Kommentar Treffen der EU mit Erdoğan: Türkei bleibt Hängepartie | |
> Präsident Erdoğan hat sein Präsidialsystem durchgesetzt. Nun muss sich | |
> die EU auf die neue Situation einstellen. Erst einmal gilt es Zeit zu | |
> gewinnen. | |
Bild: Wenigstens atmosphärisch Entspannung: Juncker, Erdogan und Tusk (v.l.n.r… | |
Es soll also wieder geredet werden. Die EU-Spitzenpolitiker Jean-Claude | |
Junker und Donald Tusk wollen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip | |
Erdoğan dafür sorgen, dass in Zukunft das Verhältnis der Union zur Türkei | |
wieder konstruktiver wird. | |
Der deutliche Wille der EU-Spitze, die Spannungen der letzten Monate | |
wenigstens atmosphärisch zu überwinden, haben offenbar dazu geführt, dass | |
Erdoğan sich keine weiteren Vorwürfe wegen seiner Repressionspolitik | |
anhören musste. Es soll nun wieder „buisness as usual“ herrschen. | |
Materielle Entscheidungen gab es nicht. Weder wurde Erdoğan die Eröffnung | |
neuer Kapitel im Beitrittsprozess zugesagt noch konnten Tusk und Junker | |
Versprechungen zur Aufhebung des Visazwangs machen. Doch man will wieder | |
über alles reden. | |
Erdoğan hat sich mit der Einführung eines Präsidialsystems, das ihm die | |
alleinige Entscheidungsgewalt in fast allen politischen und | |
gesellschaftlichen Fragen verschafft, durchgesetzt. Nun muss sich die EU | |
auf die neue Situation einstellen. Erst einmal gilt es Zeit zu gewinnen. | |
Deutschland wählt im September, und als wichtigster Partner für die Türkei | |
will Kanzlerin Merkel keinen Bruch mit Erdoğan, gleichzeitig aber keine | |
Zugeständnisse machen, die beim Wähler schlecht ankommen könnten. | |
Allein Erdoğan könnte für eine Entscheidung sorgen, indem er die | |
Todesstrafe tatsächlich zu Hause einführt oder von sich aus die | |
Beitrittsgespräche abbricht. Doch diese Drohungen in Richtung EU vor der | |
Abstimmung zum Präsidialsystem haben ihren innenpolitischen Zweck erfüllt | |
und sind jetzt nicht mehr so aktuell. Die türkische Wirtschaft ist auf den | |
EU-Markt angewiesen, und so ist Erdoğan jetzt mehr an einer Ausweitung der | |
Zollunion als an der Einführung der Todesstrafe interessiert. | |
Das reicht, um die Gespräche weiter am Leben zu halten. Um für die | |
unterdrückte Opposition in der Türkei wirklich etwas zu erreichen, müsste | |
Brüssel allerdings wesentlich energischer auftreten. | |
25 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
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