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# taz.de -- Streit in Neukölln: Hostel fuchst Nachbarn
> In der Weserstraße streiten sich Inhaber und Anwohner wegen eines
> Hostels. Letztere fürchten die „Touristifizierung“ ihres Kiezes. Eine
> Genehmigung des Bezirks hat der Betrieb nicht.
Bild: Kiezkämpfe in Berlin
Die Bar in der Weserstraße 207 sieht aus, wie Bars in der Weserstraße nun
mal aussehen: die Wände von Tapeten befreit, Möbel vom Flohmarkt, in
schummeriger Atmosphäre bumst leichter Elektro. Hinter der Theke stehen
zwei junge Männer. Einer blond, graues Sweatshirt, Mate-Flasche in der
Hand, der andere braunhaarig mit Cappy. Alles normal für die Ausgehmeile in
Nord-Neukölln. Wäre die Bar nicht Teil eines Hostels. Ein Hostel, das rein
rechtlich gar nicht existieren dürfte – und das nicht nur deshalb für viel
Unmut im Kiez sorgt.
Die Männer am Tresen, das sind Hagen Wittenborn und Martin Hussain. Sie
sind vor einigen Monaten aus Düsseldorf nach Berlin gezogen. Als Ende 2016
die Räume im Erdgeschoss des Altbaus frei wurden, griffen die beiden zu.
Sie bauten das Industrieloft im Hinterhof um, dann beauftragten sie einen
Tischler, Stockbetten zu fertigen. Im April eröffnete das Fantastic Foxhole
Hostel. 33 Schlafplätze hat die Herberge, die sich auf ihrer Internetseite
in sepia-gefilterten Bildern präsentiert.
## Für die Anwohner eine Provokation
Für die Mitglieder der Nachbarschaftsinitiative Weserstraße ist das Hostel
eine Provokation. Das Bündnis aus Anwohnern gründete sich vor einigen
Jahren wegen der Lärmbelästigung durch die Vorgänger-Bar Fuchs und Elster.
Die zog Ende 2016 aus.
Nun haben die Nachbarn eine neue Aufgabe gefunden, gegen das Hostel, gegen
Verdrängung, gegen Touristifizierung „auf Kosten unserer Lebensqualität“,
wie ihre Sprecherin Katharina Wolff sagt. Sie befürchtet eine Entwicklung
wie in der Simon-Dach-Straße.
## „Selbst zugezogen“
Wittenborn und Hussain haben dafür kein Verständnis. „Die reden von
Gentrifizierung, aber wenn du auf deren Facebook-Profile schaust, siehst du
auch, dass die vor zwei Jahren aus Wien oder Zürich oder aus sonst woher in
den Kiez gezogen sind.“ Seit vergangener Woche zieren grüne Farbspritzer
die Fassade .„Hauptsache anti“, beklagt sich Wittenborn, der den Protest
gegen sein Hostel nicht einzuordnen weiß.
Mittlerweile ist auch die Politik aufgeschreckt. Seit einem Besuch der
Bauaufsicht Anfang April darf das Hostel eigentlich nicht mehr betrieben
werden, weil eine Genehmigung fehlt. Das Fantastic Foxhole empfängt
trotzdem weiter Gäste. Vermieter und Anwalt hätten dazu geraten, so
Wittenborn, der es für gängige Praxis hält, auf eine Genehmigung zu warten
und den Betrieb weiter aufrechtzuerhalten. „Alles andere ist für uns
existenzgefährdend.“
Bei der Genehmigung geht es um einen Antrag auf Nutzungsänderung. Eine
Formalie, meint der 34-Jährige, weil das Fabrikhaus als Gewerbefläche
deklariert sei. Die Nutzungsänderung habe er vor Wochen beantragt.
## Buß- und Zwangsgeld droht
Mehrmals habe man die Betreiber darauf hingewiesen, dass die Genehmigung
fehle, sagt Neuköllns Baustadtrat Jochen Biedermann (Grüne). Ihm liege
bisher jedoch kein Antrag vor. Jetzt sei man dazu übergegangen, neben einem
Buß- auch ein Zwangsgeldverfahren zu verhängen. Schließen ließe sich das
Hostel aber nicht ohne Weiteres, weil man Wittenborn nicht den Zugang zu
seinen angemieteten Flächen verbieten könne.
„Ob bei einer formal richtigen Vorgehensweise eine Genehmigung erteilt
wird, müssen wir abwarten“, sagt Biedermann. Geprüft werden müsse, ob ein
Hostel im Wohngebiet zulässig ist oder sich daraus eine Störung für die
Nachbarschaft ergibt.
Der Hausbesitzer Alexander Skora versteht nicht, wie man das Hostel im
Hinterhof als Belastung empfinden kann. Die Reaktionen der Nachbarn seien
rabiat. „Es werden Gäste und Betreiber beleidigt, Menschen spucken vom
Balkon. Die rotten sich da alle zusammen, und ich muss sehen, dass da
wieder Ruhe ins Haus kommt“, so Skora..
## Hausbesitzer droht mit Kündigungen
Fünf Mietparteien hat er nun mit der fristlosen Kündigung gedroht. Damit
wollte er nach eigenen Worten einen Warnschuss abgeben. Die
Nachbarschaftsinitiative sieht das „als ganz krasse Repressalie“ und meint:
„Hier wird kritische Mieterschaft mundtot gemacht.“
Skora betreibt selbst zwei Hostels in Charlottenburg. Mit einer
Pressemitteilung unter dem Titel „Behördenwahnsinn“ wollte der Vermieter
„die Behörden dazu bringen, einen Gang zurückzuschalten“, erzählt
Wittenborn. Das von einer PR-Agentur verfasste Schreiben vom 19. April
wertet vor allem Wittenborns Karriere als Einkäufer für eine große
Modekette und die wirtschaftliche Bedeutsamkeit von „mutigen Investoren“
für den Bezirk als Argumente für das Hostel. Dem Bezirk wird vorgeworfen,
dem neuen Betreiber die „Flügel zu stutzen“ und mutwillig Geflüchtete auf
die Straße zu setzen. Wittenborn rudert auf Nachfrage zurück: „Das war
nicht mit uns abgesprochen.“ Geflüchtete seien zwar für einige Tage bei
ihnen untergekommen, allerdings als reguläre Gäste.
Die Nachbarschaftsinitiative setzt ihre Hoffnungen nun auf den Bezirk, der
dem Hostel die Genehmigung verweigern soll. Andernfalls befürchten Wolff
und ihre Mitstreiter einen Dammbruch, der den Kiez endgültig gewerblichen
Interessen und der Touristifizierung unterwerfe. Das Hostel sei von seiner
Geschäftsstruktur absolut auf Partytourismus aus, so Wolff. Dafür spreche
der Hinweis auf einer Buchungsplattform: „Für Familien und Kinder nicht
geeignet.“
10 May 2017
## AUTOREN
Anne Pollmann
Erik Peter
## TAGS
Gentrifizierung
Hostel
Tourismus
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