Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Polizeiopfer Halim Dener: Ein kleines bisschen Erinnerung
> Lange schon wird in Hannover um das Gedenken an den erschossenen Halim
> Dener gerungen. In einem Jahr, zum 30. Todestag, soll es eine Infotafel
> geben.
Bild: Wie jeden 30. Juni auf dem Steintorplatz in Hannover: Gedenkveranstaltung…
Hannover taz | Am Freitagabend werden sie wieder dort stehen, wie
eigentlich jedes Jahr: Kurdische und linke Aktivisten gedenken Halim
Deners. Am 30. Juni 1994 wurde der 16-Jährige [1][auf dem Steintorplatz] in
Hannover von einem SEK-Polizisten in Zivil beim Plakatieren erwischt und
erschossen.
Versehentlich, behauptete der später freigesprochene Beamte. Die Kugel, die
den Jungen aus kurzer Distanz in den Rücken traf, habe sich bei dem Versuch
gelöst, den Flüchtenden am Boden zu halten und gleichzeitig die
heruntergefallene Waffe wieder im Holster zu verstauen. Es gibt Zweifel an
dieser Darstellung, aber das Gericht folge ihr letztlich.
Halim Dener war erst wenige Wochen zuvor als unbegleiteter Minderjähriger
nach Deutschland geflüchtet – unter einem anderen Namen, um seine Familie
zu schützen. In jener Nacht klebte er Plakate für eine Unterorganisation
der gerade erst verbotenen [2][PKK].
Für Kurden ist er ein Märtyrer, für den türkischen Staat ein Terrorist, für
Linke ein Opfer rassistischer Polizeigewalt. Der Fall ist also symbolisch
aufgeladen und kaum zu verstehen, wenn man nicht die enorm aufgeheizte
gesellschaftliche Stimmung rund um das PKK-Verbot durch den damaligen
Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) berücksichtigt.
## Zehntausende kamen zur Trauerkundgebung
Zur Trauerkundgebung reisten mehrere Zehntausend Kurden aus dem gesamten
Bundesgebiet an, was dazu führte, dass sich viele Medien mehr mit der Angst
vor diesem gewaltigen Aufmarsch befassten als mit der Frage, warum der
16-Jährige sterben musste.
Aus dieser Gemengelage erklärt sich auch [3][das jahrzehntelange Ringen] um
eine angemessene Würdigung und Aufarbeitung des Geschehens. Immer wieder
gab es Vorstöße, den Platz nach Dener zu benennen, einen Gedenkstein oder
eine Tafel aufzustellen. Sie wurden abgebügelt.
Die „Kampagne Halim Dener“, ein Zusammenschluss linker und kurdischer
Aktivisten, gegründet anlässlich des 20. Todestages 2014, konzentrierte ihr
Bemühen schließlich auf den linksalternativen Stadtteil Linden, wo man sich
größere Chancen ausrechnete. Tatsächlich gab es 2017 eine
Bezirksratsmehrheit, die für einen Halim-Dener-Platz stimmte. Sowohl Grüne
als auch Piraten hatten sich die Forderung zu eigen gemacht.
Der damalige Oberbürgermeister Stefan Schostock (SPD) intervenierte. Er
äußerte Sicherheitsbedenken, befürchtete einen anhaltenden Konflikt
zwischen der türkischen und der kurdischen Community Hannovers und
schaltete die Kommunalaufsicht ein. Der Fall landete schließlich vor dem
Verwaltungsgericht, das ihm recht gab.
## Aktivisten versuchten, den Platz umzubenennen
Immer wieder versuchten die Aktivisten den kleinen Platz in Linden
eigenmächtig umzubenennen, überklebten Straßenschilder, fertigten
Wandgemälde – jedes Mal schritten die Ordnungsbehörden ein. Auch nachdem
mit Belit Onay ein grüner Oberbürgermeister ins Hannoversche Rathaus
einzog, änderte sich daran erst einmal wenig.
