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# taz.de -- Tod in Hannover: Eine Tafel, ein Platz, ein Stein
> Vor 25 Jahren starb Halim Dener, als ihn die Kugel eines Polizeibeamten
> traf. Noch immer gibt es keinen Gedenkort für den jungen Kurden.
Bild: Trauermarsch für den Kurden Halim Dener, 1994
Hannover taz | Es ist ein unscheinbarer Platz in Linden-Limmer, einem
linksalternativen Stadtteil von Hannover: ein bisschen Wiese, ein bisschen
Schotter, Tischtennisplatten, Bänke. Hier treffen sich junge Leute und
Nachbarn auf ein Bier, Eltern mit anderen Eltern und ihren Kindern. Um sich
dort zu verabreden, sagen manche: „Bis später auf dem Platz.“ Denn das
kleine Karree ist namenlos. Ginge es nach den Grünen, würde der Ort längst
einen Namen tragen: Halim-Dener-Platz.
Aber der Antrag, den die Grünen gemeinsam mit der Linkspartei, den Piraten
und der Partei vor zwei Jahren in den Bezirksrat von Linden-Limmer
eingebracht hatten, wurde abgelehnt. Stattdessen schwelt in der
niedersächsischen Landeshauptstadt seit Jahren ein Streit um die
Namenshoheit des Platzes, die Anerkennung Halim Deners als Opfer deutscher
Polizeigewalt und das Gedenken an den kurdischen Jugendlichen, der am 30.
Juni 1994 in Hannover erschossen wurde.
Jetzt, zum 25. Todestag, bekommt der lokale Aufreger eine bundesweite
Dimension. Am 6. Juli soll es republikweit Gedenkdemos für Halim Dener
geben, wenige Tage nachdem am 30. Juni in Hannover eine Großkundgebung
stattfinden soll. Beides wird vom Bündnis „Kampagne Halim Dener“ in
Hannover organisiert, die sich seit Jahren um einen Gedenkort für den
jungen Kurden bemüht. Dener war vor dem türkischen Militär, das später sein
Heimatdorf abbrennen sollte, geflohen. 1994 hatte er in Deutschland Asyl
beantragt – unter falschem Namen. Er begründete das mit der Gefahr, der
seine Familie ausgesetzt war.
Rückblick: 30. Juni 1994 am Steintorplatz im Zentrum Hannovers. Halim Dener
und ein paar andere junge Kurden kleben Plakate für die verbotene kurdische
Arbeiterpartei PKK. Die Polizei überrascht und verfolgt sie, als sie
wegrennen. Etwa zwanzig Minuten vor Mitternacht fällt ein Schuss, er trifft
den 15-jährigen Dener direkt in den Rücken. Blutend taumelt er noch viele
Meter weiter, bis er zusammenbricht und stirbt. Der SEK-Beamte, der
geschossen hat, wird später aussagen, es sei ein Unfall gewesen. Der Schuss
habe sich im Handgemenge gelöst, als er die aus dem Holster gerutschte
Waffe vom Boden aufheben und zurückstecken wollte. Der Mann wird
freigesprochen. Bis heute ist der Fall nicht eindeutig geklärt.
Der Vorfall löste bundesweite Proteste aus: Ein deutscher Polizist
erschießt einen ausländischen Jugendlichen, wie kann das sein? Ist das eine
besonders perfide Form von Polizeigewalt? In den folgenden Wochen wurden
Polizeiwachen angegriffen, Beamte mussten sich als „Kindermörder“
beschimpfen lassen, auf Demos wurde der Vorfall schon mal mit dem Holocaust
verglichen. In Hannover gründete sich die „Kampagne Halim Dener“, die
seitdem unermüdlich ist: Sie organisiert Demos, Gedenktage, an einem
alternativen Jugendzentrum prangt ein Bild des jungen Kurden, der von
manchen zum Märtyrer gemacht wird.
Das wiederum rief und ruft die türkische Community auf den Plan. Sie will
keinen Gedenkort für einen Kurden. Unter nationalistisch-konservativen
Türken gelten Kurden als Terroristen. Und Dener sei schließlich einer ihrer
Sympathisanten gewesen. Oder wie sonst soll man jemanden bezeichnen, der
nachts heimlich PKK-Plakate klebt?
