# taz.de -- Tourismus in Berlin: Geheimtipp für alle | |
> Plötzlich steht der eigene Laden im Reiseführer und wird von den | |
> Billigfliegern überrannt. Was tun? Gibt es ein Leben nach dem „Lonely | |
> Planet“? | |
Bild: Es gibt viel zu tun: Nicht nur Reichstag und Co. sind für Touristen an B… | |
Fernsehturm, Brandenburger Tor, Reichstag – das Tagesprogramm eines | |
Kurzbesuchs in Berlin steht so oder ähnlich für viele TouristInnen fest. | |
Diese Sehenswürdigkeiten sind aber nicht das Einzige, wofür die Stadt | |
bekannt ist. Der jüngeren Besuchergeneration schweben andere Ziele vor: | |
ausufernde Partys, Kneipen mit abblätternden Wänden, urbane Hangouts. Auch | |
die Reiseführer beschwören den Mythos von der Stadt der Künstler und | |
Lebenskünstler – und sie vermitteln gerne den Eindruck, es handele sich bei | |
ihren Empfehlungen um Geheimtipps. Obwohl das durch eine Erwähnung bei | |
„Lonely Planet“ und Co praktisch ausgeschlossen ist. | |
Was aber passiert, wenn die BetreiberInnen der vermeintlichen Geheimtipps | |
gar keine Lust auf Gratiswerbung haben? Davon kann Robin Schellenberg ein | |
Lied singen. Der 27-Jährige ist Mitbetreiber des Fuchs & Elster in der | |
Neuköllner Weserstraße, die es dank ihrer hohen Dichte an Kneipen mit | |
abblätternden Wänden in fast jeden Reiseführer schafft. Das Fuchs & Elster | |
ist auch so eine Wohnzimmerkneipe mit intimer Atmosphäre, selbst bei den | |
Partys im Keller geht es eher familiär zu. Ging es, um genau zu sein. Bis | |
zu dem Tag, an dem das Fuchs & Elster im Bordmagazin von Easyjet | |
vorgestellt wurde, und zwar als Toptipp des europäischen Nachtlebens, noch | |
vor dem Berghain. | |
## Magazin in der Hand | |
„Gleich am Erscheinungstag kamen scharenweise Menschen mit dem Magazin in | |
der Hand“, erzählt Schellenberg. So seien die BetreiberInnen auch erst auf | |
die Erwähnung aufmerksam geworden – und baten die Redaktion, diese wieder | |
zu entfernen. Für die aktuelle Ausgabe war das nicht mehr möglich – das | |
Fuchs & Elster blieb also drei Monate lang der ultimative Nachtlebentipp. | |
Mit schwerwiegenden Folgen: „Das Publikum veränderte sich komplett, | |
plötzlich kamen die Leute mit dem Taxi und wollten mit Kreditkarte | |
bezahlen. Unsere Stammgäste haben sich nicht mehr hergetraut“, so | |
Schellenberg. Es habe auch viel mehr Beschwerden von AnwohnerInnen über | |
Lärm gegeben. | |
Dass der Laden dann auch noch auf der Website des „Lonely Planet“ empfohlen | |
wurde, trug nicht zur Entspannung der Situation bei. „Wir haben aber bei | |
der Redaktion in London angerufen und die gebeten, das runterzunehmen – die | |
waren sehr nett und haben das gleich gemacht“, erzählt Schellenberg. Seit | |
der Tipp weder dort noch bei Easyjet auftaucht, habe sich die Situation | |
wieder gebessert. | |
Schellenberg ist es wichtig klarzustellen, dass es ihm und dem Rest des | |
Fuchs-&-Elster-Teams nicht darum geht, TouristInnen oder ausländische Gäste | |
zu verdammen. „Wir verstehen uns explizit als internationaler Laden“, sagt | |
er, „viele unsere Stammgäste sind erst in den letzten Jahren nach Berlin | |
gezogen.“ Gerade in einem Trendbezirk wie Neukölln sei es aber wichtig, im | |
Kiez verankert zu sein – und das gehe nur, wenn genügend Gäste öfter als | |
einmal kommen. „Wovor wir Angst haben, ist diese Mentalität, einen Laden | |
oder Bezirk total abzufeiern, um kurze Zeit später weiterzuziehen zum | |
nächsten Trend.“ | |
Natürlich kann sich nicht jeder leisten, so wählerisch in Sachen Publikum | |
zu sein. Anfragen, im Reiseführer nicht erwähnt zu werden, seien extrem | |
selten, sagt auch Laura Lindsay von der „Lonely Planet“-Redaktion in | |
London. Würden sie doch gestellt, werde von Fall zu Fall unterschiedlich | |
entschieden – je nachdem, wie wichtig diese Empfehlung für das | |
Gesamterlebnis der Reisenden sei. | |
Ähnlich sagt es Birgit Borowski von MairDumont: „Wir sind als Redaktion | |
natürlich frei in der Entscheidung, einer solchen Anfrage zu folgen.“ Wenn | |
es sich aber nicht um eine Sehenswürdigkeit, sondern um ein Restaurant, | |
Café oder Ähnliches handele, werde der Bitte sehr wahrscheinlich gefolgt. | |
Es gebe ja immer genug Alternativen. | |
Gerade in Berlin zeigt sich allerdings, dass nicht nur die Erwähnung von | |
Cafés und Restaurants im Guide umstritten sein kann: Das nächtliche Treiben | |
auf der Kreuzberger Admiralbrücke, ebenfalls lange als „Geheimtipp“ | |
präsentiert, stiftete so viel Unfrieden in der Anwohnerschaft, dass | |
visitBerlin, die offizielle Tourimusorganisation des Landes, die Entfernung | |
des Tipps erwirkte. „Wir haben nur eine Empfehlung an die Redaktionen der | |
Reiseführer ausgesprochen, mit denen wir in ständiger Absprache stehen“, | |
sagt Katharina Dreger, Sprecherin von visitBerlin. Dennoch kein | |
gewöhnlicher Vorgang: „Normalerweise läuft es natürlich andersrum. Wir | |
werben ja für und nicht gegen die Attraktionen dieser Stadt.“ | |
Robin Schellenberg wünscht sich, dass die Reiseführerredaktionen ihre | |
Empfehlungen von sich aus sensibler handhaben: „Es wäre schön, wenn dieser | |
Prozess gemeinschaftlicher gestaltet würde. Es ist ein Zeichen von Respekt, | |
die BetreiberInnen nach ihrer Meinung zu fragen.“ | |
Der Text ist Teil eines Themen-Schwerpunkts zu Tourismus in Berlin in der | |
aktuellen Wochenendausgabe der taz Berlin. Erhältlich an jedem Berliner | |
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15 Feb 2013 | |
## AUTOREN | |
Malene Gürgen | |
## TAGS | |
Gentrifizierung | |
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