# taz.de -- Darf man an Gedenkstätten protestieren?: Wenn Roma gehört werden | |
> NS-Gedenkstätten sind für Roma-AktivistInnen Orte des Protests für ein | |
> Bleiberecht in Deutschland. Wie viel Raum soll Politik an solchen Orten | |
> haben? | |
Bild: Gedenkstätte für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma: … | |
Wie politisch ist ein Gedenkort – und für wen hat und darf er heute welche | |
Funktion haben? Diese Frage warf vor rund einem Jahr auch die Gruppe „Roma | |
Jekipe ano Hamburg“ auf. Nachdem sie unter anderem den Hamburger Michel | |
besetzt hatten, um gegen ihre drohenden Abschiebungen nach Südosteuropa zu | |
demonstrieren, waren rund 20 Roma-Familien nach Berlin gefahren. Mit | |
Transparenten stellten sie sich am Denkmal für die im Nationalsozialismus | |
ermordeten Sinti und Roma auf und protestierten für ein Bleiberecht. | |
Weil sie nicht gehen wollten, kam es zum Eklat. Die Stiftung für die | |
ermordeten Juden Europas, die auch dieses Denkmal betreut, will dort keine | |
politischen Aktionen. Sie fürchtete einen Präzedenzfall. Der Zentralrat | |
der Sinti und Roma teilte diese Position: Das Denkmal solle „Ort des | |
würdigen Gedenkens“ bleiben. Zu lange war dafür gestritten worden – für … | |
Denkmal, aber noch mehr für die Anerkennung der deutschen Schuld an der | |
Vernichtung der Sinti und Roma im Nationalsozialismus. Erst 1982 | |
bezeichnete die Bundesrepublik dies offiziell als Völkermord. | |
Rudko Kawczinski hat durchaus Kritik am Protest der Hamburger Roma-Gruppe. | |
Seit Jahrzehnten engagiert sich der Vorsitzende der Hamburger Rom und Cinti | |
Union für die Rechte der Minderheit. Die Besetzungen hätte die Gruppe | |
stärker juristisch flankieren müssen, sagt er, etwa mit Klagen vor Gericht, | |
um die Familien in der Zeit vor Abschiebungen zu schützen. Viele, die | |
protestierten, sind mittlerweile abgeschoben. Aber das Denkmal in Berlin | |
als Ort des politischen Protests zu wählen? „Das halte ich für völlig | |
legitim“, sagt Kawczinski. | |
## „Das Hausrecht gehört den Opfern.“ | |
Tatsächlich ist der Kampf für ein Bleiberecht der Roma in Deutschland eng | |
verknüpft mit Protesten, die an Gedenkorten stattfanden – und Kawczinski | |
war dabei. Anfang der 1990er-Jahre war er es, der beim Protest zahlreicher | |
Roma auf dem Gelände des ehemaligen KZ Neuengamme den Satz aussprach: „Das | |
Hausrecht gehört den Opfern.“ | |
1989 hatte Kawczinski mit der Rom und Cinti Union, die sich – damals noch | |
in Abgrenzung zum Zentralrat der Sinti und Roma – stark für ein Bleiberecht | |
der Roma einsetzte, zu Aktionen auf dem ehemaligen KZ-Gelände aufgerufen. | |
Dort und in den Außenlagern waren während des Nationalsozialismus mehrere | |
Hundert Sinti und Roma inhaftiert, darunter der berühmte Profiboxer Johann | |
Trollmann. | |
Kawczinskis Satz zum Hausrecht der Opfer war eine Antwort auf den damaligen | |
Hamburger Senat, der den Initiatoren vorwarf, mit ihrer Aktion in | |
Neuengamme „die kollektive Scham der Deutschen für ihre PR-Zwecke zu | |
missbrauchen“. 20 Männer waren 1989 in einen unbefristeten Hungerstreik | |
getreten, später, im Oktober 1989, wurde eine mehrwöchige Besetzung auf dem | |
ehemaligen KZ-Gelände von der Polizei beendet. | |
Gleichzeitig hatte Kawczinski in nichtöffentlichen Gesprächen mit dem | |
damaligen Hamburger Innensenator Werner Hackmann (SPD) ein Bleiberecht für | |
1.500 Roma ausgehandelt. Linke UnterstützerInnen kritisierten das, sie | |
fanden, es solle weitergekämpft werden. Kawczinski hingegen wollte „nicht | |
den großen ideologischen Sieg“ davontragen, wie er erklärte, sondern „den | |
Menschen ein Bleiberecht besorgen“. „Es ging nur inoffiziell“, sagt | |
Kawczinski heute. Viele Menschenleben seien damit gerettet worden: „Wir | |
wussten schon, dass Jugoslawien wenig später implodieren würde.“ | |
## Roma finden erst Gehör, wenn sie auf die NS-Zeit verweisen | |
Bereits zehn Jahre vor der Aktion in Neuengamme hatten Roma mit einer | |
internationalen Gedenkkundgebung im ehemaligen KZ Bergen-Belsen unter dem | |
Motto „In Auschwitz vergast, bis heute verfolgt“ auf die eigene Situation | |
aufmerksam gemacht, 1980 wurde ein Hungerstreik in der Gedenkstätte Dachau | |
organisiert. | |
Als die Gedenkstätte Neuengamme 1993 vor dem Hintergrund mehrerer Anschläge | |
auf Flüchtlingsunterkünfte erneut besetzt werden sollte, wurde dies durch | |
eine Belagerung durch Hundertschaften der Polizei verhindert. Heute sind | |
die Bleiberechts-Proteste der Roma teil der Dauerausstellung in der | |
Gedenkstätte Neuengamme. | |
