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# taz.de -- Gedenken an Polizeiopfer in Hannover: Ein Platz für einen Toten
> Zwei Jahrzehnte nach tödlichen Polizeischüssen soll ein Platz nach dem
> 16-jährigen Opfer benannt werden. Der Oberbürgermeister will das stoppen.
Bild: Nicht vergessen: Im Jahr 1995 demonstrierten in Hannover 5.000 Kurden.
Hannover taz | Fast 23 Jahre ist es her, dass ein Polizist in Hannover den
16-jährige Halim Dener erschossen hat. Die Kugel des Zivilpolizisten traf
ihn nach einer Rangelei in den Rücken. Dener starb an inneren Blutungen. Er
hatte am Steintor Plakate für die Nationale Befreiungsfront Kurdistans
geklebt, einer Untergruppe der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK.
Trotz seiner Nähe zu der Organisation soll nun ein Platz in der Stadt nach
Dener benannt werden. Das hat eine [1][Mehrheit im Bezirksrat Linden-Limmer
beschlossen]. Doch der Oberbürgermeister von Hannover, Stefan Schostok
(SPD), versucht, die Benennung zu verhindern.
Der Oberbürgermeister kritisiert den Beschluss als „politisch falsch“ und
befürchtet, dass sich durch die Benennung des bisher namenlosen Platzes an
der Velvetstraße „der Konflikt zwischen den türkischen Bevölkerungsgruppen
in Hannover verschärft“.
Nach einer rechtlichen Prüfung durch die Stadtverwaltung steht das Thema
heute auf der Tagesordnung des nicht-öffentlichen Verwaltungsausschusses im
Stadtrat. Es sei zu befürchten, dass der Platz zu einem „Anziehungspunkt
für gewaltsame Auseinandersetzungen“ werde, heißt es in dem Antrag.
Schostok will, dass auf dieser Ebene noch einmal über die Benennung
abgestimmt wird. Denn im Verwaltungsausschuss sind die
Mehrheitsverhältnisse anders als im Bezirk. Während in Linden-Limmer Grüne,
Linke, Piraten und Die Partei die Benennung durchsetzen konnten, haben SPD
und CDU hier mehr Gewicht – beide wollen keinen Halim-Dener-Platz.
Dass sich Schostok überhaupt einmischt, ist ungewöhnlich. Denn nach der
Hauptsatzung der Landeshauptstadt Hannover ist es allein Sache der
Bezirksräte, Namen für Straßen und Plätze auszusuchen, auch wenn sie dabei
„die Belange der ganzen Stadt“ berücksichtigen müssen.
Bezirksbürgermeister Rainer-Jörg Grube (parteilos) droht deshalb damit, in
die „rechtliche Auseinandersetzung“ zu gehen, sollten „Rechte des
Bezirksrats eingeschränkt werden“. Solche Beschlüsse könnten dem
Oberbürgermeister missfallen, aber ändern dürfe er sie deshalb nicht. „Das
geschieht allenfalls in autokratischen Gesellschaften“, sagt Grube, der
sich bei der Abstimmung enthalten hat.
„Damit zeigen die Sozialdemokraten ein sehr fragwürdiges
Demokratieverständnis“, kritisiert auch David Müller, Fraktionsvorsitzender
der Linken in Linden. Seine Fraktion unterstützt den Antrag als Zeichen für
die „Anerkennung migrantischer Geschichte in Hannover“.
Was genau in der Nacht vom 30. Juni 1994 am Steintorplatz passiert ist,
wurde nie ganz aufgeklärt. Der Polizist gab an, versehentlich auf Dener,
der als Geflüchteter unter falschem Namen in Deutschland lebte, geschossen
zu haben, weil sich ein Schuss aus seiner Waffe gelöst habe, als er diese
vom Boden aufgehoben habe. Er wurde vom Landgericht Hannover
freigesprochen.
Die [2][Kampagne Halim Dener] fordert ein öffentliches Erinnern an diese
Nacht und verlegte schon selbst zwei Gedenksteine am Steintor. Diese wurde
von der Stadt allerdings wieder entfernt. „Wir kämpfen seit drei Jahren um
ein ehrenvolles Gedenken“, sagt Dirk Wittenberg von der Kampagne, die sich
zum 20. Todestag Deners gegründet hat. Doch obwohl sie sogar in die
Sprechstunde des Oberbürgermeisters gegangen seien, habe sich die Politik
nicht gerührt. „Die Stadt will das Thema totschweigen“, sagt Wittenberg.
Für Ludwig List von der Linken ist es Zeit, mit der Benennung des Platzes
auf das Schicksal Deners hinzuweisen. Konflikte zwischen Türken und Kurden
schüre ein solcher Platz nicht. „Wir würden das genauso für einen
türkischen Menschen unterstützen, wenn so etwas passiert wäre“, sagt List.
Es gehe darum, dass hier ein 16-Jähriger von der Polizei erschossen worden
sei, und nicht um seine Herkunft.
Doch dieses Argument mag Cinar Aydin vom Atatürk-Verein in Hannover nicht
glauben. Wenn der Jugendliche IS-Plakate verklebt hätte, würde die Politik
keinen Platz nach ihm benennen, glaubt Aydin. Schon jetzt gebe es in der
Stadt häufig Demonstrationen von Türken und Kurden. „So ein Platz würde die
Konflikte zusätzlich befeuern“, sagt er. „Das Zusammenleben würde
verschlechtert.“
Das glaubt auch die CDU. Die Fraktion hatte versucht, einen
Halim-Dener-Platz zu verhindern und wollte stattdessen den dafür
vorgesehenen Ort in Ehepaar-Rüdenberg-Platz umzubenennen, um an die
jüdischen NS-Opfer Margarethe und Max Rüdenberg zu erinnern, die im
Konzentrationslager Theresienstadt ermordet wurden.
Eine Benennung nach Dener „geht überhaupt nicht“, sagt CDU-Bezirksrätin
Gabriele Steingrube. „Es kann nicht sein, dass jemand geehrt wird, der für
eine terroristische Vereinigung Plakate geklebt hat.“ Es sei traurig, dass
ein Jugendlicher ums Leben gekommen sei, aber er habe eine Straftat
begangen und sich der Festnahme widersetzt. „Und für den Polizisten, dem
das passiert ist, ist das auch schrecklich.“ Schließlich habe er Dener
nicht erschießen wollen, sagt Steingrube.
Lesen Sie auch: [3][Kommentar über den Halim-Dener-Platz – Zeit für einen
fetten Stein]
Seit 1990 wurden mindestens 269 Menschen von Polizisten erschossen. [4][Ein
Dossier zum Thema finden Sie unter taz.de/polizeitote]
16 May 2017
## LINKS
[1] https://e-government.hannover-stadt.de/lhhsimwebre.nsf/DS/15-0980-2017
[2] http://halimdener.blogsport.eu/
[3] /Kommentar-ueber-den-Halim-Dener-Platz/!5410264/
[4] /polizeitote
## AUTOREN
Andrea Scharpen
## TAGS
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Gedenken
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