Bis die grüne Fraktion im März doch noch einen Antrag einbrachte, zumindest
eine Infotafel in Auftrag zu geben, die am Steintor an die Ereignisse und
die darauffolgenden Debatten erinnern soll. „Wir müssen aufhören, so zu
tun, als ginge es hier um einen kurdisch-türkischen Konflikt“, sagt Liam
Harrold (Grüne), der den Kompromiss mit der SPD ausgehandelt hat. „Das ist
ein wesentlicher Teil unserer Stadtgeschichte, den man auch abbilden muss.“
Beauftragt wurde damit das [4][Zeit Zentrum Zivilcourage] (ZZZ), das sich
bisher vor allem mit dem NS-Erbe Hannovers befasst, sich aber auch
zunehmend anderen Themenfeldern und Epochen zuwendet, zum Beispiel der
kolonialen Vergangenheit.
Auf das Team kommt nun die anspruchsvolle Aufgabe zu, einen Text zu
formulieren, mit dem alle Seiten leben können. Dazu sollen sie sich
ausdrücklich mit der Polizeidirektion Hannover und Vertretern der
kurdischen Community verständigen – auch wenn da schon die Schilderung der
Ereignisse jener Nacht auseinanderklafft.
## Verschiedene Perspektiven
„Wir müssen beide Perspektiven einbeziehen, auch wenn sie nicht
übereinstimmen“, sagt ZZZ-Direktor Jens Binner. Letztlich ginge es eben
auch darum, die Konfliktlinien und die gesellschaftlichen Debatten, die
daraus in den vergangenen Jahrzehnten entstanden sind, zu reflektieren.
Gleichzeitig arbeitet das Zentrum schon seit Längerem an einer eigenen
Dokumentation des Falls und seiner Folgen – auf die dann ein QR-Code auf
der Tafel mit einem Link zur Homepage verweisen könnte.
Der Zeitrahmen ist allerdings sportlich, selbst der genaue Standort der
Tafel muss erst noch verhandelt werden. Weil der gesamte Platz umgestaltet
wird, reden viele Akteure mit.
Dirk Wittenberg von der „Kampagne Halim Dener“ ist deshalb skeptisch: „Die
Beharrungskräfte, die da im Hintergrund wirken und ein Gedenken in den
letzten 29 Jahren verhindert haben, sind immer noch stark.“ Er glaubt, dass
die Dauerbaustelle Steintor am Ende eine willkommene Ausrede bietet, um
auch diesen Vorstoß wieder versanden zu lassen.
30 Jun 2023
## LINKS
[1] /Tod-in-Hannover/!5603420
[2] /!s=pkk&ExportStatus=Intern&SuchRahmen=Alle/
[3] /Polizeiopfer-in-Hannover/!5690250
[4] https://www.hannover.de/Kultur-Freizeit/Architektur-Geschichte/Erinnerungsk…
## AUTOREN
Nadine Conti
## TAGS
Kurden
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Hannover
Anti-Atom-Bewegung
Schauspiel Hannover
Migrantifa
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Gedenken an Anti-Atom-Aktivist: Auffällig unauffällig
An Hartmut Gründler, der sich 1977 in Hamburg verbrannte, erinnert eine
unscheinbare Tafel an St. Petri. Ist das wirklich besser als nichts?
Theaterstück über den Tod von Halim Dener: Gegen das Verblassen
1994 erschoss ein Polizist in Hannover den Kurden Halim Dener und blieb
unbehelligt. Jetzt kommt der Fall auf die Bühne des dortigen
Schauspielhauses.
Migrantifa über Rassismus: „Wir vertrauen der Polizei nicht“
Bündnisse von rassismusbetroffenen Menschen protestieren gegen staatliche
Gewalt. Auch in Berlin fordern sie, der Polizei nun Gelder zu entziehen.
Tod in Hannover: Eine Tafel, ein Platz, ein Stein
Vor 25 Jahren starb Halim Dener, als ihn die Kugel eines Polizeibeamten
traf. Noch immer gibt es keinen Gedenkort für den jungen Kurden.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.