Man müsse sich eines fragen, sagt Kawczinski: „Wie weit sind wir gekommen, | |
dass Roma erst dann gehört werden, wenn sie einen Bezug zum Dritten Reich | |
herstellen?“ Es gehe darum, dass Roma die gleichen Rechte wollten, die man | |
den Juden einräume. Wenn Deutschland ein besonderes Verhältnis gegenüber | |
Israel habe, dann gelte das auch für Roma, sagt er: „Die Bundesrepublik als | |
Rechtsnachfolgerin des Dritten Reiches hat eine besondere Verantwortung | |
gegenüber unserer Minderheit.“ | |
Stattdessen aber gebe es nichts als Lippenbekenntnisse: Einerseits trete | |
der Bundespräsident bei Roma-Veranstaltungen auf, andererseits gebe es Tag | |
und Nacht Abschiebungen. Anstatt sich für die Rechte der Roma einzusetzen, | |
erpresse Deutschland die Staaten Südosteuropas, die Grenzen für Roma | |
dichtzumachen. | |
## „Beweihräucherung für die Nachfahren der Täter“ | |
So sieht es auch Kenan Emini, Vorsitzender des Roma-Centers in Göttingen. | |
Eine Verantwortung gegenüber den Roma habe Deutschland auch aufgrund der | |
jüngsten Geschichte, sagt er: „Auch durch die Kriege im ehemaligen | |
Jugoslawien, in die Deutschland involviert war, haben viele Roma alles | |
verloren.“ | |
Als das Mahnmal in Berlin 2012 eingeweiht wurde, überreichte Emini | |
Bundeskanzlerin Angela Merkel einen Brief des Bundes-Roma-Verbands. In den | |
„Herkunftsländern“ herrschten „teilweise Zustände, die an die Situation… | |
Roma zum Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft erinnern“, hieß es | |
darin. „Sie können auch aus historischer Verantwortung Deutschlands heraus | |
dazu anregen, die gesetzliche Grundlage für einen gesicherten Aufenthalt zu | |
ermöglichen“, lautete die Bitte an die Kanzlerin. Fünf Jahre später hat | |
sich die Situation für Roma aus Südosteuropa durch Gesetzesänderungen | |
stattdessen nochmals verschärft. | |
Vor diesem Hintergrund bezeichnet Kawczinski das Roma-Mahnmal in Berlin als | |
„Beweihräucherung für die Nachfahren der Täter“. Es sei den Roma und Sin… | |
damals mehr oder weniger vorgesetzt worden. In Hamburg, am Gedenkort | |
Hannoverscher Bahnhof, sei es anders gelaufen: Jüdische Gemeinde, Rom und | |
Cinti Union und die Stadt seien von Anfang an im Dialog gewesen. „Natürlich | |
gab es Diskussionen. Aber allen Beteiligten war klar, dass es eine | |
gemeinsame Gedenkstätte für alle Opfer sein soll. Letztendlich waren die | |
Behörden die Zuhörer und Unterstützer“, sagt Kawczinski. | |
Eingebunden worden seien die Roma in Hamburg bemerkenswerterweise in der | |
Regierungszeit von Ole von Beust, sagt Kawczinski. Enttäuscht ist er | |
hingegen von den Grünen, der Partei, der er selbst lange angehört hat. „Sie | |
könnten so viel machen in Hamburg“, sagt er. Nach außen würden sie von | |
Menschenrechten sprechen, nach innen aber die Abschiebepolitik gegen Roma | |
vorantreiben. | |
7 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Jean-Philipp Baeck | |
## TAGS | |
Sinti und Roma | |
Protestkultur | |
Gedenken | |
Mahnmal | |
Sozialarbeit | |
Zentralrat Deutscher Sinti und Roma | |
Sinti und Roma | |
Denkmal der im Nationalsozialismus ermordeten Roma und Sinti | |
Roma | |
Sinti und Roma | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Besuch einer KZ-Gedenkstätte: Dahin gehen, wo es wehtut | |
Mancher meint, die KZ-Gedenkstätte Neuengamme sei kein Ort für Menschen mit | |
Behinderungen. Ein Sozialpädagoge fährt trotzdem mit seinen Gruppen | |
dorthin. | |
Biografie von Romani Rose: Die erste Demo in ihrer Geschichte | |
Der Ballast der NS-Diktatur wog noch schwer, als Romani Rose den Kampf um | |
Anerkennung der deutschen Sinti und Roma begann. | |
Porajmos und Abschiebepolitik: Gedenken – und abschieben | |
In Hamburg wird der Gedenkort „Hannoverscher Bahnhof“ eingeweiht, von hier | |
wurden Sinti und Roma deportiert und vernichtet. Politische Folgen hat das | |
heute nicht mehr. | |
Roma-Protest für Bleiberecht: Zuflucht in Flüchtlingskirche gesucht | |
Rund 30 RomaaktivistInnen protestieren am Sonntag in Kreuzberg für | |
Bleiberecht. Auch am Montag, dem Weltflüchtlingstag, finden Mahnwachen | |
statt. | |
Das war die Woche in Berlin I: Zwei Welten treffen aufeinander | |
Bei der versuchten Besetzung des Roma-Mahnmals zeigte sich erneut, dass es | |
fast unmöglich ist, mit der existenziellen Verzweiflung von Menschen | |
umzugehen. | |
Roma-Protest gegen Abschiebung: Räumung nach Mitternacht | |
Dutzende Roma haben in Berlin das Denkmal der im Nationalsozialismus | |
ermordeten Sinti und Roma besetzt. Sie demonstrieren gegen ihre | |
Abschiebung. |