Jedes Jahr Ende Juni kochte die Diskussion in Hannover und in anderen Orten
Niedersachsens hoch. Im Zentrum immer die Frage: Wann gibt es einen
Gedenkstein, eine Gedenkplatte? Stefan Schostok, jahrelang
Oberbürgermeister der Stadt, hätte für ein Gedenken sorgen können. Aber er
hat das stets abgelehnt mit der Begründung, dass die Stadt zu Neutralität
verpflichtet sei. Zudem wolle er keinen Streit zwischen Kurden und Türken.
Aber jetzt ist Schostok nicht mehr im Amt, der SPD-Mann trat vor Kurzem
wegen einer Finanzaffäre zurück. Eine gute Gelegenheit also für das
Bündnis, erneut einen Gedenkort und einen Halim-Dener-Platz zu fordern.
Doch nun sind die Aktivist*innen müde. Sie wollen nicht mehr. Die
diesjährigen Aktionen werden die letzten sein, die das Bündnis
organisiert. „Als Kampagne rufen wir zum 25. Todestag ein letztes Mal dazu
auf, zusammen auf die Straße zu gehen, massenhaft, kraftvoll und laut“,
heißt es auf der Homepage des Bündnisses. Dirk Wittenberg, Sprecher des
Bündnisses und Mitarbeiter in einem alternativen Jugendzentrum in
Hannover, sagt: „Wir rennen uns tot gegen die Entscheider. Wir setzen keine
Hoffnung mehr in die Stadt, dass sie irgendwo einen Gedenkort für Dener
errichtet.“
## Architekturwettbewerb läuft
Will Hannover wirklich kein Denkmal für einen jungen Kurden, der um sein
Leben gekommen ist?
Steffen Mallast vom Bezirksrat der Grünen Linden-Limmer findet Schostoks
Begründung noch heute „an den Haaren herbeigezogen“. Mallast sagt: „Tür…
und Kurden leben in der Stadt friedlich nebeneinander.“ Allein in der
Goethestraße in der Nähe des Ortes, an dem Dener erschossen wurde, reihen
sich kurdische, türkische und arabische Geschäfte aneinander: Bäckereien,
Restaurants, Barbiere, Gold- und Gemüseläden. Es ist ein friedliches
Nebeneinander, frei von Aggressionen, Angriffen, Anfeindungen.
Wittenberg von der „Kampagne Halin Dener“ vermutet hinter der Ablehnung der
Verwaltung einen politischen Konservatismus der Stadt. „Es geht doch
vielmehr darum, sich nicht mit nationalistisch-reaktionären Kräften
anzulegen.“ Also mit Türk*innen in Deutschland, die den türkischen
Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und seine repressive Politik in der Türkei
unterstützen. Sie haben maßgeblich zum Sieg Erdoğans bei der türkischen
Präsidentschafts- und Parlamentswahl vor einem Jahr beigetragen: Zwei
Drittel der Wähler*innen in Deutschland stimmten für den Diktator.
Würde sich die „Causa Halim Dener“ mit einem grünen Oberbürgermeister um
180 Grad drehen? Im Herbst wird das Stadtoberhaupt infolge von Schostoks
Rücktritt neu gewählt. Für die Grünen geht Belit Onay ins Rennen,
innenpolitischer Sprecher seiner Fraktion im Niedersächsischen Landtag, in
Goslar geboren, türkischstämmig. „Es handelt sich um den tragischen Tod
eines Jugendlichen“, sagt Onay: „Das steht für mich im Zentrum. Im Dialog
mit der Familie und der Stadtgesellschaft muss ein gemeinsamer Weg für ein
würdevolles Gedenken gefunden werden.“ Ein eindeutiges Bekenntnis zu einem
Gedenkort ist das nicht.
Eigentlich hätte die Stadt derzeit auf unkomplizierte Weise die Chance,
einen Halim-Dener-Gedenkort auszuweisen. Der Steintorplatz, auf dem Dener
erschossen wurde, soll umgestaltet werden, gerade läuft der
Architekturwettbewerb. Warum nicht einen Stein, ein Denkmal, eine Platte in
die neue Platzgestaltung einbeziehen? Aber die Stadt bleibt hart: „Im
Zusammenhang mit der Diskussion um eine Platzbenennung in Linden nach Halim
Dener hat die Stadt dargelegt, dass sie dem Neutralitätsgebot verpflichtet
ist“, teilte eine Sprecherin auf taz-Nachfrage mit: „Das wurde von
Kommunalaufsicht und Verwaltungsgericht Anfang vergangenen Jahres
bestätigt. Das gilt weiterhin.“
29 Jun 2019
## AUTOREN
Simone Schmollack
## TAGS
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Hannover
Kurden
PKK
Erinnerung
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